Nachhaltigkeitsfragen sind immer auch politische Fragen und setzen die mündige Urteils- und Handlungskompetenz aller Beteiligten voraus. An dieser Schnittstelle setzen politische Bildung und Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) an, die im Projekt „Berufsschule meets Uni“ zusammentreffen. Lehramtsstudierende, Schüler:innen und Lehrkräfte stellen sich dabei im Kontext der politischen beruflichen BNE (polBBNE) den Herausforderungen von nachhaltiger Entwicklung, entwickeln in unterschiedlichen Settings Lösungsstrategien und können die Rolle von Change-Agents zur weiteren BNE-Diffusion einnehmen.
Das Projekt begegnet damit einem Forschungsdesiderat und ermöglicht die Entwicklung eines praktischen Modellvorhabens. Als Ausgangspunkt lässt sich feststellen, dass der domänenspezifische Beitrag der politischen Bildung zur BNE bisher noch nicht explizit präzisiert oder in Kompetenzmodelle übertragen wurde, womit eine systematische politikdidaktische Aufarbeitung zur Bearbeitung dieses Defizits notwendig wird. Gleichzeitig weist BNE auch in der beruflichen Bildung keine flächendeckende Implementierung und strukturelle Verankerung auf. Ein Großteil der Schüler:innen in diesem Bildungsbereich wird aus dem „Nachdenken über die Zukunft unserer Welt“ (Hemkes u.a. 2022) ausgeschlossen. Ein drittes Defizit ist in der Integration von BNE in die Lehrkräftebildung zu verzeichnen, innerhalb derer bedeutsames quantitatives und qualitatives Ausweitungspotenzial besteht, um die punktuellen und fächerspezifischen Ansätze zu bestärken und BNE als ein durchgehendes integratives Paradigma zu etablieren.
Im Projekt „Berufsschule meets Uni“ soll diesen Defiziten mit der Konzeption, Operationalisierung und Dissemination eines politikdidaktischen Kompetenzmodells für Bildung für nachhaltige Entwicklung sowie der Präzisierung der politischen Dimension im Ansatz nachhaltiger Entwicklung begegnet werden. Dabei werden die universitäre Lehrkräfteausbildung, die berufliche schulische Bildung und Betriebe als Akteur:innen zusammengebracht. Die Operationalisierung und der Praxistransfer im Themenkontext „Ernährung“ stellt einen direkten Bezug zum privaten, schulischen, universitären und (späteren) beruflichen Alltag der Projekteilnehmenden her. Die Vernetzung der Akteur:innen und der Fokus auf Urteils- und Handlungskompetenzen leisten einen Beitrag, um die bisher häufig defizitäre Verknüpfung von Wissen, Einstellungen und Handeln im Kontext nachhaltiger Entwicklung zu fokussieren. Den Beteiligten werden potenzielle Zielkonflikte zwischen Wirtschaft, Umwelt und Gesellschaft als Chance zur demokratischen Auseinandersetzung aufgezeigt und die Partizipation an nachhaltigkeitsbezogene Entscheidungsprozessen ermöglicht. Damit wird dem Ziel begegnet, sich selbständig Urteile zu nachhaltigkeitsbezogenen Kontroversen anzueignen und gesellschaftliche Partizipationsprozesse einzuüben, um die eigene Mündigkeit und Teilhabefähigkeit zu Förderung von politischer Selbstwirksamkeit erlebbar zu machen, umweltrelevantes Handeln auch im eigenen Alltag als Realität wahrzunehmen und es nicht allein beim Wissen, um Umweltprobleme zu belassen.
Ein weiteres Ziel von „Berufsschule meets Uni“ besteht in der Evaluation der Wirksamkeit des Praxisprojekts und des Kompetenzmodells, indem die (politische) Selbstwirksamkeitserfahrung vor und nach dem Modellprojekt bei allen beteiligten Akteur:innen erfasst werden. Die Ergebnisse werden mit dem Ziel der stärkeren Diffusion und Verbreitung von politischer beruflicher BNE in Lehrkräftefortbildungen eingebunden.
Die Arbeitsschritte im Projekt „Berufsschule meets Uni“ verteilen sich auf fünf zentrale Phasen, die inhaltlich chronologisch aufgebaut sind. Die Phasen können daher nicht separat betrachtet werden, sondern konstituieren durch ihr Zusammenwirken und die Integration von verschiedenen Kooperationspartner:innen das Projekt als Ganzes. Für das Projekt sind zwei Durchgänge geplant, sodass Erfahrungen und Evaluationsergebnisse auf konzeptioneller und praxisorientierter Ebene berücksichtigt und integriert werden können.
1. Konzeption
Den Intentionen politische Bildung und BNE zusammenzudenken, BNE in der beruflichen Bildung zu stärken und BNE in der Lehrkräftebildung zu implementieren sowie zu etablieren, wird durch die Konzeption des politikdidaktischen beruflichen BNE-Kompetenzmodells Rechnung getragen. Dieses Modell soll in den Konzeptionsphase auf Basis von bestehenden BNE-Kompetenzmodellen, Kompetenz-Modellierungen aus der politischen Bildung und den genuinen Anforderungen an eine politische BNE entwickelt werden. Durch die Einbindung von Expert:innen erfolgt eine weitergehende Spezifizierung. Das entworfene Konzept weist im ersten Durchgang des Projekts einen modellhaften Charakter auf und unterliegt der kontinuierlichen Überarbeitung und Anpassung auf Basis der Erfahrungen und Evaluationsergebnisse. Auf Basis des Kompetenzmodells wird im Anschluss das Seminar für Lehramtsstudierende konzipiert, indem die Voraussetzungen für die erfolgreiche Umsetzung von politischer beruflicher BNE gelegt werden.
Neben dem Modell erfolgt auch die Konzeption von Messinstrumenten, die auf die Erfassung von (politischer) Selbstwirksamkeitserfahrung abzielen und die Umsetzung der Projektes zu mehreren Zeitpunkten wissenschaftlich begleiten.
2. Operationalisierung
Die Operationalisierung ist auf zwei Ebenen zu differenzieren. Zum einen stellt die Seminardurchführung mit den Lehramtsstudierenden mit dem Ziel, die im Modell konzipierten Kompetenzen zu entwickeln, einen Teilschritt dieser Phase dar. Zum anderen erfolgt durch die Lehramtsstudierenden die Planung von Workshops für Schüler:innen an beruflichen Schulen in Kooperation mit Lehrkräften aus der beruflichen Bildung und außerschulischen Bildungsakteur:innen im Feld von BNE (z.B. EPIZ). Die Planung der Workshops stellt den direkten Praxistransfer der erworbenen Kompetenzen in die berufliche Praxis dar.
3. Politisch Handeln
Auch die Phase des politischen Handelns integriert zwei Akteur:innenebenen. Die Lehramtsstudierenden führen auf der einen Ebene die Workshops mit Schüler:innen durch. Bei der Umsetzung der Workshops werden dabei Selbstwirksamkeitserfahrungen für politische berufliche BNE generiert, die für den Erwerb von professioneller Handlungskompetenz tragend sind. Die Lernenden an Berufsschulen können auf der anderen Ebene ihrerseits durch die Partizipation in den Workshops politisch handeln. Die Workshops, die an den Lernorten Berufsschule, Betrieb und Universität stattfinden, stellen die Problematisierung und dem Umgang mit inhaltlichen Kontroversen im Kontext nachhaltiger Entwicklung am Beispiel Ernährung in den Mittelpunkt. Davon ausgehend werden durch Kooperationen mit Betrieben Einblicke in den (späteren) beruflichen Alltag offeriert, die Entwicklung von Handlungsansätzen und deren Präsentation ermöglicht und schließlich in Kooperation mit der Landeszentrale für politische Bildung Berlin die Partizipation im öffentlichen Diskurs über das Thema angeregt.
4. Evaluation
Da mit dem Kompetenzmodell für politische berufliche BNE ein Forschungsdesiderat gefüllt werden soll, besteht im Prozess die Notwendigkeit zur Evaluation und Überarbeitung der Modellierung. Die Evaluation erfolgt dabei durch die Befragung von Studierenden, Schüler:innen und Lehrkräften mit der Schwerpunktsetzung auf (politische) Selbstwirksamkeitswahrnehmung vor und nach der Teilnahme am Projekt. Aufgrund des explorativen Charakters liegt der Fokus im ersten Durchgang eher auf der qualitativen Erfassung durch Interviews. Im zweiten Durchlauf werden zusätzlich Fragebögen eingesetzt, die eine differenziertere Auswertung erlauben. Aus Basis der Evaluationsergebnissen werden die Phasen des Projekts „Berufsschule meets Uni“ für den zweiten Durchgang und eine langfristige Implementierung und Verankerung angepasst.
5. Dissemination
Die Diffusion der Projektergebnisse wird durch die Konzeption und Durchführung von zwei Lehrkräftefortbildungen in differierenden Formaten realisiert. Durch die Dissemination werden die Ergebnisse nachhaltig verankert und eine Implementierung des Kompetenzmodells für die Lehrkräfteausbildung und Bildungspraxis gefördert. Die Fortbildungen werden unter Einbindung des DBU-Projekts „Klima aktiv“ konzipiert. Die Durchführung wird durch die Landeszentrale für politische Bildung Berlin und die Bildungsbehörde (SenBJF) unterstützt.