Die perspektivisch zunehmende Austrocknung durch Klimawandel und anthropogene Einflüsse, z. B. menschliche Nutzung, führt zu erheblichen Schäden an Kunst- und Kulturgut in Denkmälern. Das materialabhängig unterschiedliche Quellen und Schrumpfen produziert Spannungen und Schäden innerhalb hygroskopischer Werkstoffe, aber auch zwischen den einzelnen Schichten. Typische Schadensbilder sind Risse, Verformungen sowie Ablösungen, die im Substanzverlust oder der vollständigen Zerstörung münden können. Die mangelnde Kontinuität der Umgebungsbedingungen und die Begrenzung der technischen, finanziellen und personellen Möglichkeiten zur Kontrolle, Pflege und Wartung geeigneter Klimakonzepte werden zu einer immer größeren Herausforderung in der praktischen Denkmalpflege.
Aufbauend auf umfangreichen Voruntersuchungen zur Risikoabschätzung soll in diesem Modellprojekt eine übertragbare und nachhaltige in situ Befeuchtungsmethode für Kulturgüter im denkmalpflegerischen Kontext anthropogener Immissionen anhand eines Fallbeispiels entwickelt und messtechnisch begleitet werden. Als Fallbeispiel dient das Gründonnerstagsretabel aus der Unteren Sakristei des Freisinger Doms; ein großformatiges Tafelgemälde (300 x 405 x 2 cm) aus dem 15. Jh. Der aus einzelnen Bohlen bestehende Holzträger ist aufgrund trockener Raumluft und Klimaschwankungen geschrumpft. Bis heute bewegt sich die Tafel in Abhängigkeit zum wechseln-den Umgebungsklima und verursacht dabei zunehmende Malschichtschäden an der qualitätvollen und detailreichen Malerei von Hans Mair von Landshut. Die Konservierung der Malschicht – unter Erhalt der Originalsubstanz – ist aktuell nicht möglich, da sie eine Annäherung des Holzträgers an seine geometrischen Ursprungsmaße voraussetzt.
Das vorgetragene Modellobjekt steht exemplarisch für eine große Anzahl von Objekten aus dem Bereich des Kulturgüterschutzes, die durch ein ungeeignetes Raumklima bereits geschädigt wurden oder geschädigt werden und wo eine nachhaltige Konservierung nur durch Behebung der Schadensursachen erfolgen kann. Im Projekt sollen deshalb die Zusammenhänge der Einflussparameter zur Klimatisierung beleuchtet, die konservatorische und restauratorische Bearbeitung wieder ermöglicht und weitere Verluste bzw. Schäden in Zukunft minimiert werden.
Vorarbeiten: Evaluierung der Restaurierungs- und Objektgeschichte (Archiv BLfD); Voruntersuchungen und erste Notmaßnahmen (Erfassung des Raumklimas Messung der Holz-feuchte, Dokumentation des restauratorischen Zustandes, Beginn 3D-Streifenlichtscans, Vorzustandsaufnahmen, Anforderungskatalog und Bau Einhausung/Klimabox).
AP 1: Mess- und Monitoringkonzept: Anbringung minimal-invasiver Messsysteme für Raum- und Mikroklima, VOC’s, Holzträger und Malschicht, inklusive Steuerungsmodulen zur Be-/Auffeuchtung. Durchführung bildgebender Verfahren, u. a. fotografisches Langzeitmonitoring, 3D-Streifenlichtscans, Zeitrafferaufnahmen.
AP 2: Materialanalysen, hygrothermische Simulation und Klimaschrankversuche: Aufbauend auf analytischen Materialbestimmungen, Planung und Erstellung von Probekörpern für hygrothermische Simulation, Klimaschrankversuche und Referenzproben in der Einhausung; Bauphysikalisches Modell; Durchführung Simulationen und Klimaschrankversuche.
AP 3: Aktive Klimatisierung am Beispiel des Tafelbildes in Freising: gemäß Risikoabschätzung aus AP 1 und 2 Be-/Auffeuchtung der Raumluft zur Ausdehnung des Tafelbildes und Überprüfung der Reaktionen am Fallbeispiel sowie kontinuierliches Monitoring aus AP1.
AP 4: Entwicklung eines Handlungsleitfadens: Auswertung, Diskussion und Interpretation aller Daten und Arbeitsproben; Entwicklung einer Handlungsempfehlung; Entwicklung eines reduzierten Messsystems für die Nachprojektzeit (Langzeitmonitoring); Diskussion nachhaltiger Bedingungen für die Konservierung/Restaurierung und Erhaltung anthropogen geschädigter Kunstwerke; Abschlussbericht und Publikation.
Innovation: gezielte Feuchterückführungen sind grundsätzlich Stand des Wissens und der Technik in der Konservierung/Restaurierung von Kulturgütern aus organischen Materialien. Eine in situ Befeuchtung zur Ausdehnung an einem Objekt dieser Größe, Güte und Datierung – im denkmalpflegerischen Bereich – ist bislang nicht bekannt. Das Monitoring, die Risikoabschätzung und messtechnische Begleitung einer Auffeuchtung sind in dieser Konstellation einzigartig und gehen weit über den aktuellen Stand der Anwendungsmöglichkeiten in der Denkmal-pflege hinaus. Die Einhaltung einer derartig entwickelten Klimastabilisierung soll zukünftige Schäden verhindern und die Nachhaltigkeit von Maßnahmen verbessern.
Das Projekt fasst wertvolle Grundlagen und neue Erkenntnisse zur in situ Auffeuchtung hygroskopischer Materialien eines – aufgrund anthropogener Klimaeinflüsse – bedrohten oder bereits geschädigten Holztafelbildes in einem Denkmal zusammen. Aufbauend auf der Risikoabschätzung einer Befeuchtung zur Ausdehnung (Recherche, Monitoring, Simulationen, Labor- und Klimaschrankversuche) konnte am Fallbeispiel in Freising eine aktive Auffeuchtung bzw. Klimastabilisierung geplant und schadensfrei durchgeführt werden. Die Abschätzung und Durchführung in situ ermöglicht den Nachweis des Verhaltens eines Tafelgemäldes dieser Größe, Güte und Datierung bei klimatischen Schwankungen. Der Großteil des Gründonnerstagsretabels befindet sich zum Projektende in einem konservierungsfähigen Zustand.
Die gewählten Mittel der Risikoabschätzung stellen probate Methoden dar. Das installierte Monitoringsystem, die konservatorische Begleitung und interdisziplinäre Zusammenarbeit erwiesen sich als zielführend, um das Materialverhalten der Tafel zu beobachten, (messtechnisch) zu erfassen und zu dokumentieren. Die Risiken, Einflussparameter und konservatorischen Herausforderungen (u. a. Sensoranbringung) wurden umfassend diskutiert, erprobt und vermittelt.
Im Projekt konnte gezeigt werden, dass ein an den historischen Mittelwert der relativen Feuchte angelehntes Umgebungsklima in Korrelation mit dem Außenklima zu einer Beruhigung der Bewegungen führt und weitere Schäden am Tafelgemälde verhindert. Dies zeigt, dass der Klima- und Bearbeitungshistorie eines Kunstwerkes besondere Bedeutung zukommt, wenn das Ausmaß plastischer, also irreversibler Verformungen abgeschätzt werden soll. Sowohl im Klimaschrank (junges Holz) als auch am Original (gealtertes Holz) zeigte sich, dass nach Befeuchtungsschritten von 5 % r. F. im Mittel 14 Tage für ca. 2 cm dickes Nadelholz notwendig sind, um die Ausgleichsfeuchte zu erreichen.
Mit Hilfe der Projektergebnisse kann auch an anderen Fallbeispielen eine Risikoabschätzung, Analyse, messtechnische Erfassung und Dokumentation zur Stabilisierung der Materialien und langfristigen Erhaltung durchgeführt werden. Der Handlungsleitfaden, Abschlussbericht und die Publikationen unterstützen die Planung, Durchführung und Erfolgskontrolle derartiger Projekte.
Im Laufe der Projektzeit wurde das Forschungsthema verstärkt in der Öffentlichkeit präsentiert und vermittelt, um eine Sensibilisierung für die Gefährdung von Kulturgut durch den Klimawandel und anthropogene Schädigung zu erzielen. Darunter u. a. Kick-off-Treffen (Kolloquium), Pressemitteilungen, Zeitungsberichte, Projektinformationen über die Homepages der Projektpartner, Sensibilisierung der Mitarbeitenden, Führungen (u. a. Tag des offenen Denkmals, Tag der Restaurierung) und BLfD Imagefilm. Die Vorstellung, Präsentation und der Austausch mit Fachpersonen erfolgte an mehreren nationalen und internationalen Tagungen, in Expertenrunden, einer VDR-Exkursion sowie über die 2-tägige Abschlusstagung. Die Veröffentlichung des Handlungsleitfadens, Abschlussberichtes und von Tagungsbeiträgen soll eine Grundlage für ähnlich gelagerte Projekte darstellen. Neben der Evaluierung des aktuellen Standes des Wissens und der Techniken sollen insbesondere die ausführliche Darstellung der Projektergebnisse und Lösungsansätze einen Mehrwert bieten. Weitere Vermittlung erfolgt zukünftig an den beteiligten Universitäten sowie im Rahmen der Tätigkeiten des BLfDs.
Es ist hinreichend bekannt, dass ein zu trockenes Raumklima dem dauerhaften Erhalt von organischem Kunst- und Kulturgut schadet. Dies wird auch im Projektverlauf deutlich, wo das Fallbeispiel, ein Holztafelbild, besonders in der trockenen Winterperiode starken Schaden nimmt. Die schadensfreie in situ Auffeuchtung des großformatigen Fallbeispiels zeigt die Möglichkeiten und Grenzen derartiger Projekte umfassend auf. Unabdingbar für eine Risikobeurteilung erwies sich die genaue Kenntnis der Objektgeschichte, Materialität und Raumsituation. Besondere Herausforderungen ergaben sich aus der in situ Situation. Örtliche Gegebenheiten, Stromausfälle, Internetanbindung und Anfahrtswege führten zu Verzögerungen und Messausfällen. Dies muss bei in situ Arbeiten entsprechend eingeplant werden, wofür der Abschlussbericht, die Publikation sowie die Handlungsempfehlung praktische Ansätze und „lessons learned“ vermitteln.
Wünschenswert ist der Einsatz energie- und kostenarmer Lösungsansätze, um nicht negativ auf die Umwelt einzuwirken.
Für die Zukunft ist die interdisziplinäre Zusammenarbeit von zentraler Bedeutung, da sie essenzielle Kenntnisse und Fähigkeiten vereint, um den Erhalt von Denkmälern und ihrer Ausstattung zu gewährleisten. Es unabdingbar, dass Öffentlichkeit und Politik für die Belange der Denkmalpflege sensibilisiert werden, um einen breiten Rückhalt für nachhaltige Maßnahmen zu schaffen und zukünftige Generationen für den Wert kulturellen Erbes zu begeistern.