Entwicklung eines neuartigen Methodensets zur Risikoabschätzung der Invasivität von Neozoen unter dem Aspekt des Klimawandels am Beispiel allochthoner Populationen der Mauereidechse (Podarcis muralis) in Deutschland
Projektdurchführung
Universität TrierFachbereich VI, Raum- und UmweltwissenschaftenBiogeographieCampus I, Gebäude N
Universitätsring 15
54286 Trier
Zielsetzung und Anlass des Vorhabens
Biologische Invasionen sind in ihren Interaktionen mit dem Klimawandel erst unzureichend untersucht. Unser Projekt versuchte diese zugleich komplexen und dynamischen Interaktionen in neue methodische Ansätze (prognostische Modelle) zu integrieren, um eine solidere Abschätzung des Handlungsbedarfs bei Invasionen durch Neobiota zu ermöglichen. Als Modellsystem zur Entwicklung dieses Prognosetools wurden zahlreiche eingeschleppte und etablierte Mauereidechsen-Populationen (Podarcis muralis) in Deutschland ausgewählt. Die Herkunft dieser invasiven Populationen sollte ermittelt werden. Durch eine Klimanischenmodellierung sollte getestet werden, in wie weit (i) die evolutive Herkunft (genetische Linie) sowie (ii) die klimatische Eignung des Aussetzungsraumes im Vergleich zur Klimanische der jeweiligen Linie den Erfolg der Etablierung beeinflussen. Als weiteres Projektziel wurde die genetische Variation und Ausbreitungshistorie ausgewählter allochthoner Populationen mittels hoch auflösender genetischer Marker rekonstruiert. Eine Untersuchung von Individuen in Kontaktzonen, in denen eingeschleppte Populationen auf indigene Bestände treffen, sollte Aufschluss über eine mögliche Hybridisierung als wichtigen Faktor von Invasivität und die Auswirkungen auf heimische Populationen geben.
Darstellung der Arbeitsschritte und der angewandten MethodenDas von uns genutzte und zu einem Gesamtprognosetool eingesetzte Methodenspektrum stellt eine innovative Kombination modernster Analyse- und Modellierungsansätze dar. Die unmittelbare Verknüpfung von standardisierter molekulargenetischer Herkunftsidentifikation (DNA-Barcoding) und Klimanischenmodellierung ist ein methodisch auf andere Arten leicht zu übertragendes Werkzeug. Einmalig ist hierbei die Option, die daraus abgeleiteten Vorhersagen über den realen Etablierungserfolg einzelner evolutionärer Linien sowie die in ausgewählten, besonders gut dokumentierten Populationen rekonstruierte Historie der Etablierung zu überprüfen und durch diese retrospektive Validierung das Prognosetool auf seine Übertragbarkeit auf andere Arten zu testen. In der Praxis kann die Anwendung des Prognosetools zu einer wesentlich solideren Abschätzung des Handlungsbedarfs bei Invasionen durch Neozoen/Neophyten und damit zu einer Optimierung des Naturschutzmanagements führen. Für die populationsgenetischen Fragestellungen sowie die Analyse von Hybridisierungen wurden neben der mtDNA-Sequenzierung über 800 Individuen an 13 Mikrosatelliten-Genorten genotypisiert.
Ergebnisse und Diskussion
Über eine mtDNA-Sequenzierung wurden in diesem Projekt 89 eingeschleppte Populationen in Mitteleuropa acht geografisch abgrenzbaren evolutionären Linien zugeordnet. Dieser Datensatz wurde in Kombination mit Artverbreitungsmodellen zur Überprüfung intraspezifischer Nischendivergenz genutzt. Trotz deutlicher Nischendifferenzierung zwischen den Linien, wurde nur eine schwache Korrelation zwischen geographischem Ursprung und invasivem Vorkommen gefunden. Linien mit enger realisierter Nische sind vermutlich aufgrund ihrer breiten fundamentalen Nische dennoch fähig erfolgreich Gebiete weit außerhalb ihres Areals zu kolonisieren. Für die populationsgenetischen Analysen dieser Arbeit bewährten sich, alternativ zu Gewebeproben, nicht-invasiv gewonnene Mundschleimhautproben zur DNA-Analyse. Über eine DNA-Sequenzierung konnte der Ursprung (Poebene und nördliche Adriaregion) der nördlichsten eingeschleppten Ruineneidechsen-Population (Podarcis siculus) bestimmt werden. Zudem wurde eine syntop in eine P. muralis Population eingeschleppte Podarcis liolepis Population erstmals in Deutschland nachgewiesen. Beide stammen vermutlich aus den Ost-Pyrenäen. Die Mikrosatelliten-Analyse zeigte keinen Genfluss zwischen beiden Arten. Verglichen mit natürlichen Populationen aus Süd-Frankreich konnten die eingeschleppten Populationen beider Arten aufgrund von hohem Aussetzungsdruck eine hohe genetische Diversität erhalten. Entlang des Oberrheingrabens treffen heimische Mauereidechsen auf eingeschleppte italienische Linien. In diesen Populationen wurde eine schnelle genetische Assimilation durch Hybridisierung mit gebietsfremden Mauereidechsen nachgewiesen. Die genetische Diversität dieser Hybridpopulationen war wesentlich höher als die reiner eingeschleppter oder reiner natürlicher Populationen. Der Zusammenhang zwischen genetischer Diversität und Durchmischungsgrad war nicht-linear und erreichte frühzeitig ein Plateau hoher genetischer Diversität bei einer Vermischung von zwei Linien. Das Ausmaß an Introgression und die schnelle Bildung von Hybridschwärmen zeigt, dass Einschleppungen die genetische Integrität natürlicher Populationen stark gefährden. Die kleinräumige, genetische Analyse einer expandierenden Population in Passau zeigt, dass eine signifikante Strukturierung schnell und kleinräumig entstehen kann. Die genetische Differenzierung wurde unter Abnahme der genetischen Diversität vom Einschleppungszentrum zum Expansionsrand stärker. Abschließend wurden die wichtigsten Resultate für die Naturschutzpraxis zusammengefasst und die Schwierigkeiten der phänotypischen Zuordnung von Populationen zu evolutionären Linien sowie der naturschutzrechtliche Umgang mit Einschleppungen diskutiert.
Öffentlichkeitsarbeit und Präsentation
Das Projekt ist abgeschlossen und alle Teilaspekte und Ziele sind erreicht worden. Bis jetzt sind eine Vielzahl unterschiedlicher Artikel sowie Vorträge zu dem Thema verfasst worden, z. B.:
Schulte, U., Veith, M. & A. Hochkirch (2012): Rapid genetic assimilation of native wall lizard populations (Podarcis muralis) through extensive hybridization with introduced lineages. - Molecular Ecology doi: 10.1111/j.1365-294X.2012.05693.x
Schulte, U., Hochkirch, A., Lötters, S., Rödder, D.,Schweiger, S., Weimann, T.& M. Veith (2012): Cryptic niche conservatism among evolutionary lineages of an invasive lizard. - Global Ecology and Biogeogra-phy 21: 198-211.
Schulte U., K. Bidinger, G. Deichsel, A. Hochkirch, B. Thiesmeier & M. Veith (2011): Verbreitung, geo-grafische Herkunft und naturschutzrechtliche Aspekte allochthoner Vorkommen der Mauereidechse (Po-darcis muralis) in Deutschland. - Zeitschrift für Feldherpetologie 18: 161-180.
Im Rahmen des Projekts wurden Naturschutzbehörden informiert, (1) wie sie heimische und gebietsfremde Populationen unterscheiden können, (2) wie sie neu entdeckte allochthone Populationen beproben können, und (3) wen sie kontaktieren können, um über eine genetische Analyse die genetische Herkunft eines Vorkommens zu ermitteln. Zudem wurden Handlungsempfehlungen für gebietsfremde Vorkommen sowie Hybridpopulationen veröffentlicht.
Fazit
Die Ergebnisse des Projektes haben unmittelbare naturschutzrechtliche und naturschutzfachliche Relevanz. Sie verdeutlichen, dass entgegen der bisherigen zweifelhaften Praxis insbesondere bei Naturschutzmaßnahmen zwischen heimischen und gebietsfremden Linien einer bei uns heimischen Art unterschieden werden muss. Eine Vielzahl von Naturschutzbehörden, aber auch Planungsbüros, haben bereits Herkunftsbestimmungen von Vorkommen zweifelhafter Herkunft an der Universität Trier durchführen lassen. Zudem wird in dem Spannungsfeld allochthone Mauereidechsen und Bahnlinien mit Vertretern der Deutschen Bahn kooperiert. An der Modellart Mauereidechse konnten über eine Analyse von Ursachen für den lokal unterschiedlichen Invasionserfolg in Verbindung mit der Klimanischenmodellierung einer Art beispielhaft Erfahrungen gesammelt werden, die auf andere bedrohte xerothermophile Arten übertragen werden können. Die unmittelbare Verknüpfung von standardisierter molekulargenetischer Herkunftsidentifikation (DNA-Sequenzierung), Populationsgenetik und Klimanischenmodellierung ist ein methodisch auf andere Arten leicht zu übertragendes Werkzeug, welches die Entscheidungsfindung für Handlungsoptionen im praktischen Naturschutz für zahlreiche von Invasionen beeinflusste indigene Arten verbessert wird.
Fördersumme
89.991,00 €
Förderzeitraum
28.01.2009 - 28.01.2012
Bundesland
Rheinland-Pfalz
Schlagwörter