Ettal. Minusgrade im Winter, Hitzeperioden im Sommer und jährlich der Atem von 500.000 Menschen: Das zwischen 1870 und 1886 von dem „Märchenkönig“ Ludwig II. erbaute Schloss Linderhof im oberbayerischen Ettal muss nicht nur ohne Heizung und Klimaanlage mit den Temperaturunterschieden der Jahreszeiten zurechtkommen, sondern auch mit der feuchten Atemluft der Touristen. Frischluft kommt bislang nur durch Fenster und Türen. Zudem kündigen aktuelle Studien zum Klimawandel für die Zukunft häufiger starke Regenfälle an. Darunter leidet die historische Ausstattung wie Vergoldungen, Dekor oder Stuckelemente. Die Bayerische Verwaltung der staatlichen Schlösser, Gärten und Seen testet deshalb in Schloss Linderhof eine neuartige und energiesparende Lüftungsanlage und überprüft ihre Auswirkung auf das historische Material. Die Deutsche Bundesstiftung Umwelt (DBU) unterstützt diese innovative Maßnahme zum Schutz des Schlosses vor Umwelteinflüssen mit über 220.000 Euro.
Schnelle und starkende Temperaturschwankungen gefährden die historische Substanz
„Der Einbau einer herkömmlichen Klimaanlage oder Heizung in ein historisches Gebäude, um normale Zimmertemperatur zu erreichen oder ein ‚Museumsklima‘ zu erzeugen, ist nicht ohne Risiken verbunden. Denn die Oberflächen haben sich an das historische Mikroklima gewöhnt, Änderungen können die Materialien schädigen“, erklärte DBU-Referent Dr. Paul Bellendorf. Besonders die schnell und stark schwankende Luftfeuchtigkeit würde die historische Substanz angreifen, wie zum Beispiel bei Vergoldungen, Treppengeländern, Öfen, Stuckelementen oder dem Dekor. Weil das Schloss bisher nur durch Fenster und Türen gelüftet werde, komme außerdem viel Staub und Schmutz aus der Gartenanlage in die Räume. Deshalb solle eine neue – schonende und energiesparende – Lüftungsanlage getestet und gleichzeitig der konservatorische Gebäudezustand von Schloss Linderhof vor und nach dem Einbau der Anlage untersucht werden.
Schloss Linderhof als modellhaftes Versuchsobjekt für weitere historische Gebäude
Schloss Linderhof biete sich als modellhaftes Pilot- und Versuchsobjekt an, weil sowieso Sanierungsmaßnahmen sowie eine Bestandsdokumentation und restauratorische Untersuchung anstünden. „Wir kennen den Bestand von 2005 und 2010, so dass wir die Daten sehr gut vergleichend untersuchen und auswerten können, um aussagekräftige Ergebnisse über die Auswirkungen der neuen Lüftungsanlage zu erhalten“, begründete Projektleiterin Dr. Katrin Janis vom Restaurierungszentrum der Bayerischen Verwaltung der staatlichen Schlösser, Gärten und Seen die Auswahl von Schloss Linderhof. Damit werde erstmals eine Pilotlüftungsanlage in einem bedeutenden historischen Gebäude entsprechend der neu entwickelten Europäischen Norm „Erhaltung des kulturellen Erbes – Festlegung für Temperatur und relative Luftfeuchte zur Begrenzung klimabedingter mechanischer Beschädigungen an organischen hygroskopischen Materialien“ umgesetzt.
Mit der Lüftungsanlage Kulturgut erhalten und Ressourcen schonen
Um mögliche Veränderungen des Materials entdecken zu können, wollen Janis und ihre Kollegen verschiedene Methoden wie dreidimensional aufzeichnende Scanner, Mikroskope und digitale Spiegelreflexkameras verwenden. „Indem wir diese optischen Hilfsmittel miteinander kombinieren, wollen wir eine neue Methode entwickeln, um einerseits allgemein menschliche Umwelteinflüsse auf Kunst- und Kulturgegenstände sichtbar zu machen und andererseits die Auswirkungen von Klimaregulierung auf die wertvolle Bausubstanz zu erforschen“, so Janis. Für die Lüftungsanlage sollen bereits vorhandene Kaminschächte und Installationen genutzt und keine neuen Rohre installiert werden. DBU-Generalsekretär Dr.-Ing. E. h. Fritz Brickwedde hob die Vorteile und den innovativen Mehrwert der neuartigen Lüftungsanlage hervor: „Die geplante Anlage kann nicht nur zum substanzschonenden Erhalt von national bedeutsamem Kulturgut beitragen, sondern auch wesentlich ressourcenschonender betrieben werden als eine übliche Vollklimaanlage.“ Damit gehe das Vorhaben über den derzeitigen Stand der Technik zum baulichen Ressourcenschutz hinaus und verbinde den Erhalt von Kulturgütern mit den Anforderungen des Umweltschutzes.
Ansprechpartner für Fragen zum Projekt (AZ 31017): Dr. Thomas Rainer, Pressesprecher, Bayerische Verwaltung der staatlichen Schlösser, Gärten und Seen, Telefon: 089/17908180, Telefax: 089/17908333.