Gewerkschafter*innen stehen oft im Spannungsfeld der sozial-ökologischen Transformation. Sie sind diejenigen, die täglich mit den Ängsten und Sorgen ihrer Kolleg*innen und Mitglieder konfrontiert werden, sei es im Zusammenhang mit dem Ausstieg aus der Braunkohle, dem Verbot von Verbrennungsmotoren, steigenden CO2-Preisen oder dem Umstieg auf grünen Stahl. Dabei begegnen sie dem zentralen Dilemma, dass Erwerbsarbeit zwar den Lebensunterhalt sichert, jedoch häufig die Lebensgrundlagen zerstört. Gewerkschaftliche Bildungsarbeit zielt darauf ab, Angebote zu schaffen, um ihre Mitglieder zu Akteuren des Wandels auszubilden.
Bisher existieren jedoch kaum wissenschaftliche Arbeiten, die sich mit den Spezifika gewerkschaftlicher Bildung für eine nachhaltige Entwicklung (BNE) auseinandersetzen. Zwar gibt es innerhalb der gewerkschaftlichen Bildungsarbeit Angebote zu Themen der Nachhaltigkeit, ein explizites BNE-Programm fehlt jedoch. Auch im Rahmen des innovativen Bildungsformats „IG Metall vom Betrieb aus denken“, das über 1000 Veränderungspromotoren ausbildet, spielt das Thema Nachhaltigkeit nur eine untergeordnete Rolle.
In Zusammenarbeit mit dem IG Metall Bildungswerk Beverungen, dem IG Metall Bezirk Berlin-Brandenburg-Sachsen, der IG Metall Geschäftsstelle Wolfsburg, dem DGB Südbaden und dem ver.di Bildungswerk Bremen entwickelt dieses Projekt ein transformatives BNE-Angebot. Ziel des Bildungsangebots ist es, Transformationsprozesse in der Arbeitswelt anzustoßen, die sowohl sozial als auch ökologisch nachhaltig sind. Dabei sollen die Transformationskompetenzen von Gewerkschafter*innen im Umgang mit bestehenden Nachhaltigkeitsdilemmata sowie den Unsicherheiten potenzieller Lösungswege gestärkt werden.
Dieses Projekt leistet somit einen wichtigen Beitrag zur gewerkschaftlichen Bildung für nachhaltige Entwicklung, indem es praxisnahe und transformative Lernprozesse fördert. Es trägt dazu bei, dass Gewerkschafter*innen eine aktive Rolle in der Gestaltung nachhaltiger Arbeitswelten übernehmen können und die nötigen Fähigkeiten und Kenntnisse erwerben, um die Herausforderungen der sozial-ökologischen Transformation zu meistern.
Bestandsanalyse: An der Technischen Universität Berlin werden Nachhaltigkeitsdilemmata in der Gewerkschaftsarbeit auf betrieblicher Ebene untersucht und die Relevanz sowie Spezifika einer gewerkschaftlichen Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) erfasst. Ziel ist es, Systemwissen über die spezifischen Anforderungen von BNE an gewerkschaftliche Bildungsarbeit zu generieren. Die Untersuchung basiert auf einer umfangreichen Literaturrecherche und Experteninterviews mit Gewerkschaftssekretär*innen und Bildungsreferent*innen.
Ko-Design: Gemeinsam mit NELA und dem IG Metall Bezirk Berlin-Brandenburg-Sachsen führt die TU Berlin einen Design Thinking Prozess mit Gewerkschafter*innen und Umweltaktivist*innen durch. Ziel ist die Entwicklung von Strategien für eine ökologische Gewerkschaftspolitik zur Bearbeitung der identifizierten Nachhaltigkeitsdilemmata. Die resultierenden Prototypen liefern Zielwissen zur praktischen Umsetzung ökologischer Gewerkschaftspolitik im Betrieb.
Bildungsangebot: Aufbauend auf Bestandsanalyse und Ko-Design-Prozess entwickelt NELA in Zusammenarbeit mit der TU Berlin und gewerkschaftlichen Bildungspartnern einen transformativen Lernprozess. Dieser nutzt Design Thinking Methoden und ist in einen experimentellen Lernzyklus eingebettet, der Problemanalyse, Visionsentwicklung, Experimentieren und Reflexion umfasst. Ziel ist es, durch betriebliche Lösungsstrategien Transformationswissen zur Bearbeitung von Nachhaltigkeitsdilemmata zu generieren.
Evaluation: Die TU Berlin führt eine wissenschaftliche Evaluation des Bildungsangebots durch, um geeignete Methoden für transformative Lernprozesse in der gewerkschaftlichen Bildung zu identifizieren. Dies erfolgt durch teilnehmende Beobachtung und partizipative Evaluationsmethoden wie die Value Creation Methode.
Kommunikation: NELA begleitet das Projekt mit umfassender Öffentlichkeitsarbeit, um die Nachhaltigkeit des Bildungsangebots zu gewährleisten. Ein Methodenheft wird erstellt und auf einer Tagung in Kooperation mit der Evangelischen Akademie Tutzing vorgestellt. Die Projektergebnisse werden zudem auf zahlreichen Workshops präsentiert. Wichtige Multiplikator*innen sind der Projektbeirat und das Fachforum.
Durch diese strukturierte Vorgehensweise zielt das Projekt darauf ab, einen signifikanten Beitrag zur gewerkschaftlichen Bildung für nachhaltige Entwicklung zu leisten und praxisnahe, transformative Lernprozesse zu fördern.
Im Rahmen der Bestandsanalyse wurden 24 Interviews mit Gewerkschafter*innen durchgeführt. Dies führte zu einer Publikation zu gewerkschaftlichen Narrative sozial-ökologischer Transformation. Sechs Factsheets dokumentierten Best-Practice-Beispiele erfolgreicher betrieblicher Transformationsprojekte. Eine weitere Publikation thematisierte die Lernziele, Lerninhalte und Lernmethoden gewerkschaftlicher Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE). Ein dritter Artikel verglich Oskar Negts Lerntheorie der Arbeiterbildung mit der Theorie des transformativen Lernens. Die Ergebnisse zeigen, dass gewerkschaftliche BNE auf das Kollektiv der Arbeiterschaft fokussiert, spezifische Nachhaltigkeitsdilemmata adressiert und im betrieblichen Trilemma zwischen Arbeit, Umwelt und Geschäftsführung verortet ist.
Für das Ko-Design wurde ein Design Thinking Workshop entwickelt. Die wissenschaftlich publizierten Ergebnisse und die Kurzvideos des Workshops zeigen, dass ökologische Gewerkschaftspolitik vor allem bei der betrieblichen Mitbestimmung ansetzt. Sie entwickelt Prozesse und Rahmenbedingungen, um die Beschäftigten an der sozial-ökologischen Transformation zu beteiligen und gegebenenfalls erforderlichen Druck aufzubauen.
Es wurden Formate für Bildungsurlaub, Fortbildungen im betrieblichen Umweltschutz und für Auszubildende entwickelt und erfolgreich anerkannt. Die Nachfrage nach solchen Angeboten blieb jedoch während der Projektzeit begrenzt. Besonders herausfordernd war die Gewinnung der ursprünglich fokussierten Zielgruppe der Betriebsrät*innen. Eine Kurzstudie auf Basis von fünf Interviews ergab, dass Nachhaltigkeitsthemen aufgrund akuter betrieblicher Probleme und knapper Ressourcen der Betriebsrät*innen oft in den Hintergrund treten. Allerdings konnten im Rahmen des Projekts junge Gewerkschafter*innen erreicht werden, die betriebliche Transformationsprojekte entwickelten, die in Kurzvideos dokumentiert wurden. Ein Beispiel hierfür ist ein Escape Room als Bildungsformat, der über das Projekt hinaus weiterentwickelt wird.
Ein umfassendes Methodenheft von über 30 Seiten mit umfangreichem Zusatzmaterial wurde erstellt, um das Bildungsangebot zu wiederholen. Basierend auf der Evaluation der Fortbildung entstand eine wissenschaftliche Publikation, die die Vorteile von Design Thinking für transformative Lernprozesse diskutiert.
Das Projekt wurde von umfangreicher Wissenschaftskommunikation begleitet, darunter Veranstaltungen, Podcasts, Blogbeiträge, eigene Fortbildungen und eine Herbstakademie. Ein Kommunikationskonzept wurde erstellt, um die Projektergebnisse professionell innerhalb der gewerkschaftlichen Bildungsarbeit zu verbreiten, welches eine Mischung aus persönlicher und digitaler Kommunikation sowie Printmedien nutzt. Insgesamt wurden die Projektergebnisse auf mehr als 30 Veranstaltungen, darunter Vorträge und Workshops, präsentiert. Durch die beteiligten Praxisakteure und mehrere Transferprojekte werden die Ergebnisse über das Projekt hinaus in der gewerkschaftlichen Bildungsarbeit verstetigt. Die Ergebnisse wurden in vier nicht-wissenschaftlichen und sechs wissenschaftlichen Publikationen zielgruppengerecht aufbereitet. Über die dauerhaft zugängliche Projektwebsite werden die im Projekt entwickelten didaktischen Methoden zur Verfügung gestellt. Dort sind auch kurze Videos zu den von den Lernenden entwickelten Prototypen ökologischer Gewerkschaftspolitik zu finden.
www.oekologische-gewerkschaftspolitik.deJorck, G. von/Brumbauer, T./Heck, L. (2022): Gewerkschaftliche Bildung: für eine nachhaltige Entwicklung. In: Gegenblende – das gewerkschaftliche Debattenmagazin.Mewes, S. (2022): Ökologische Gewerkschaftspolitik. In: Agora42. S. 78-81Eulberg, L. (2022): Tagungsbericht “Lohn und Erde – Ökologische Gewerkschaftspolitik”Videos zu Stories of ChangeDas Projekt stieß bei den Stakeholdern auf sehr positive Resonanz. Angesichts der sich verändernden politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen sowie der Debatten um eine sozial-ökologische Transformation, ist die gewerkschaftliche Bildungsarbeit in Bewegung und sucht nach neuen Konzepten und Formaten für Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE). Die Wichtigkeit und das große Interesse an einer Zusammenarbeit wurden von fast allen Stakeholdern betont. Das Projekt profitierte von seiner Verankerung innerhalb der Gewerkschaften. Die Publikationen des Projekts wurden wahrgenommen und führten bereits während der Laufzeit zu Kooperationen mit ver.di und der IGBCE. Mehrere Nachfolgeprojekte wurden initiiert, wodurch die Verstetigung des Bildungsangebots gesichert ist.
Eine zentrale Herausforderung betrifft die Freistellungsfähigkeit der Fortbildung. Es zeigte sich, dass zwar ein starkes Interesse seitens der Gewerkschaftssekretär an transformativer Bildung besteht, aber Bildungsangebote zu nachhaltiger Entwicklung im Kontext betrieblicher Gewerkschaftsbildung kaum nachgefragt werden. Eine weitergehende Analyse der Bedarfe und Interessen der Gewerkschaftsmitglieder wäre in einem möglichen Folgeprojekt notwendig, um passgenauere Angebote zu entwickeln. Ein hindernder Faktor ist die häufige Überlastung und eingeschränkte Ressourcenkapazität vieler betrieblicher Gewerkschaftsakteure.