Osnabrück. Bäuerinnen und Bauern erleben eine der größten Transformationen ihres Berufsstands: Landwirtschaft auf dem Weg zu mehr Nachhaltigkeit. Eine Herausforderung ist die Frage, wie – für mehr Umweltschutz – Pestizide zu reduzieren sind, ohne die eigene wirtschaftliche Existenz zu gefährden. Die Deutsche Bundesstiftung Umwelt (DBU) nimmt das Thema zum Anlass, morgen (Donnerstag) mit einer Veranstaltung im digitalen und Präsenzformat eine Förderinitiative zur Vermeidung und Verminderung von Pestiziden im Detail vorzustellen. „Landwirtschaft und Umweltschutz hängen unmittelbar zusammen. Lösungen für einen nachhaltigeren Umgang mit Böden, Wiesen, Wasser und Luft schaffen wir nur gemeinsam“, so DBU-Generalsekretär Alexander Bonde.
Die Veranstaltung ist am Donnerstag ab 12:45 Uhr live auf YouTube https://youtu.be/3TJ4tzRitb0 zu verfolgen. Wer will, kann per Chat-Funktion mitdiskutieren. Die Maßnahmen der Förderinitiative verteilen sich im gesamten Bundesgebiet und haben eine Laufzeit von zwei bis drei Jahren. Die Deutsche Bundesstiftung Umwelt fördert die Initiative nicht nur fachlich, sondern auch finanziell mit drei Millionen Euro. Insgesamt fallen Kosten von etwa 4,3 Millionen Euro an. Bei der Auswahl der Projekte hatten DBU-Fachleute und ein Gutachtergremium die Qual der Wahl. „Uns haben rund 80 Bewerbungen erreicht, von denen schließlich elf für eine Förderung ausgewählt wurden“, sagt der zuständige DBU-Abteilungsleiter Dr. Maximilian Hempel, der die Idee zur Initiative hatte. Der Grund lag für ihn auf der Hand: „Der Rückgang der Artenvielfalt zählt neben dem Klimawandel zu den drängendsten Umweltproblemen unserer Zeit“, so Hempel. Den Ernst der Lage habe die Forschung von Prof. Dr. Katrin Böhning-Gaese eindrücklich beschrieben. Die Ökologin wird dafür dieses Jahr in Darmstadt mit dem Deutschen Umweltpreis der DBU ausgezeichnet; sie teilt sich den mit insgesamt 500.000 Euro dotierten Preis mit Moorforscher Prof. Dr. Dr. h.c. Hans Joosten.
Von Hochschulen bis zur mittelständischen Wirtschaft
Für informative Debatten dürfte morgen gesorgt sein. Mit dabei sind Teams der einzelnen Vorhaben – darunter Hochschulen, mittelständische Unternehmen und Behörden wie etwa Landwirtschaftskammern. Hinzu kommen die am Auswahlverfahren beteiligten Gutachterinnen und Gutachter. Einen Impulsvortrag zur Reduzierung von Pflanzenschutzmitteln hält Hubertus Paetow, selber Landwirt und Präsident der Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft (DLG). Paetow war Mitglied der von der Bundesregierung eingesetzten Zukunftskommission Landwirtschaft, die im Juni dieses Jahres ihren Abschlussbericht vorlegte. Eine Empfehlung: staatliche Förderung für Landwirte an umwelt- und klimapolitische Kriterien koppeln – etwa am Artenschutz und an der Minderung von Treibhausgasen.
Jedes Jahr rund 27.000 Tonnen Pestizid-Wirkstoffe auf Äckern und Feldern
Landwirtschaft befinde sich in einer veritablen Zwickmühle, so Hempel. „Zum einen ist sie unabdingbar für den Erhalt offener Agrarlandschaften und deren vielfältiger Biodiversität; zum anderen ist sie unter Druck, qualitativ hochwertige Lebens- und Futtermittel möglichst preiswert zu produzieren.“ Eine Folge: erhöhter Pestizideinsatz, um Erträge zu steigern. Dieser Spagat sei auf Dauer kaum zu bewältigen, gehe vor allem zu Lasten von Umwelt und Natur, so Hempel. Der DBU-Abteilungsleiter verweist dabei auf Gutachten der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina, die Politik und Gesellschaft in wichtigen Zukunftsfragen berät, sowie des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU): Beide renommierten Institutionen seien sich mit der Zukunftskommission Landwirtschaft darin einig, „dass die Verwendung von Pestiziden erheblich zu verringern ist“, sagt Hempel. Tatsächlich legt die aktuelle Statistik schnelles Handeln nahe: Laut Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit ist der Absatz der rund 280 in Deutschland zugelassenen Pflanzenschutzmittel seit einem Vierteljahrhundert nahezu unverändert. Jedes Jahr werden rund 27.000 Tonnen Wirkstoffe auf deutschen Äckern und Feldern ausgebracht.
Kampf gegen Kirschessigfliegen, Blattflöhe und Spinnmilben
„Die Nachfrage nach alternativen Pflanzenschutzmaßnahmen ist mittlerweile zwar hoch, praxistaugliche Alternativen sind jedoch kaum vorhanden“, sagt Hempel und beschreibt die Herausforderung. Die nun startende Förderinitiative will das ändern und steckt sich klare Ziele: Vermeidung und Verminderung von Pestizidrückständen in der Umwelt, Entwicklung ressourcen- und energieeffizienter nicht-chemischer Pflanzenschutzmethoden, Ersatz chemischer Pflanzenschutzmittel und: Schutzgebiete besser vor Pestiziden bewahren. Die ausgewählten Projekte der Förderinitiative versprechen jedenfalls spannende neue Erkenntnisse. Der Befall von Blattflöhen im Obstbau und von Spinnmilben bei Hopfen wird ebenso unter die Lupe genommen wie der Kampf gegen die aus Südostasien eingewanderte Kirschessigfliege, einer der gefährlichsten Schädlinge im Obst- und Weinbau.