In den letzten Jahrzehnten hat sich der biologische Pflanzenschutz im Gewächshaus zu einer umweltfreundlichen Standardmethode entwickelt, die in vielen Kulturen Anwendung findet. Praktiker können auf eine breite Palette kommerziell erhältlicher, natürlicher Feinde zurückgreifen, die gezielt gegen wesentliche Schädlinge wie die Weiße Fliege, Blattläuse, Spinnmilben oder Thripse eingesetzt werden. Der Erfolg des biologischen Pflanzenschutzes beruht einerseits auf der geringen Vielfalt an Schädlingen, die Gewächshauskulturen befallen und andererseits auf den optimalen Lebensbedingungen, die Nützlinge im geschützten Gewächshaus vorfinden. Im Gegensatz dazu wird der gezielte biologische Pflanzenschutz im Freiland weitaus seltener angewendet. Abgesehen von einigen gezielten Einsätzen von Nützlingen wie den Trichogramma-Eiparasitoiden im Maisanbau oder entomopathogenen Nematoden gegen Engerlinge, spielt hier vor allem die Förderung natürlich vorkommender Gegenspieler eine zentrale Rolle. Dies geschieht durch Maßnahmen wie das Anlegen von Blüh-, Ackerrandstreifen oder die Vernetzung von Lebensräumen und Biotopen, um die Lebensbedingungen in der Agrarlandschaft zu verbessern. Allerdings unterliegen diese Maßnahmen aufgrund klimatischer und regionaler Witterungseinflüsse großen Schwankungen und sind daher für die praktische Anwendung auf Betriebsebene oft unzuverlässig. Das vorliegende Projekt zielt darauf ab, diese Situation nachhaltig zu verbessern und den gezielten Einsatz von Nützlingen im Freiland weiterzuentwickeln und zu optimieren. Dabei sollen wichtige natürliche Gegenspieler, unabhängig von ihrem natürlichen Vorkommen, durch s.g. Offene-Zucht-Systeme (Banker-Plant-System) etabliert und gezielt zur Schädlingsbekämpfung eingesetzt werden. In Zusammenarbeit mit der Firma Katz Biotech AG werden Verfahren zur Massenproduktion von Parasitoiden optimiert, Produktformen und gezielte Freilandeinsätze zur Bekämpfung der Kohlmottenschildlaus (A. proletella) durch die Schlupfwespe Encarsia tricolor entwickelt. Zudem sollen maßgeschneiderte Blühstreifen angelegt werden, um die lokalen Lebensbedingungen der freigesetzten und natürlich vorkommenden Gegenspieler zu verbessern um die Effektivität und Zuverlässigkeit des biologischen Pflanzenschutzes zu erhöhen. Durch den kombinierten Einsatz von offener Zucht und maßgeschneidertem Blühstreifen wird ein nachhaltiger Beitrag zur Reduktion von Pestiziden und zur Entwicklung nicht-chemischer Pflanzenschutzstrategien geleistet.
Im ersten Projektjahr 2022 wurde untersucht, ob die Anordnung des maßgeschneiderten Blühstreifens und Banker-Plant-Systems direkt nebeneinander oder getrennt voneinander am Rosenkohlfeld einen Einfluss auf die Effektivität der Nützlinge hat. Zusätzlich wurden alternative Wirtspflanzen für das Banker-Plant-System untersucht, mit dem primären Ziel, eine witterungsfeste und für den Versand kompakte Pflanze zu identifizieren. Im zweiten Projektjahr 2023 war es notwendig, das neue Banker-Plant-System (Wirtspflanze: Sonnenblume) mit dem bisherigen Kürbis-System im Freiland zu vergleichen. Ebenfalls wurde ein neuer Ansatz getestet, mit dem das Sonnenblumen-System direkt im Feld mit Alternativwirten und Schlupfwespen über ein zweistufiges Verfahren etabliert werden kann. Dafür produzierte und lieferte die KBAG die notwendigen Banker-Plants und Nützlinge. Darüber hinaus wurden, zur Verbesserung des Banker-Plant-Systems, weitere Sonnenblumensorten getestet um zu charakterisieren, welche Sorten sich sowohl für den Freilandeinsatz als auch als Massenzuchtpflanze für die E. tricolor-Zucht eignen. Im dritten Projektjahr 2024 wurde das Banker-Plant-System (Wirtspflanze: Sonnenblume) mit dem maßgeschneiderten Blühstreifen in direkter Nachbarschaft untersucht. Zusätzlich wurde das Banker-Plant-System während der Etablierungsphase mit einem Wintervlies abgedeckt, um sowohl das Mikroklima zu verbessern als auch den Insekten Schutz vor starken Witterungseinflüssen zu gewähren. In allen Versuchsjahren wurden die Freilandversuche im Rosenkohlanbau durchgeführt. In jedem Jahr wurden regelmäßig visuelle Bonituren der Schädlinge und natürlichen Gegenspieler am Rosenkohl und im Banker-Plant-System durchgeführt. Im maßgeschneiderten Blühstreifen (Hannover Mix) wurden Art und Anzahl der Blütenstände erfasst. Zusätzlich wurden Gelbschalen, Bodenfallen und Fangpflanzen genutzt um Rückschlüsse auf Mobilität und Biodiversität ziehen zu können. Am Ende der Anbauperiode erfolgte die Endbonitur zur Bestimmung von Ertrag, Güteklasse und Verschmutzungsgrad der Röschen. Die Wirtspflanzen des Banker-Plant-Systems wurden im Projektverlauf stetig weiterentwickelt. Als Alternativwirt wurde immer die Gewächshaus-Weiße Fliege (Trialeurodes vaporariorum) und die Schlupfwespe Encarsia tricolor als Gegenspieler der Kohlmottenschildlaus (Aleyrodes proletella) eingesetzt.
Die Ergebnisse zum kombinierten Einsatz von offener Zucht und Blühstreifen (2022) haben gezeigt, dass der Befall mit der Kohlmottenschildlaus an Rosenkohl in allen Varianten signifikant reduziert werden konnte. Im direkten Vergleich der Varianten hat sich die Anordnung der Elemente direkt nebeneinander als Vorteilhaft erwiesen: der Befall mit der Kohlmottenschildlaus konnte durch eine stark erhöhte Parasitierungsrate um bis zu 36 % reduziert werden. Die Vorteile der kombinierten Anwendung aus Banker-Plant-System und Blühstreifen haben sich vor allem beim Blattlausbefall gezeigt, d.h. die Parasitierungsrate konnte um bis zu 30 % gesteigert werden. Da sich gezeigt hat, dass der Kürbis als Wirtspflanze vor allem auf variable Witterungsbedingungen im Frühjahr (Nachtfrost, Trockenheit) sehr empfindlich reagiert, wurde im Versuchsjahr 2023 die Sonnenblume in die Untersuchungen einbezogen. Die Ergebnisse zeigen, dass die Parasitierungsrate am Rosenkohl durch beide Banker-Plant-Systeme um bis zu 20 % gesteigert werden konnte und den Befall mit der Kohlmottenschildlaus im Rosenkohl im Vergleich zur Kontrolle deutlich reduzieren konnte. Im direkten Vergleich zwischen Sonnenblume und Kürbis als Banker-Plant konnten vergleichbare Effekte erzielt werden. Um die Startbedingungen für die Schlupfwespen im Frühjahr nachhaltig zu verbessern, wurde im Versuchsjahr 2024 ein Witterungsschutz am Sonnenblumen Banker-Plant-System eingesetzt. Dabei wurden wie im ersten Versuchsjahr verschiedene Bank-Plant-System und Blühstreifen Kombinationen getestet. In diesem Jahr lag der Befall mit Kohlmottenschildlaus in allen Varianten auf einem sehr geringen Niveau. Im Vergleich zum Vorjahr konnte aber gezeigt werden, dass in den Banker-Plant Varianten bereits sieben Wochen früher, bis zu dreimal so viele adulte E. tricolor im Rosenkohl aktiv waren. Die abschließende Bewertung der Versuche steht noch aus. In allen Versuchsjahren wurden am Saisonende Ertragserhebungen durchgeführt. Die bisherigen Ergebnisse zeigen, dass der Verschmutzungsgrad der Röschen in den Kombinationsvarianten deutlich reduziert war und sich dadurch auch der Gesamtertrag an Rosenkohl leicht erhöht hat. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass der kombinierte Einsatz von Banker-Plant-System und Blühstreifen am erfolgreichsten war. Dabei hat sich der Einsatz der Sonnenblume im Banker-Plant-System bewährt und trägt zu einer frühzeitigen und verlässlichen Etablierung der Schlupfwespen im Freiland bei.
Die bisherigen Ergebnisse wurden auf der „Woche der Umwelt 2024“ dem Fachforum vorgestellt. Als besonders wichtig erachtete das Publikum, die Praxis frühzeitig in neue Entwicklungen und Methoden einzubeziehen, um wirtschaftlich und technisch praktikable Lösungen zu entwickeln. Dies ist auch der Anspruch des eigenen Vorhabens und es besteht bereits eine intensive Zusammenarbeit mit Landwirten und Pflanzenschutzberatern. Darüber hinaus wurden Ergebnisse Fachkollegen auf der 63. Deutschen Pflanzenschutztagung in Göttingen (Poster Präsentation) und auf der 10. IOBC Tagung „Landscape Management for Functional Biodiversity“ in Pisa vorgestellt. Im Rahmen eines Vortrags an der Landwirtschaftskammern Nordrhein-Westfalen wurde außerdem die Bedeutung von Blühstreifen zur Förderung der funktionellen Biodiversität im Gartenbau thematisiert. Mehrere studentische Abschlussarbeiten konzentrieren sich aktuell auf Untersuchungen zum Wirtsfindungsverhalten der Schlupfwespe E. tricolor. Hier wird zum einen der Einfluss des Zuchtsystems und zum anderen die Integration von Banker-Plants in den Blühstreifen thematisiert.
Presentation IOBC Meeting 2024 PisaDas vorliegende Projekt zur Förderung der funktionellen Biodiversität im Freiland hat bedeutende Fortschritte erzielt und ein hohes Potenzial, die Abhängigkeit von chemischen Pflanzenschutzmitteln nachhaltig zu reduzieren. Bisher wurde festgestellt, dass die gezielte Kombination eines Banker-Plant-System mit maßgeschneidertem Blühstreifen eine effektive Strategie darstellt, um Nützlinge wie die Schlupfwespe E. tricolor frühzeitig und unabhängig vom natürlichen Vorkommen im Freiland anzusiedeln. Der gleichzeitige Einsatz von Blühstreifen garantiert darüber hinaus die allgemeine Förderung von natürlichen Gegenspielern anderer Kohlschädlinge im Anbausystem. Im Laufe der Projektjahre führte der Einsatz wiederholt zu einer deutlichen Senkung des Schädlingsbefalls und einer Erhöhung der Parasitierungsrate, was insbesondere durch die strategische Anordnung der beiden Systeme und den Wechsel zur Sonnenblume als Wirtspflanze im Banker-Plant-System begünstigt wurde. Der Einsatz von Wintervlies ermöglichte zudem eine verlässlichere und stabilere Ansiedlung von E. tricolor. Um den Verlust der Anbaufläche zu reduzieren, ist geplant, dass Banker-Plant-System in den Blühstreifen zu integrieren. Im letzten Versuchsjahr liegt der Schwerpunkt bei der Optimierung der Schlupfwespendichte sowie der Evaluierung des Gesamtsystems in der gartenbaulichen Praxis.