Schönau. „Ihr Mut und ihre Tatkraft sind ein außergewöhnliches Beispiel für das Gelingen der Energiewende vor Ort. Aus einer Bürgerinitiative in Schönau gründete sie den ersten Ökostromanbieter Deutschlands und lebt die Vision einer dezentralen und umweltfreundlichen Energieversorgung. Von Anfang an setzte sie auf eine enge Zusammenarbeit mit den Bürgern und beweist, dass man sich gemeinsam auch gegen eigentlich übermächtige Groß-Energieversorgungsunternehmen durchsetzen und einen ökologischen Wandel bewirken kann. Das macht sie zu einem gesellschaftlichen Vorbild.“ – Mit diesen Worten würdigte heute Dr.-Ing. E. h. Fritz Brickwedde, Generalsekretär der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU), die Verleihung des Deutschen Umweltpreises 2013 der DBU an die Vorstandsvorsitzende der Netzkauf ElektrizitätsWerke Schönau (EWS) e.G., Ursula Sladek (67). Bundespräsident Joachim Gauck wird ihr die Auszeichnung am 27. Oktober in Osnabrück überreichen. Ihr Preisgeld: 250.000 Euro.
Sladeks Ziel: nie ein möglichst hoher Gewinn, sondern möglichst viel bewegen
Sladek habe früh erkannt, dass die Energiewende nur gemeinsam mit den Bürgern und Kommunen umgesetzt werden könne, betonte Brickwedde. Nach dem Reaktorunfall von Tschernobyl 1986 habe die studierte Lehrerin und Mutter von fünf Kindern den Verein „Eltern für atomfreie Zukunft“ mit ins Leben gerufen, in dem sie zehn Jahre Vorstandsvorsitzende gewesen sei. Gemeinsam hätten die Stromrebellen die Vision einer sicheren, wirksamen und zukunftsfähigen Energieversorgung verfolgt. Mithilfe von Fachleuten hätten sie sich ein umfangreiches Wissen angeeignet und 1994 den Ökostromanbieter EWS gegründet, für den Sladek bis heute als Vorstand der Genossenschaft tätig ist. Nach dem erfolgreichen Meistern vieler Hürden und zwei gewonnener Bürgerentscheide habe sich Sladek mit den EWS gegen den bisherigen Stromanbieter durchgesetzt und 1997 das Schönauer Stromnetz übernommen. Dabei habe sie sich nicht von überhöhten Verkaufspreisen einschüchtern lassen. Ihr Ziel sei nie ein möglichst hoher Gewinn gewesen, sondern möglichst viel zu bewegen.
Beteiligung der Bürger maßgeblicher Faktor für Gelingen der Energiewende
Sladek habe gezeigt, dass die Beteiligung der Bürger ein maßgeblicher Faktor für das Gelingen der Energiewende und den Klimaschutz sei. Denn durch das Einbeziehen der Einwohner Schönaus als Stromkunden in die Arbeit der EWS und eine transparente Unternehmenspolitik habe sie „Vertrauen geschaffen, zum Handeln motiviert und einen ökologischen Wandel ermöglicht“, sagte Brickwedde. Erst durch die gesellschaftliche und finanzielle Unterstützung durch Spenden sei es möglich gewesen, sich gegen den regionalen Versorger mit konventionellem Strommix durchzusetzen und die Vision einer dezentralen Stromversorgung auf Basis erneuerbarer Energien zu verwirklichen.
Bereits 1999 mit bundesweiten Stromvertrieb begonnen
Sladeks energiewirtschaftliches Engagement habe eine herausragende Bedeutung für die Energiewende in Deutschland, betonte Brickwedde. Von Anfang an habe sie ein anderes Ziel verfolgt, als nur Ökostrom aus Wasserkraft und Kraft-Wärme-Kopplung zu verkaufen. Sie habe das, was in Schönau begann, bundesweit bekannt machen und den Menschen zeigen wollen, dass sie selbst handeln müssen, um etwas zu ändern. Bereits 1999, ein Jahr nach der Liberalisierung des Strommarkts, hätten Sladek und ihr Team in Schönau mit dem bundesweiten Stromvertrieb begonnen. Die Anzahl der Stromkunden habe sich von anfänglich 1.700 auf 150.000 vervielfacht. Mit einem im Stromtarif enthaltenen „Sonnencent“ förderten die EWS bis heute über 2.150 kleine Photovoltaik-, Wasser-, Wind- und Biomasseanlagen sowie Kraft-Wärme-Kopplungs-Kraftwerke ihrer Kunden. Das Geld fließe auch in Umweltprojekte, Bildungs- und Aufklärungsmaßnahmen und Kampagnen zur Energiewende. Heute versorgten sie über 8.500 Kunden in Bremen, Baden-Württemberg und Bayern auch mit Gas beziehungsweise Biogas.
Bürgerbeteiligungsmodell Schönau als Orientierung für andere Städte
2009 sei die Genossenschaft Netzkauf EWS gegründet worden, um Menschen die Teilhabe an der Energieproduktion und -verteilung zu erleichtern. Damit hätten die EWS auch der ökologisch motivierten Genossenschaftsbewegung in Deutschland neuen Auftrieb gegeben. Viele Städte und Kommunen hätten sich an dem Bürgerbeteiligungs-Modell Schönau bis heute orientiert und versorgten sich unabhängig mit Ökostrom. Mit ihrem Knowhow stehe EWS auch anderen Genossenschaften als Ansprechpartner zur Verfügung, die anstreben, Strom aus erneuerbaren Energien zu erzeugen und Stromnetze zu übernehmen. Um mehr Menschen mit Ökostrom zu versorgen, arbeite EWS auch mit Stadtwerken zusammen wie zum Beispiel in Titisee-Neustadt, Stuttgart und Schwäbisch-Hall.
Mit gesellschaftlicher Verantwortung Energiewende gemeinsam vorantreiben
Brickwedde: „Die Initiative für eine dezentrale Stromversorgung, die ohne Atomstrom auskommt und weitgehend aus erneuerbaren Energiequellen besteht, ist von Sladek und ihrem Team zu einem Zeitpunkt ergriffen worden, zu dem die Energiewende in Deutschland in der Breite noch kein Thema war und klima- und umweltpolitische Ziele nicht im Vordergrund standen.“ Vor diesem Hintergrund habe das Projekt nur durch das außerordentlich konsequente und mutige Handeln von Sladek und den „Mut-Bürgen“ gelingen können. Stromrebellin Sladek habe sich gegen alle Widerstände durchgesetzt und bewiesen, dass Bürger, die gesellschaftliche Verantwortung übernehmen, die Energiewende gemeinsam vorantreiben können.
Deutscher Umweltpreis würdigt jahrzehntelange Arbeit von Sladek und ihrem Team
Sladek betonte, dass Bürgerbeteiligungs-Modelle auch den Ausbau der Stromnetze in Deutschland vorantreiben könnten. An der gigantischen Aufgabe, die Energiewende umzusetzen, sollten alle beteiligt werden, vor allem die Bürger selbst. Denn sie verfügten über wertvolles Wissen und viel Engagement, das genutzt werden müsse. In vielen Städten und Kommunen verfolgten aktuell bereits Bürgerinitiativen die Aufgabe, sich an den lokalen Stromnetzen zu beteiligen. Die Auszeichnung mit dem Deutschen Umweltpreis bedeute ihr sehr viel, so Sladek. Denn sie würdige die jahrzehntelange Arbeit von ihr und ihrem Team, die die EWS zu dem gemacht habe, was sie heute seien: „eine Mischung aus Unternehmen und Nichtregierungsorganisation“.