Die nachhaltige Entwicklung als ein gesellschaftliches Leitbild ist weitgehend akzeptiert. Darüber jedoch, wie nachhaltigkeitsorientiertes Handeln konkret auszugestalten ist, herrscht nicht immer Konsens. Das ist angesichts der inhaltlichen Breite der nachhaltigkeitsrelevanten Themenfelder, Akteure und damit auch Interessen nicht weiter verwunderlich. Prozesse der Transformation gehen teilweise einher mit Konflikten, Dilemmata und Unsicherheiten, denn Nachhaltigkeitsziele können in Konkurrenz zueinanderstehen. Dem entsprechend geraten Menschen, die sich im Sinne der Nachhaltigkeit „richtig“ verhalten wollen, permanent in Entscheidungskonflikte. Sie können bei den Handelnden zu Handlungsblockaden, Frustration oder gar Resignation führen, wenn diese sich ihre Frage nach dem richtigen Verhalten im Sinne des Nachhaltigkeitsleitbildes nicht beantworten können. Mit diesem Problem sehen sich auch junge Menschen konfrontiert, die sich angesichts dieser Unsicherheiten in einer herausfordernden Zeit für ein gutes Leben für alle einsetzen wollen. Der Umgang mit Zielkonflikten und Unsicherheiten ist aber nicht strukturell im schulischen wie außerschulischen Bereich verankert. Lernbegleiter:innen der Nachhaltigkeits- und Umweltbildung wie Lehrkräften oder Ehrenamtlichen selbst fehlt es an Wissen zu der didaktischen Herausforderung des Umgangs mit Nachhaltigkeitsdilemmata. Um relevante Zielgruppen hinsichtlich der erforderlichen Kompetenzen zu fördern und sie im Umgang mit Nachhaltigkeitsdilemmata und daraus resultierenden Unsicherheiten zu stärken, hat die Deutsche Kinder- und Jugendstiftung einen Massive Open Online Course (MOOC), einen Selbstlernkurs, entwickelt.
Die DKJS verfolgt mit dem Programm folgende Ziele:
Lernbegleiter:innen:
- kennen Best-Practice-Beispiele der Nachhaltigkeits- und Umweltbildung.
- kennen didaktische Ansätze und Methoden, um Nachhaltigkeitsziele und Nachhaltigkeitsdilemmata zu analysieren und abzuwägen.
- regen Kinder und Jugendliche an, sich mit Nachhaltigkeitsdilemmata auseinanderzusetzen.
- unterstützen Kinder und Jugendliche dabei, sich mit ihren Werten und Überzeugungen, Nachhaltigkeitszielen, -prinzipien und -dilemmata. auseinanderzusetzen.
- kooperieren mit anderen Lernbegleiter:innen, z.B. Material austauschen.
- kennen und reflektieren die Möglichkeiten, Bildungsansätze zu Nachhaltigkeitsdilemmata zu verankern.
- verankern Bildungsansätze zu Nachhaltigkeitsdilemmata.
Die DKJS hat 10 thematische Lerneinheiten und ein Einführungskapitel zum Thema „Nachhaltigkeitsdilemmata und Umgang mit Unsicherheiten“ entwickelt.
Die Deutsche Kinder- und Jugendstiftung begleitet die Teilnehmenden des Kurses kontinuierlich ab Veröffentlichung der ersten Lehreinheit im September 2022 in einem dazugehörigen Forum. Darüber hinaus bietet die Plattform, auf der der Kurs nutzbar ist, den Teilnehmenden Vernetzungsmöglichkeiten und regt explizit zum Austausch über didaktische Ansätzen und Methoden an.
Die Teilnehmenden erhalten nach erfolgreichem Abschluss des Kurses ein Zertifikat. In einer ersten Online-Abschlussveranstaltung wurden nach Ablauf des Kurses die Materialien und begleitenden Angebote gemeinsam mit Teilnehmenden ausgewertet, sowie Impulse für die Weiterentwicklung und Handlungsempfehlungen abgeleitet. Eine weitere Online-Veranstaltung wird Mitte 2023 angeboten werden, wenn noch mehr Menschen den Kurs absolviert haben.
Der Kurs bleibt auch nach Ende des Förderzeitraums auf der Plattforum abrufbar und wird vollständig nutzbar sein.
In der ersten Phase der Programmumsetzung stand das Zusammentragen von Erkenntnissen, Materialien und Erfahrungen zu Fragestellungen der Nachhaltigkeitsdilemmata, die inhaltliche Konzeption der Selbstlerneinheiten, die Entwicklung eines Wirkmodels des Programms, die Identifizierung von möglichen Mitwirkenden sowie die Auswahl einer technischen Plattform und einer Designagentur im Fokus unserer Aktivitäten.
Internes und externes Soundingboard
Im Sinne einer dialogischen und bedarfsorientierten Entwicklung des Online-Kurses sind die Konzeption und Aufbau der Module in mehreren stiftungsinternen- und externen Runden vorgestellt und von unterschiedlichen Akteuren gefeedbackt worden.
Die stiftungsinterne Expertise wurde in zwei Austauschterminen mit dem Wissensteam Bildung für Nachhaltige Entwicklung der DKJS abgedeckt. Es fanden und finden weiterhin zudem regelmäßige Austauschrunden mit dem Begleitgremium des Programms statt. Die Treffen dienen der Anreicherung und Validierung der thematischen Schwerpunkte der Materialien durch die Expertise und Perspektive der teilnehmenden Vertretungen der fördernden Ministerien. Teilnehmende Personen sind Michael Staaden, Ministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie und Mobilität Rheinland-Pfalz, Michael Frein, (ehemals) Ministerium für Wirtschaft, Verkehr, Landwirtschaft und Weinbau Rheinland-Pfalz (jetzt: Staatskanzlei Rheinland-Pfalz) und Jan Hendrik Winter, Ministerium für Bildung Rheinland-Pfalz, sowie das Programmteam der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung. Als drittes Soundingboard konnte eine Vertretung der Lokalen Agenda 21 Trier e.V. für eine inhaltliche Austauschrunde gewonnen werden.
Recherche und Ansprache von Refetent:innen
Jede Lerneinheit integriert unterschiedliche Elemente wie Videos, Inputs, Texte, Quizzes und Tests sowie zusätzliches vertiefendes Informationsmaterial. Zu jeder thematischen Einheit führen wir Filminterviews mit unterschiedlichen Expertinnen und Experten aus Wissenschaft, Zivilgesellschaft, Wirtschaft und Politik entlang von vorher definierten Leitfragen.
Technische Umsetzung
Die DKJS hat verschiedene Varianten für die Plattform des Kurses durchgespielt. Es gab neben der grundsätzlichen Möglichkeit eines eigenen Hostings auf www.dkjs.de mehrere Faktoren, die für ein externes Hosting sprachen. Dazu zählen geringere Kosten, etablierte technische Strukturen und eine bessere Vernetzung und Sichtbarkeit zu anderen Fort- und Weiterbildungsangeboten im deutschsprachigen Raum.
Die DKJS hat verschiedene Plattformen untersucht und sich für eine Einbettung bei www.oncampus.de, einer Ausgründung der FH Lübeck, entschieden. Das Team von oncampus hat eine große Expertise beim Hosting von MOOCs und die auf Moodle basierende Plattform ist in Deutschland weit verbreitet. Ein etablierter Anbieter bietet auch den Vorteil des dauerhaften technischen Supports und die Sicherung des dauerhaften Verbleibs des Kurses im Internet. Die DKJS hat in der Folge einen Vertrag mit oncampus abgeschlossen und die Kursumgebung auf der Plattform angelegt.
Um die technische Produktion der Beiträge sicherzustellen, hat die DKJS ein mobiles Studio für Aufnahmen eingerichtet und professionelles Equipment für Kamera, Beleuchtung, Tonaufnahme und Schnitt zusammengestellt.
Die DKJS kann jede Person an ihrem präferierten Ort besuchen und individuell auf die Rahmenbedingen der teilweise vielbeschäftigten Beitragenden eingehen.
Um dem Kurs einen einheitlichen Look zu verpassen, hat die DKJS Gespräche mit verschiedenen Design-Agenturen geführt und sich in der Folge für die Agentur kursiv aus Berlin entschieden. Nach einem gemeinsamen Verständnis für „Look and feel“ des Kurses hat die DKJS mit der Agentur ein Logo entwickelt.
Interviews und Erstellung von weiteren Materialien
Für die Interviews - das eigentliches Herzstück des Programms - hat das Team einen großen Teil der Ressourcen aufgewendet. Zu den Arbeitsschritten gehörten die Koordinierung möglicher Interviewtermine und weitere Absprachen mit Referentinnen und Referenten, die Vorbereitung der einzelnen Leitfäden sowie die eigentliche Interviewdurchführung.
Parallel zur Auswertung und Auswahl des Filmmaterials wurden weitere Inhalte für den Kurs produziert. Dazu gehören Moderationstexte, Tests, Quizzes und Animationen. Die Postproduktion der Interviews (Ton- und Bildbearbeitung) und die Aufzeichnung von Moderationsbeiträgen bildeten die nächsten Arbeitsschritte. Als erste Einheit wurde im September ein Teaser veröffentlicht, der potenziellen Interessierten einen Überblick über Ziele, Inhalte und Aufbau des Kurses ermöglicht.
Wirkungsorientierung
Gemeinsam mit der stiftungsinternen Abteilung für Wirkung und Entwicklung haben wir ein Wirkmodell für das Programm entwickelt sowie Maßnahmen und Leitziele in Bezug auf ihre Wirkung für die Zielgruppen in überprüfbare Outcomes übersetzt.
Evaluation
Die Zufriedenheit mit dem Kurs wird mittels einer Befragung unter den Teilnehmenden mit dem Umfragetool Lamapoll evaluiert, die zu Beginn des Projekts gemeinsam mit einer wissenschaftlichen Mitarbeiterin der DKJS entsprechend entwickelt und am Ende der letzten Kurseinheit verlinkt wurde.
Im Fokus steht hierbei die Zufriedenheit mit Methoden, Inhalten und Aufbau des Kurses sowie die Sammlung möglicher Erweiterungs- und Vertiefungsbedarfe.
Ergebnisse
Zielkonflikte und Dilemmata unterschiedlicher Art ziehen sich durch unseren Alltag und begegnen uns sowohl auf individueller Ebene, z.B. in Fragen des nachhaltigen Konsums und Urlaubsplanung, als auch auf politischer Bühne, wenn es um die Frage nach den richtigen Maßnahmen für die Implementierung der großen Transformation im Sinne der Realisierung der 17 Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen geht. Ein Bewusstsein zu schaffen für dieses Verhältnis von individueller Verantwortung einerseits und strukturellen Ursachen andererseits ist ein zentrales Anliegen des Kurses. Der erste Schritt zur Bewältigung von Dilemmasituationen ist dabei, sie als solche zu erkennen.
Nach einer grundlegenden Einführung in die 17 SDGs vor dem Hintergrund der Frage nach einem guten Leben vermittelt der Kurs deshalb erst einmal ein grundlegendes Verständnis für Dilemmata allgemein und versucht im Anschluss einen Bezug zum Alltag der Teilnehmenden anhand der niedrigschwelligen Themenbereiche Ernährung und Beleuchtung herzustellen. Anhand der Themenkomplexe Gerechtigkeit und Ökonomie werden systemische Konflikte und Ursachen von Dilemmata beleuchtet. Dabei wird deutlich, dass das Thema und die Auseinandersetzung damit auch politische Implikationen und Bezüge haben. Diese politische Dimension setzt sich in den Gesprächen mit Bildungsexpert:innen im folgenden Kapitel fort. Betont wird dabei vor allem die Notwendigkeit von Freiräumen auf struktureller Ebene sowie die Auseinandersetzung mit eigenen Werthaltungen und das Hinterfragen der eigenen Perspektive als Gegenstand von Lernprozessen. Im letzten thematischen Kapitel werden Beispiele guter Praxis von BNE und ihre Bezüge zum Thema Dilemmata vorgestellt.
Kursaufbau- und Strukturierung:
Kapitel 0: Einführung und Überblick
Kapitel 1: Das gute Leben
Kapitel 2: Dilemmata
Kapitel 3: Ernährung
Kapitel 4: Beleuchtung
Kapitel 5: Gerechtigkeit
Kapitel 6: Ökonomie
Kapitel 7: Kommunikation
Kapitel 8: Bildung
Kapitel 9: In die Praxis
Kapitel 10: Fazit und Ausblick
Die DKJS platziert und bewirbt den MOOC über multiple Kanäle. Dazu gehören:
• oncampus
• UNESCO-Akteurskarte
• diverse Newsletter
• Instagram
• Facebook
• Twitter
• Youtube
• LinkedIN
• Fortbildungskatalog Pädagogisches Landesinstitut RLP
• RENN-West
In internen und externen Veranstaltungen machen wir auf den MOOC aufmerksam. So haben wir mit dem Beitragenden Prof. Dr. Kai Niebert ein Abschlusstreffen mit Akteuren der offenen Jugendarbeit in Rheinland-Pfalz durchgeführt. Im Rahmen der Fachtagung „Auf dem Weg zur Schule von Morgen – Bildung für nachhaltige Entwicklung“, die das Nachhaltigkeitszentrum Thüringen gemeinsam mit dem Thüringer Institut für Lehrerfortbildung, Lehrplanentwicklung und Medien (ThILLM) und der DKJS am 26.08.2022 in Erfurt veranstaltete, hat das Programmteam zentrale Programmerkenntnisse in einem Workshop mit Lehrkräften und Bildungsmultiplikator:innen diskutiert. Es wurden zentrale Ergebnisse der Expert:inneninterviews vorgestellt und einzelne Reflexionsübungen angeboten. Dabei wurde noch einmal von Seiten der Teilnehmenden der große Bedarf an Bildungsangeboten zum Thema „Nachhaltigkeitsdilemmata“ artikuliert. Der Workshop fand nochmals, begleitend zum BNE-Aktionstag des Bundesministeriums für Bildung und Forschung am 23.01.2023, während eines Rundgangs der Konferenzteilnehmenden in den Räumlichkeiten der DKJS statt. Nach einem Einblick in das Programm wurden auch hier einzelne Reflexionsübungen durchgeführt. Das Feedback war erneut ein großes Interesse an Qualifizierungsworkshops für Lehrkräfte mit einem praktischen Fokus auf der Vermittlung von Ansätzen und Methoden, mit denen Lehrkräfte und Bildungsbegleiter:innen eine Auseinandersetzung mit Nachhaltigkeitsdilemmata anleiten können.
Die DKJS bewirbt den Kurs fortwährend und stellt ihn gerne auf Anfrage auf Fachtagen und Netzwerktreffen vor.
Wie vor dem Projekt vermutet, ist das Interesse am Thema Nachhaltigkeitsdilemmata generell, insbesondere der Bedarf an Materialien und Unterstützungsangeboten zum Umgang mit der Thematik in Bildungskontexten, sehr groß. Der MOOC hat einen ersten Beitrag dazu geliefert, das Thema weiter in der Bildungslandschaft zu verankern und bot den Rahmen, Akteur:innen ganz unterschiedlicher Profession in diesem Kontext zu vereinen.
Durch die anhaltende Corona-Pandemie gestalteten sich Videoreportagen und persönliche Interviewtermine zeitweise schwierig. Am Ende wurden deutlich mehr Interviews digital über ZOOM aufgenommen als ursprünglich geplant. Ebenso hat sich der Zeitplan nach hinten geschoben, da manche Beitragende erst spät wieder verfügbar waren.
Insgesamt kann das Projekt als großer Erfolg gewertet werden. Das Ergebnis entspricht den Zielsetzungen und Vorüberlegungen und wird gut angenommen.
Da der MOOC offen, kostenfrei und dauerhaft im Internet verfügbar ist, kann jede:r Interessierte:r von ihm partizipieren. Insbesondere hoffen wir, dass Kinder und Jugendliche von gestärkten und inspirierten Lernbegleiter:innen profitieren können.
Ein sinnvoller nächster Schritt wäre das Angebot von Blended Learning Formaten auf Basis des MOOCs. Wir empfehlen Workshops und Fortbildungen sowohl digital als auch in der realen Welt, um vertiefter mit Fachkräften und Bildungsmultiplikator:innen arbeiten und den Peer-Ansatz noch verstärken zu können. Dabei kann die Entwicklung und Publikation von Praxisleitfäden ein wertvoller Baustein sein. Durch den modularen Aufbau des MOOCs ist auch jederzeit ein Update oder eine Erweiterung möglich. So kann dieses Format lernen und wachsen.