Osnabrück. „Jede Stadt, jede Gemeinde in Deutschland muss sich auf den Schutz vor Extremwetterereignissen einstellen, um Schäden zu minimieren. Aber das kostet Geld, und die Kommunen dürfen als letztes Glied der Kette nicht auf den Problemen sitzen bleiben. Sie brauchen Unterstützung der Länder, um sich auf die Klimafolgen einstellen zu können und dann auch vor allem handeln zu können. Vieles ist bereits in Bewegung, aber es muss noch mehr passieren.“ – Diesen Appell richtete heute Alexander Bonde, Generalsekretär der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU), an Bundesländer und Kommunen. Nach dem zu Ende gehenden Jahrhundertsommer, der schon im April begann, sei zumindest eines klar, so Bonde: „Extremwetterlagen werden nicht mehr so die Ausnahme sein wie früher. Das gilt für extreme Hitzelagen wie für lokal auftretende Starkregenereignisse. Es gibt Strategien, aber die müssen auch ergriffen werden.“
„Insbesondere Kinder, ältere oder kranke Menschen gesundheitlich beeinträchtigt“
Klimaerwärmung, versiegelte Flächen und Abwärme von Heizungen, Industrie und Verkehr heizten Städte immer stärker auf, nachts kühlten sie kaum noch ab, sagt Bonde. In dicht bebauten Gebieten könnten regelrechte Hitzeinseln entstehen. Bonde: „Insbesondere Kinder, ältere oder kranke Menschen werden dadurch gesundheitlich beeinträchtigt.“ Zunehmende Extremwetterereignisse mit langen Hitzeperioden und Starkniederschlägen hätten in den letzten Jahren in zahlreichen Städten bereits erhebliche Schäden verursacht und viele Menschen in Gefahr gebracht. Zudem potenzierten der hohe Versiegelungsgrad, die dichte Bebauung und noch zunehmende Verdichtungsgrade das Auftreten von urbanen Überflutungen, Hitzestaus und Trockenheit.
Verwundbarkeit städtischer Infrastruktur gegenüber Hitze und extremen Niederschlägen verringern
Es „wird und muss“ künftig darum gehen, vorbeugende Maßnahmen in Neubau und Bestand zu ergreifen, so Bonde. Erforderlich sei eine Stadtentwicklung, die die Verwundbarkeit städtischer Infrastruktur gegenüber Hitze und extremen Niederschlägen verringern könne. Der Transfer dieser Erkenntnis in das öffentliche Bewusstsein und damit hin zur flächendeckenden Umsetzung geeigneter integrierter Systemlösungen sei von besonderer Bedeutung. Bonde: „Klimaanpassung ist eine kommunale Gemeinschaftsaufgabe, die auf der Zusammenarbeit verschiedener städtischer Akteure fußt. Wenn sich Kommunen sicher fühlen, weil Starkregenereignisse bisher noch nicht eingetreten sind, trügt der Schein. Das darf das Umsetzen von Handlungskonzepten und Vorsorgemaßnahmen aus Sicht einiger kommunaler Verwaltungen nicht schwierig bis unmöglich machen. Das Ausweiten bestehender und die Auflage neuer Förderprogramme auf Bundes- und Landesebene ist dringend notwendig, um Kommunen die erforderliche Finanzierung personeller Ressourcen und Investitionen zu ermöglichen und Überflutungsvorsorge als Klimaanpassungsaktivität in die Breite zu tragen. Auch Gesetze, Verordnungen und technisches Regelwerk bedürfen dringend einer stärkeren Berücksichtigung von Überflutungsvorsorge und einer Anpassung an den veränderten Handlungsdruck durch die Zunahme von Starkregenereignissen.“
Dachbegrünungen: positive Auswirkungen auf Umwelt, Natur, Gesundheit und Wohlbefinden der Menschen
Die DBU habe zahlreiche innovative und umweltentlastende Modellprojekte gefördert, die hier einen wesentlichen Beitrag leisteten. Flachdächer, geneigte Dächer und insbesondere begrünte Fassaden (Feinstaubbindung) etwa hätten positive Auswirkungen auf Umwelt, Natur, Gesundheit und Wohlbefinden der Menschen und könnten stadtökologische Probleme und Auswirkungen des Klimawandels wie Starkregenereignisse oder Hitzeperioden entschärfen. Sie verbesserten das Mikroklima in den Städten, weil durch den Verdunstungseffekt die Umgebung abkühle und zudem Kohlenstoff gebunden werde. Begrünte Dächer hätten neben ökonomischen auch viele stadtökologische Vorteile für die natürlichen Schutzgüter Klima, Luft, Wasser, Boden, Artenvielfalt/Biodiversität und Landschaftsbild. Ebenso trügen schattenspendende Großbäume in den Städten zur angenehmen Abkühlung von Straßenzügen bei.
Je nach Statik und Geldbeutel begrünte Dachfläche vielfältig nutzbar
Ein weiterer Vorteil: Wasserrückhalt. Regenwasser werde von der Substratschicht gespeichert und von den Pflanzen verdunstet. Das übrige Wasser gelange vom Dach erst mit zeitlicher Verzögerung in Kanalsysteme und Kläranlagen. Bonde: „Das verhindert bei Starkregen überflutete Keller und Straßen. Dickere Substratschichten und dichtere Bepflanzungen schützten im Haus vor sommerlicher Hitze. Begrünte Dächer bauen als natürliche Klimaanlagen die eingestrahlte Energie durch Anfeuchten der trockenen heißen Luft wieder ab.“ Je nach Statik und Geldbeutel könne die begrünte Dachfläche vielfältig genutzt werden: von einem pflegeleichten extensiven Gründach mit Trocken- und Halbtrockenrasen und anspruchslosen Pflanzen bis zu erholsamen Dachgärten mit Dach-Cafés, Freizeit- und Sportflächen. Gründächer filterten jährlich bis zu 0,2 Kilogramm Staub und Schadstoffpartikel wie Stickoxide, Kohlenmonoxid und Feinstaub pro Quadratmeter aus der Luft.
Aus Vogelperspektive potenzielle Vegetationsflächen auf Dächern identifiziert
Um die Verbreitung begrünter Dächer in Deutschland weiter voranzutreiben und städtischen Fachbehörden Informationen zur Unterstützung der Gründach-Politik zu geben, habe die DBU einen „Leitfaden Dachbegrünung für Kommunen“ des Deutschen Dachgärtner-Verbandes (DDV) gefördert. Er informiert über Nutzen, Praxisbeispiele und Fördermöglichkeiten. In einem anderen DBU-Projekt habe der DDV mit Partnerstädten und dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) eine Methodik entwickelt, mit der aus der Vogelperspektive bereits vorhandene und potenzielle Vegetationsflächen auf Dächern identifiziert und inventarisiert werden können.
Entscheidungshilfen zur Planung von Abwehrmaßnahmen liefern
Auch in der kommunalen Überflutungsvorsorge habe sich die DBU über verschiedene Projekte engagiert. Die virtualcitySystems GmbH aus Grafing entwickelt ein neues dreidimensionales Simulationsverfahren als praxistaugliches Werkzeug, um besseres Hochwassermanagement in Kommunen zu ermöglichen. Es soll vor einem Starkregenereignis detaillierte Szenarien berechnen, die an den tatsächlichen Ablauf anpassen, innerhalb kurzer Zeit Entscheidungshilfen zur Planung von Abwehrmaßnahmen liefern und neues Wissen für zukünftige Prognosen berücksichtigen.
Ausreichend große Rückhaltflächen für Extremniederschläge schaffen
Das interdisziplinäre Modellprojekt „MURIEL“ (Multifunktionale urbane Retentionsräume: von der Idee zur Realisierung) des Planungsbüros MUST Städtebau (Köln) und weiterer Partner wolle Kommunen für die Vorsorge gegen Sturzfluten fit machen und ausgewählte kommunale Verkehrs- und Freiflächen multifunktional für gezielte Überflutungen ausrichten und gestalten. Dazu gehörten vor allem frühzeitige Anpassungsmaßnahmen. Eine Möglichkeit sei, ausreichend große Rückhaltflächen für Extremniederschläge zu schaffen. An dem Projekt waren die drei Beispielkommunen Karlsruhe, Köln und Wesseling beteiligt.
Stadtgebietsweites Auskunftssystem für interkommunalen Austausch
Im Rahmen der „KLimaAnpassungsStrategie Extreme Regenereignisse“ (KLAS) habe die Stadt Bremen Ansätze zum verbesserten Umgang mit der Überflutungssituation als auch zur Institutionalisierung einer wasser- und klimasensiblen Stadtentwicklung bei öffentlichen Planungsverfahren erarbeitet. Sowohl die Stadtentwässerung als auch die Stadt-, Straßen- und Freiraumplanung benötigten für die zielgerichtete wassersensible Maßnahmenplanung aussagekräftige, stadtgebietsweite Informationen zu den Auswirkungen extremer Regenereignisse an der Oberfläche. Die Dr. Pecher AG (Erkrath) habe in einem Kooperationsvorhaben neue Instrumente für ein vereinfachtes, stadtgebietsweites Auskunftssystem mit dem Ziel entwickelt, sie für den interkommunalen Austausch und die breit angelegte Öffentlichkeitsarbeit einzusetzen.
AquaWand in 15 Minuten aufgebaut
Während der natürliche Hochwasserschutz Überflutungen von vornherein verhindern soll, muss im akuten Fall von Hochwasser weiterhin auf technischen Hochwasserschutz zurückgegriffen werden. Mit der sogenannten AquaWand habe das kleine Start up-Unternehmen Aquaburg aus Münster mit Unterstützung der DBU einen intelligenten Objektschutz entwickelt, der innerhalb von 15 Minuten aufgebaut werden könne. Eine gegen Hochwasser und Treibgut sehr widerstandsfähige Schutzwand aus Kunststoffplane und Stahlseilnetz werde an den kritischen Stellen praktisch unsichtbar unter einer Abdeckung in einer Bodenrinne installiert. Im Falle eines drohenden Hochwassers könne die Konstruktion ohne Transportlogistik schnell und sicher aufgestellt werden. Weitere Vorteile dieser Schutzwand sind ihre Anerkennung durch Schadensversicherungsgesellschaften und ein geringer Wartungsaufwand.