Projekt 35601/68

ESD for 2030: Emotion- and Problem-Focused Coping with Dilemmas, Trade-Offs and Risks in Schools

Projektdurchführung

Freie Universität Berlin
Erziehungswissenschaftliche Zukunftsforschung
Fabeckstr. 37
14195 Berlin

Zielsetzung

Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) steht zunehmend vor der Herausforderung, vielfältige planetare Krisen zu thematisieren, welche bei Lernenden kognitiv destabilisierend wirken sowie starke Emotionen, Stress und Widerstände auslösen können (Singer-Brodowski et al., 2022). In der Auseinandersetzung mit Nachhaltigkeitsthemen werden Schüler:innen häufig mit komplexen Problemen, Widersprüchen, Dilemmata und Risiken – kurz Unsicherheiten –konfrontiert. Aktuelle Forschungen zum Zusammenhang von Wissen und Einstellungen im Nachhaltigkeitskontext zeigen: Je mehr Einsichten Jugendliche in die Probleme globaler Entwicklung haben, desto eher neigen sie zu Hoffnungslosigkeit und verlieren ihre Handlungsmotivation (Grund & Brock, 2019). Defizitäres Problemwissen scheint demnach nicht die Ursache von Demotivation und Handlungsunfähigkeit zu sein; vielmehr kommt es zu einer kollektiv empfundenen Ohnmacht, wenn es um die Gestaltung einer zukunftsfähigen Welt geht (Sanson et al., 2019).
Ziel des Vorhabens ist es daher, ausgehend vom Konzept der Gestaltungskompetenz (de Haan, 2008), die Fähigkeit bei Schüler:innen der Sek. I zu fördern, mit Unsicherheiten so umzugehen, dass sie diese individuell wie gemeinschaftlich konstruktiv bewältigen lernen. Dazu gehört neben der rational-kognitiven Auseinandersetzung auch ein geschulter emotionaler Umgang mit Unsicherheit. Neueste Theorieentwicklungen aus dem Forschungsfeld des transformativen Lernens legen nahe, dass durch die Erweiterung emotionaler Reflexionsfähigkeiten rationale Kompetenzen im Umgang mit Unsicherheiten gestärkt werden können (Förster et al., 2019; Mälkki & Green, 2018; Mälkki & Raami, 2019; Mälkki et al., 2022). Da die emotionale Dimension des Umgangs mit Dilemmata, Risiken und Unsicherheiten bislang kaum einen Platz in der schulischen BNE hat (Holst & Brock, 2020; Holst et al., 2020; Singer-Brodowski et al., 2020), ist es ein besonderes Anliegen, mit dem Konzept der rationalen Kompetenzen verflochten auch emotionale Reflexionsfähigkeiten zu fördern, welche den Schüler:innen bei der Bewältigung globaler Herausforderungen helfen.
Das Unterrichtskonzept wird in Zusammenarbeit mit dem FIELDS Institute entwickelt. Das Material steht allen interessierten Pädagog:innen in formalen und non-formalen Bildungskontexten über die Projekthomepage (https://bne-umgang-mit-unsicherheit-lernen.de/) in Deutsch und Englisch zur Verfügung.

Institut Futur_Projektinfo

Arbeitsschritte

Das Projekt ist auf 24 Monate ausgelegt.
Projektiert ist folgendes Vorgehen:
Modul 1: Monat 1-3
a) Entwicklung eines prozeduralen Konzeptes der Erörterung von Dilemmata, Trade-offs und Unsicherheiten auf der Basis der relevanten Teilkompetenzen von Gestaltungskompetenz unter Nutzung des KMDD (Konstanzer Methode der Dilemma-Diskussion) und VaKE (Values- Knowledge-Education)-Ansatzes der Bearbeitung von Dilemmata sowie eines Konzeptes der Risikobearbeitung. Besonderer Wert wird auf die Berücksichtigung der Strategien der emotionalen wie auch problemlösenden Bewältigung von Dilemmata etc. gelegt. [Institut Futur, Freie Universität Berlin].
b) Vorläufige Auswahl von Themenkomplexen aus dem Biodiversitätsdiskurs. Es werden insgesamt fünf Themen so aufbereitet, dass sie von Schüler:innen unmittelbar bearbeitet werden können.
(Thema 1/Palmölnutzung, 2/Zoonosen, 3/Windkraft und Artenschutz, 4/Landwirtschaft und Insektensterben, 5/ Fake News)
Modul 2: Monat 4-9
a) Fortentwicklung der Materialien. [FIELDS Institute]
b) Ansprache der Lehrkräfte > 1500 bzw. der Sek. I-Schulen (ca. 500), die als Umweltschule in Europa/Internationale Nachhaltigkeitsschule ausgezeichnet sind. [DGU]
c) Aufnahme weiterer 2 Themen, zu denen Materialien entwickelt werden sollen aufgrund der Interessen von Lehrkräften und Schüler:innen [FIELDS Institute und DGU]
d) Sondierung von Fortbildungsinteressen bei Lehrkräften zu der Thematik, Aufbau eines Fortbildungsmoduls. [FIELDS Institute und DGU]

Modul 3: Monat 9-20
a) Kontinuierliche Kommunikation mit den beteiligten Lehrkräften und Fortentwicklung der Materialien unter Berücksichtigung der Erfahrungen und Vorschläge von Lehrkräften und Schüler:innen.
b) Drei Erprobung von Fortbildungsmodulen an drei Standorten (Tagesveranstaltung). [Institut Futur & FIELDS Institute]
c) Entwicklung einer Handreichung für Lehrkräfte. Beginn der offenen Verbreitung der Materialien über die Website des Antragstellers (www.institutfutur.de) wie der Mitwirkenden (www.fieldsinstitute.de und www.umelterziehung.de) sowie bei Lehrer-online oder anderen großen Portalen. [FIELDS Institute, DGU und Institut Futur]
d) Dissemination der Materialien und Erprobung in (mindestens 2) osteuropäische Länder (Tschechien, Estland) via DGU.

Modul 4 Monat 19-24:
a) Finalisierung u. Dissemination der Materialien. ([FIELDS Institute, DGU und Institut Futur]
b) Auswertung der Erhebungsdaten, Öffentlichkeitsarbeit [Institut Futur]

Fields Institute

Ergebnisse

Alle Lehr- und Lernmaterialien des Projektes stehen allen Interessierten vollständig zum freien Download in Deutsch und Englisch zur Verfügung:
https://bne-umgang-mit-unsicherheit-lernen.de/
(Thema 1/Palmölnutzung, 2/Zoonosen, 3/Windkraft und Artenschutz, 4/Landwirtschaft und Insektensterben, 5/ Fake News)
Die Materialien wurden bewusst graphisch übersichtlich und farbig orientierend gestaltet. Diese Gestaltung der Lehr- und Arbeitsmaterialien wurde von Pädagog:innen anhaltend sehr positiv wahrgenommen. In Feedbackrunden der Seminare wurde die Bereitstellung der Materialien als umfassende und fundierte Unterstützung von BNE im schulischen Alltag gewürdigt und als konstruktive Anregung für die eigene Arbeit wertschätzend aufgenommen. Die Materialien werden als durchdacht und hochrelevant eingeschätzt und scheinen in vier Doppelstunden zielführend bearbeitbar. Der Aufbau des Materials wird in der Struktur der Homepage wiedererkannt und so sei ein kurzentschlossener Einstieg unkompliziert möglich. Auch in außerschulischen Kontexten seien vielerlei Anwendungen denkbar und Kooperationen von Schule und außerschulischen Akteur:innen von besonderem Potential. Personen dieser Einschätzungsweise äußern sich hochmotiviert, das Material zeitnah zu erproben und wünschen sich eine Ausweitung der Themen.
Demgegenüber gibt es auch kritische Stimmen, die zwar ebenso die Relevanz des Projektes betonen, jedoch die konkrete Umsetzung im aktuellen Schullalltag mit vielen Hemmnissen konfrontiert sehen. Besonders die knappen Lehrkräfteressourcen würden dazu führen, dass Lehrkräfte auf „kognitive Entlastung“ (Zitat eines Teilnehmers) angewiesen seien in der Erschließung neuer Inhalte. Auch sei die Ergebnisoffenheit und Unabhängigkeit von einer zu benotenden Leistung schwierig umsetzbar, da bei vielen Schüler:innen postcovid teilweise erhebliche Lücken schon in den Grundfächern festzustellen seien und eine kontinuierliche Einschätzung von Lernentwicklungen notwendig oder gefordert sei. Und schließlich sei die klassische Lern- Beurteilungs- und Kommunikationskultur in Schulen für dieses innovative Vorgehen nur bedingt offen.
Die internationale Implementierung wurde im Frühjahr 2024 durch die DGU realisiert.

Projekthomepage

Öffentlichkeitsarbeit

Publikationen, Vorträge, Tagungen (eine Auswahl)
1. G. de Haan: Emotion- and Problem-Focused Coping with Dilemmas, Trade-Offs and Risks in Schools. Vortrag im Rahmen der Digitalen Konferenz „Dilemmata der Nachhaltigkeit“, CvO-Universität Oldenburg am 11.06.2021
2. G. de Haan: Bildung für nachhaltige Entwicklung. Dilemmata, Risiken und Trade offs bewältigen lernen. Vortrag auf der didacta in Köln am 10.06.2022
3. de Haan, G.; Grüßel, S. (2023). Dilemmata, Risiken und Trade-Offs im Kontext der Bildung für nachhaltige Entwicklung – Eine Konzeptskizze, S. 243-258. In: A. Henkel u.a. (Hrsg.). Dilemmata der Nachhaltigkeit. Nomos Verlag, Baden-Baden.
4. Waldow-Meier, S. (2023). Bildung für nachhaltige Entwicklung: Kompetenzen im Umgang mit Unsicherheiten erlangen. DGfE-BNE-Kommissionstagung, Heidelberg am 26.9.23
5. Waldow-Meier, S. (2023). Möglichkeitsräume für ein gutes Anthropozän.
Utopien als konstruktiver Moment im Umgang mit Unsicherheiten und Krisen der Gegenwart, Akademie für politische Bildung, Tutzing am 11.10.2023
6. Waldow-Meier, S. (2024). Bildung für nachhaltige Entwicklung: Kompetenzen im Umgang mit Unsicherheiten erlangen. Vortrag und Workshop für „Schule der Zukunft“ NRW, nua NRW (Recklinghausen). 06.03.2024

Fazit

Zur Evaluation des Projektes wurden u.a. qualitative Interviews mit zwölf erfahrenen Pädagog:innen aus formalen und nonformalen Bildungskontexten durchgeführt, welche an einem Einführungsseminar teilgenommen hatten. Drei zentrale Kernaussagen aus den Interviews können im Sinne eines Fazits zusammengefasst werden:
„Der Fokus auf Kompetenzentwicklung zum Umgang mit Emotionen ist neu in der BNE und wird dringend gebraucht.“
„Ein Umgang mit Unsicherheit kann gelernt werden. Diese Materialien bieten eine fundierte Möglichkeit dazu.“
„Lehrkräfte brauchen Freiräume für solche Projekte und Kooperationen mit außerschulischen Lernorten. So kann Lernen für Nachhaltigkeit sehr handlungsbezogen und konkret erfahrbar werden.“

Aufgrund des insgesamt hohen Interesses und der angenommenen Relevanz des Projektformates wurden von Oktober 2023 bis Mai 2024 weitere Einführungsworkshops terminiert. Spezifische Einführungen im Rahmen von Veranstaltungen einzelner BNE-Akteur:innen werden auf Anfrage, soweit möglich, weiterhin umgesetzt.

Übersicht

Fördersumme

236.245,00 €

Förderzeitraum

01.03.2021 - 30.05.2024

Bundesland

Berlin

Schlagwörter

Landnutzung
Naturschutz
Umweltkommunikation