Paderborn. Reifenabrieb im Straßenverkehr belastet Mensch und Umwelt erheblich: Er ist laut Forschung verantwortlich für etwa ein Drittel der insgesamt 330.000 Tonnen Mikroplastik, die jedes Jahr allein in Deutschland freigesetzt werden. Die gute Nachricht: Schon kleine Änderungen an der Achse verringern den Reifenabrieb deutlich und verbessern somit den Umweltschutz, haben Untersuchungen der Universität Paderborn ergeben. Die Deutsche Bundesstiftung Umwelt (DBU) hat das Vorhaben finanziell mit rund 125.000 Euro gefördert.
Bericht zur Luftqualität
Zwar hat sich die Luftqualität in Europa in den vergangenen zehn Jahren verbessert. Doch nach einem aktuellen Bericht der Europäischen Umweltagentur war Feinstaub zum Beispiel im Jahr 2018 in 41 europäischen Ländern eine Hauptursache für etwa 417.000 vorzeitige Todesfälle. Oft werden Feinstaubemissionen in der Stadt mit Rußpartikeln aus Autoabgasen in Verbindung gebracht. Einen weit größeren Anteil am Partikelausstoß hat jedoch Reifenabrieb. Und: Der Abrieb von Reifen ist laut einer Studie der Weltnaturschutzorganisation (IUCN) ein wesentlicher Faktor auch für den Eintrag von Mikroplastik in die Weltmeere. „Die Automobilbranche muss sich auch bei diesem Thema konsequent in Richtung Nachhaltigkeit bewegen“, sagt Alexander Bonde, DBU-Generalsekretär. „Umweltaspekte müssen künftig eine Hauptrolle spielen.“ Schon kleine Veränderungen könnten viel bewirken. Das zeige das Forschungsprojekt der Universität Paderborn.
Geringfügige Anpassung mit großer Wirkung
„Die Menge des Reifenabriebs hängt unter anderem vom Zusammenspiel zwischen Fahrwerk, Reifen und Fahrbahn ab, worauf die Auslegung der Achssysteme einen relativ großen Einfluss hat“, sagt Prof. Dr. Walter Sextro, Leiter des Projekts und Inhaber des Lehrstuhls für Dynamik und Mechatronik an der Universität Paderborn. Die vom Forscherteam durchgeführten Untersuchungen basieren auf experimentell validierten Modellen eines Reifens und einer Hinterachse eines Serienfahrzeugs der Mittelklasse. Sextro: „Durch Optimierung des Achssystems konnte die Menge des Reifenabriebs unter den gewählten Bedingungen in der Simulation bei einer Geschwindigkeit von 100 Stundenkilometern um rund die Hälfte verringert werden, wenn an der Achse vergleichsweise geringe geometrische Veränderungen vorgenommen werden.“ Reale Fahrversuche eines Projektpartners zeigten nach Sextros Worten zuvor bereits das Potenzial für eine Reduktion. Im Projekt wurde eine Methodik entwickelt, mit der es möglich ist, die Reibarbeit zwischen Reifen und Straße als Indikator für die Menge an Reifenabrieb zu berechnen und den Einfluss der Achseigenschaften auf die Reibarbeit zu analysieren.
Experte: zusätzliche Kriterien bei der Optimierung des Fahrwerks
Zukünftig soll die Simulation um ein Modell der Vorderachse und des Fahrzeugaufbaus erweitert werden, um den Einfluss der Achseigenschaften auf die Menge an Reifenabrieb unter Berücksichtigung der Fahrzeugdynamik detaillierter zu analysieren. Die Berechnungsergebnisse könnten dann in noch größerem Umfang auf den Realverkehr übertragen werden. Bei der Verbesserung eines Fahrwerks stellen die Automobilhersteller nach Sextros Worten bisher vor allem hohe Anforderungen an Fahrdynamik, Fahrkomfort und Sicherheit. „Die Reduktion von Reifenabrieb stellt in der Fahrwerksauslegung in der Regel kein Hauptkriterium dar“, sagt der Experte. Die detaillierte Simulation des Reifenabriebs sollte in der Vorauslegung von Fahrzeugen deutlich mehr in Betracht gezogen werden „Denn bei elektrisch angetriebenen Fahrzeugen kommt es durch die schweren Akkus zu noch mehr Reifenabrieb“, sagt er.
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Die wesentlichen Ergebnisse des DBU-Forschungsprojekts finden Sie in den Kapiteln 6 und 7 der Fachpublikation „Tire Wear Reduction Based on an Extended Multibody Rear Axle Model“ von Schütte & Sextro, die im Journal „Vehicle System Dynamics“ veröffentlicht wurde: https://doi.org/10.3390/vehicles3020015