Charakteristische Restflächen ehemaliger agroforstlicher Nutzungssysteme im Wald, insbesondere Hutewälder, nehmen durch den Wegfall der historischen Nutzung zusammen mit ihrer schützenswerten Biodiversität an spezialisierten Tier- und Pflanzenarten sowie Alt- und Lichtwaldstrukturen immer weiter ab. Dieser Abnahmeprozess ist weitgehend irreversibel, da die meisten Faktoren und Prozesse, die in der historischen Kulturlandschaft zur Entstehung der Hutewälder mit ihrer charakteristischen Biodiversität geführt haben, heute nicht mehr wirksam sind.
In der Forschung ist die agroforstliche Nutzung von Wäldern in Deutschland und anderen Teilen Mitteleuropas im Gegensatz zur agroforstlichen Nutzung von Offenland bislang vernachlässigt worden. An dieser Forschungslücke setzt das Projekt an, das von der Abteilung Waldnaturschutz der Nordwestdeutschen Forstlichen Versuchsanstalt (NW-FVA) und dem Fachgebiet sozial-ökologische Interaktionen in Agrarsystemen der Universität Kassel gemeinsam durchgeführt wird.
Die Re-Etablierung von Beweidungssystemen, die sich an der historischen Nutzung orientieren, stellt unter heutigen Rahmenbedingungen eine große Herausforderung dar. Es finden sich nur vereinzelt erfolgreiche Beispiele hierfür. Eine Wiederaufnahme der Beweidung ist jedoch die einzige Möglichkeit, Hutewälder mit ihren typischen Arten und Strukturen nachhaltig zu sichern und auf Teilflächen – in der Regel im räumlichen Kontext mit bestehenden Hutewäldern – neu zu entwickeln oder bestehende Biotopinseln zu vernetzen.
Dies erfordert aber, die einmal vollzogene Aufgabe der agroforstlichen Nutzung rückgängig zu machen, was aufgrund von rechtlichen Rahmenbedingungen, Vorbehalten der verschiedenen Landnutzer sowie weiteren Hemmnissen als große Herausforderung gilt. Das Projekt zielt darauf ab, zur Überwindung dieser Hindernisse beizutragen, indem es wissenschaftliche und praktische Erkenntnisse zur Hutewaldbewirtschaftung integriert und Grundlagen für die evidenzbasierte Wiederbelebung von Hutewäldern in einer dafür geeigneten Modellregion schafft. Der Fokus des Projekts liegt dabei auf Nordwestdeutschland.
Zusammenfassend beinhaltet das Projekt diese innovativen Bestandteile:
• Praxisnahe Aufbereitung von Wissen über Hutewälder in Nordwestdeutschland: Vorkommen, Bewirtschaftung und Naturschutz-Werte
• Erstellung einer aktuellen Karte der ehemals und aktiv beweideten Hutewälder Nordwestdeutschlands
• Zielgerichtete Öffentlichkeitsarbeit
• Aufbau einer Hutewald-„Community of Practice“ in einer ausgewählten Modellregion
Das Forschungsprojekt zielt zunächst darauf ab, wissenschaftliche Erkenntnisse und Erfahrungswissen hinsichtlich Vorkommen, Bewirtschaftung und Naturschutz-Werten insbesondere von nordwestdeutschen Hutewäldern systematisch zu sammeln und aufzubereiten (Arbeitspaket 1).
Eine kartographische Zusammenstellung von ehemals oder aktuell beweideten Hutewäldern in Nordwestdeutschland erfolgt im Arbeitspaket 2 auf Basis der im Arbeitspaket 1 verwendeten Quellen, wobei sozial-ökologische Einflussgrößen (z. B. Besitzart) auf diese Vorkommen Berücksichtigung finden. Dies beinhaltet auch eine räumliche Analyse der Wahrscheinlichkeit des Vorkommens weiterer, nicht identifizierter Hutewälder.
Parallel dazu werden Konzepte zur zielgerichteten Öffentlichkeitsarbeit mit dem Ziel entwickelt und umgesetzt, Bevölkerung und Fachpublikum über Bild und Wort für die Erhaltung und Entwicklung von Hutewäldern zu begeistern (Arbeitspaket 3).
Die Identifizierung einer geeigneten Modellregion in Nordwestdeutschland im Hinblick auf ein umsetzungsorientiertes Folgeprojekt geschieht im Arbeitspaket 4. Neben einer ausführlichen Charakterisierung dieser Modellregion werden Kontakte zu relevanten regionalen und überregionalen Akteuren hergestellt. Daran anschließend soll der Aufbau einer regionalen Hutewald-„Community of Practice“ in der Modellregion mit dem Ziel erfolgen (Arbeitspaket 5), relevante regionale Akteurinnen und Akteure erfolgreich zu identifizieren, zu vernetzen und zu motivieren.