Lüdinghausen. Schneeregen pfeift ihm um die Ohren, als Heinz-Josef Stratmann kurz vor Ostern aus seinem Geländewagen steigt, seine beiden Schäferhunde aus dem Kofferraum lässt und zu einem abgefressenen Stoppelrübenfeld geht. Rund 350 Schafe blöken ihm in freudiger Erwartung entgegen. Stratmann ist Schäfer auch auf der naheliegenden DBU-Naturerbefläche Borkenberge, einer der letzten Vollerwerbsschäfer im Kreis Recklinghausen. Seit 40 Jahren und in der fünften Generation lebt er mit und von der Natur, 360 Tage im Jahr draußen, bei Wind und Wetter. Nur an Feier- oder Geburtstagen gönnt er sich mal eine Auszeit. Sein Auftrag auf der DBU-Fläche: Landschaftspflege zum Schutz der Natur.
Für den Naturschutz sind Schäfer oft unersetzlich
„Die Artenvielfalt kommt mit den Schafen. Sie halten das Gras kurz. Ich habe zusätzlich noch fünf Ziegen, die die Pflege ergänzen, indem sie mit Vorliebe junge Birken, Kiefern oder die Traubenkirsche abknabbern“, erläutert der 55-jährige. Wertvolle Feucht- und Nasswiesen würden sonst verbuschen und irgendwann einfach zu Wald, unterstreicht Dr. Jörg Tillmann, stellvertretender Leiter im DBU Naturerbe, einer Tochtergesellschaft der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU). „Ohne Weidetierhalter wie Heinz-Josef Stratmann könnten wir viele artenreiche Extensivgrünländer nicht pflegen und offenhalten“, betont er. Für die Landschaftspflege und den Naturschutz auf vielen der 71 DBU-Naturerbeflächen seien Schäfer wichtig. Es fehle aber vielerorts an Nachwuchs. „Zukünftig wird es eine immer größere Herausforderung sein, Schäferinnen und Schäfer für die Landschaftspflege im Naturschutz “, so Tillmann.
Im Sommer fest in Borkenberge: Mit 350 Muttertieren im Nationalen Naturerbe unterwegs
Stratmann kennt den ehemaligen Truppenübungsplatz wie seine Westentasche. Seit 1987 zieht er mit seinen Tieren von April bis Ende September über die Wiesen. Jetzt ist es wieder soweit: Mit einem Lastwagen hat er rund 350 Muttertiere mit ihren Lämmern, vor allem Merino und Bentheimer Landschafe, von den Winterweiden und seinem Stall in der Nähe von Waltrop an die Borkenberge gebracht. Ein paar Tage fressen sie sich an den naheliegenden Stoppelrübenfeldern satt, dann geht es weiter.
Mit Mulcher, Elektrozaun und zwei Hunden im Einsatz
Die beiden Schäferhunde laufen aufgeregt den 90 Zentimeter hohen, mobilen Elektrozaun entlang. Sie möchten auf die Koppel. „Emmi und Bo hören aufs Wort, wenn auch nicht immer auf das erste“, scherzt Stratmann und gibt ein Kommando, auf das die beiden sofort reagieren. Die Hunde sind seine verlässlichen Helfer, wenn er mit seinen Schafen weiterzieht. „Solange genug Futter da ist, bleiben wir ein paar Tage“, sagt Stratmann. Damit sie nachts nicht zurück in den Stall müssen, steckt er mobile Koppeln ab und schleppt dafür hunderte Meter Elektrozaun zu den Schafen. Fast jeden Tag. „Wenn das Gras oder die Krautschicht zu hoch ist, muss ich erst mit einem kleinen Mulcher oder auch mal mit dem Freischneider die Zauntrasse vorbereiten“, erklärt er. Den ganzen Tag sei er bei den Tieren. In der Regel alleine mit den Hunden.
Harte Arbeit für den Naturschutz
Revierleiter Georg Feldmeier vom Bundesforstbetrieb Rhein-Weser ist froh, dass Heinz-Josef Stratmann seit vielen Jahren ein verlässlicher Partner im Offenland ist. Die Lebensräume zeichnen sich dadurch aus, dass sie in den vergangenen Jahrzehnten nicht intensiv landwirtschaftlich geprägt und so beispielsweise nicht gedüngt wurden. „Solche mageren Wiesen sind in Deutschland selten geworden“, weiß Feldmeier. Der Förster erinnert sich, wie wirkungsvoll die Schafbeweidung beispielsweise auch 2019 nach dem kontrollierten Brennen einer Heidefläche gewesen sei. Feldmeier und Stratmann sind auf den Truppenübungsplatz gefahren und schauen sich die etwa 15 Zentimeter hohe, verjüngte und nicht verholzte Besenheide an – ein Lebensraumtyp, der europäisch geschützt ist. „Als wir vor drei Jahren gefragt haben, ob er seine Herde zur Nachpflege über die rund 15 Hektar schickt, hat er keinen Moment gezögert“, erinnert sich Feldmeier und ergänzt: „Bei brüllender Hitze habe ich ihn über die Fläche ziehen sehen. Zweimal am Tag musste er Wasser für hunderte Schafe ranschaffen.“ Das sei harte Arbeit. Stratmann lächelt. Ausschweifend erzählen muss er nicht. Mit der Natur zu sein, die Kraniche zu beobachten, das gefällt ihm. Es sei schön zu sehen, wie im Sommer immer mal wieder ein großer Schwarm Stare die Stechmücken aus dem Fell der Schafe pickt. Und wenn ihm langweilig wird? „Dann zähle ich Schafe, damit ich nicht einschlafe“, schmunzelt der Schäfer.