Astrid Wynne ist Sustainability Lead bei Techbuyer. Sie arbeitet an dem von Interreg finanzierten Projekt Circular Economy in the Data Centre Industry (CEDaCI). Zu ihren weiteren Beiträgen zählen „Climate Protection Potentials of Digital Transformation (CliDiTrans)“ des Bordersteps-Instituts und das Environmental Audit Committee zum Thema Elektronikschrott und Circular Economy. Sie schreibt für die Fachpresse regelmäßig über digitale Nachhaltigkeit mit Schwerpunkt auf Materialverbrauch und verkörperten Energien in IKT.
Nour Rteil hat einen Bachelor-Abschluss in Computer- und Kommunikationstechnik der American University of Beirut und war 4 Jahre lang als Solution Developer bei Dar Al Handasah tätig, wo sie hauptsächlich Web-Lösungen mit ASP.net entwickelte. Vor ihrer Festanstellung absolvierte sie 2014 ein Praktikum an der Technischen Universität Dresden und 2015 ein weiteres bei Ericsson. Seit 2019 arbeitet sie für die University of East London und Techbuyer im Rahmen einer Wissenstransferpartnerschaft (KTP) an einem Tool zur Modellierung der Energieeffizienz von Servern.
Richard Kenny erhielt 2009 einen Bachelor-Abschluss in International Development mit Schwerpunkt Wirtschaft von der University of East Anglia und 2019 den Master von der Northumbria University in Recht mit Schwerpunkt Datenschutz und Information Governance. Er arbeitet seit 2009 als technischer Projektmanager, hauptsächlich in den Bereichen Softwareentwicklung und Informationssicherheit. Seit 2017 ist er bei Techbuyer als Group IT Director tätig. Dort führte er bereits verschiedene IKT-Sanierungsprogramme und -Lösungen ein, die sowohl Rechenzentren als auch Endnutzer*innen unterstützen.
In diesem Artikel untersuchen wir, ob gebrauchte IT-Hardware in Unternehmen eine sinnvolle Alternative zu neuer Hardware darstellen kann. Basierend auf den Ergebnissen einer bahnbrechenden akademischen Studie von verschiedenen Servermodellen und ihren einzelnen Komponenten wird gezeigt, unter welchen Bedingungen sogenannte refurbished und remanufactured Hardware, im Vergleich zu neuesten Servergenerationen führender Hersteller, eine durchaus effizientere Option sein kann. Das Ganze bietet erhebliche und überaus positive Auswirkungen auf die Nachhaltigkeit, da die Einbettung von Hardware in die Circular Economy die betriebliche Effizienz vieler Unternehmen und Rechenzentren steigern sowie Elektroschrott und Treibhausgasemissionen
reduzieren kann.
Zunächst erörtern wir, was die Verlangsamung des Mooreschen Gesetzes für Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) bedeutet. Anschließend werden die Ergebnisse unserer wissenschaftlichen Studie vorgestellt wird, welche maßgeblich zu unserem Wissen über refurbished Hardware beiträgt. Die Ergebnisse dieser Untersuchung legen nahe, dass Neuware im Fall von IT-Hardware nicht immer die optimale Option für jedes Unternehmen oder Rechenzentrum darstellt. Abschließend werden Ansatz und Auswirkungen dieses Projekts mithilfe einer repräsentativen Fallstudie erörtert und weitere Maßnahmen sowie nächste Schritte für die Industrie empfohlen.
Im Jahre 1965 formulierte Gordon Moore, seinerseits Mitbegründer der Firma Intel, eine Gesetzmäßigkeit zu den Entwicklungen bei Transistoren innerhalb von integrierten Schaltungen. Dieses Gesetz wurde infolgedessen auf den Namen Mooresches Gesetz getauft. Das Mooresche Gesetz besagt, dass sich die Geschwindigkeit der Transistoren auf Computer-Chips alle zwei Jahre entweder verdoppelt oder sich die Größe der Transistoren halbiert (Moore, 1965). So oder so hat dies, laut Moore, zur Folge, dass sich die Leistung von Chips idealerweise alle zwei Jahre verdoppelt, ohne dabei das Größenvolumen der gesamten Hardware zu beeinflussen. Dies hätte erhebliche Auswirkungen auf die IKT, die von Unterneh men und Rechenzentren verwendet wird, denn bei Servern und Co. spielt der Platzverbrauch oft eine entscheidende Rolle. Bis vor relativ kurzer Zeit war dies auch nachweislich der Fall. Die Kapazität und Leistung von Chips steigerten sich kontinuierlich, so Moores Beobachtungen. Eine Studie über die Auswirkungen einer kompletten Hardware-Aktualisierung in Rechenzentren ergab außerdem, dass der Austausch von sehr alten Servern gegen brandneue Modelle zu enormen Einsparungen der Betriebskosten führt, die durch den verringerten Server-Energieverbrauch entstehen (Bashroush et al., 2018). Ebenso werden infolge des niedrigeren Energieverbrauchs neuer Servermodelle auch die Kohlenstoffemissionen des Rechenzentrums reduziert, die durch dessen Betrieb freigesetzt werden. Laut den Ergebnissen des Projekts EU Resource Efficiency Coordination Action (EURECA) (Europäische Kommission, 2018), welches über 300 europäische Rechenzentren analysierte, wurden 40 % der zu der Zeit eingesetzten Server noch vor 2013 auf den Markt gebracht. Ebendiese Server verbrauchten ganze 66 % der Gesamtenergie der Rechenzentren und trugen dabei lediglich zu 7% der gesamten Rechenkapazität bei.
Die Ineffizienz dieser Server bietet eine große Chance, Energieverschwendungen durch eine Auffrischungsmaßnahme gänzlich zu beseitigen. Man kann im Gegenzug jedoch nicht behaupten, dass neuere Geräte automatisch energieeffizienter sind als ältere, wie es durch das untenstehende Beispiel dargestellt wird. Dies hängt vielmehr von deren Generation und individueller Konfiguration ab.
Die Standard Performance Evaluation Corporation (SPEC) veröffentlicht regelmäßig Datenberichte zu Hardware- und Software-Entwicklungen. SPECpower ist der anerkannte Industriestandard, der die Energie- und Leistungsmerkmale von Einzelservern sowie Servern mit mehreren Knotenpunkten bewertet. Alle Serverhersteller berichten über die Leistung ihrer Modelle nach der Durchführung interner Tests undgemäßvereinbarter Parameter. Aus den von SPECpower veröffentlichten Daten geht hervor, dass sich die Effizienzgewinne bei neueren Prozessoren (auch CPU genannt) mittlerweile verlangsamt haben.
Dies zeigt, dass das Mooresche Gesetz nicht mehr ausreichend zuverlässig ist. In Abbildung 1 folgt die orangefarbene Linie, welche die Leistung pro Watt bei maximaler Belastung darstellt, nicht mehr dem einstigen steilen Aufwärtstrend, der zwischen 2013 und 2016 zu verzeichnen war. Die blaue Linie dagegen, welche die Anzahl der im Energiesparmodus verbrauchten Energie in Watt angibt, zeigt, dass neuere CPUs im Leerlauf tatsächlich weniger energieeffizient sind.
Dies ist insofern von Bedeutung, als Server Workloads einen großen Teil ihrer Zeit im Leerlauf verbringen. Die vom Uptime Institute (Bashroush & Lawrence, 2020) veröffentlichten Informationen suggerieren allerdings, dass die Effizienzgewinne, die jede neue Generation mit sich bringt, mit der Zeit immer geringer werden.
Im Rahmen eines zweijährigen Projekts mit der University of East London untersuchten wir die Auswirkungen von CPU-Trends auf die Leistung neuer und gebrauchter Server. Mithilfe des Servers Efficiency Rating Tool (SERT) maß das Team die Effizienz von neuen, refurbished und remanufactured Servern mit unterschiedlichen Hardwarekonfigurationen sowie Komponenten-Upgrades.
In einem ersten Schritt testeten wir die Leistung eines komplett neuen Servers (TS1), eines neuen Servers mit refurbished CPU (TS2), eines neuen Servers mit refurbished SSD (TS3), eines neuen Servers mit refurbished Netzteilen (TS4) und eines vollständig wiederaufgearbeiteten Servers (TS5). Wie in der nachstehenden Tabelle dargestellt, wurde die aufgezeichnete Arbeitsleistung für CPU, Speicher und Arbeitsspeicher in jedem Fall gemessen. Ein höherer Wert für die Arbeitseffizienz bedeutet ein höheres Maß an Effizienz des jeweiligen Geräts. Dies lässt den Schluss zu, dass die Leistung von refurbished und neuen Servern durchaus vergleichbar ist.
Darauf aufbauend führten wir eine Reihe von Experimenten durch, in denen wir verschiedene Konfigurationen von neuen und refurbished Servern verglichen. Da neue und refurbished Komponenten beinahe die gleiche Leistung erbringen, können wir im Gegenzug die Leistung neuer Server mit refurbished Servern vergleichen, ohne dabei eine Leistungsverschlechterung in Betracht ziehen zu müssen.
Die Ergebnisse zeigen, dass ein korrekt konfigurierter Server der unmittelbar zurückliegenden Generation (in diesem Fall ein HPE Proliant Generation 9) die Leistung eines neuen Servers mit Basiskonfiguration (HPE DL380 Geammengerechnet machen diese Komponenten die frühere Generation um ganze 36 % leistungsfähiger.
Die Kosten für neue Server sind deutlich höher als für gebrauchte, refurbished Modelle. In unserer ursprünglichen Untersuchung haben wir die Amortisierung (also den Tilgungszeitraum) für ein Upgrade auf neuere Server berechnet. Diese Berechnung basiert auf den Beschaffungskosten und dem geringeren Energieverbrauch von Servern infolge ihrer größeren Effizienz.
Auf der Grundlage dieser Annahmen haben wir den Amortisierungszeitpunkt älterer Server gegenüber neuen Modellen analysiert. Wir fanden heraus, dass Unternehmen nur beim Austausch von Servern, die älter als 7,5 Jahre sind, eine Rendite innerhalb von 1-4 Jahren erzielten. Eine ähnliche Analyse des Amortisationszeitpunkts beim Austausch gegen die nächste Generation ergab, dass sich die Investition beim Austausch von 6 Jahre alten Servern innerhalb von 4 Jahren rentiert. Unsere Kostenanalyse zeigt, dass refurbished Server sogar unter Berücksichtigung niedrigerer Energierechnungen im Laufe der Zeit größere Energieeinsparungen mit sich bringen.
Diese anfängliche Forschung bildete die Grundlage für Interact, ein erstmals auf den Markt gebrachtes Tool zur Analyse der Effizienz verschiedener Serverkonfigurationen. Es handelt sich dabei um eine Anwendung für Machine Learning, die wir bereits zur Analyse der Energieeffizienz von Serveranlagen auf der ganzen Welt eingesetzt haben. Die dem Tool zugrunde liegende Methodik wurde von Fachleuten eingehend geprüft und in dem Journal Sustainable Computing: Informatics and Systems (Rteil et al., 2022) veröffentlicht.
Interact liefert exakte Messwerte zum Energieverbrauch von Servern und den damit verbundenen Kohlenstoffemissionen. Mit diesem Tool können Rechenzentren die jeweiligen Server mit dem schlechtesten Energieverbrauch ermitteln und diese mit einer Datenbank aller Hersteller sowie einzelner Modelle vergleichen. Das Tool generiert außerdem herstellerneutrale Empfehlungen für den Austausch von Servern in Bezug auf Kosten und Energieeffizienz. Diese Zahlen und Ergebnisse erleichtern es Betreiber*innen von Rechenzentren weltweit, die besten Entscheidungen für Unternehmen und Umwelt zu treffen, indem sie die eine einfache und effektive Kostensenkung sowie Steigerung der Energieeffizienz in einem Schritt vornehmen.
Interact lieferte im Jahr 2021 mehr als 100 Proof of Concepts, was zu durchschnittlichen 5-Jahres-Einsparungen von umgerechnet rund 1.055.000 Euro sowie 8,3 Millionen kWh pro Rechenzentrum und einer CO2e-Reduzierung von 2,800 Tonnen während der Nutzungsphase führte. Dies sind Beispiele aus einer typischen Fallstudie eines Rechenzentrums für Hosting und Streaming in China.
Bei der Bewertung der Effizienz eines Rechenzentrums ist die für den Betrieb verwendete Energie ein wichtiger Faktor. Die Zusammensetzung von Energie basierend auf Kosten und Kohlenstoffmix kann weltweit sehr unterschiedlich ausfallen. Daher ist die Verwendung länderspezifischer Marktinformationen von entscheidender Bedeutung, um die Genauigkeit und Wirkung dieser Analyse zu maximieren.
Dies war ein zentraler Bestandteil unserer Arbeit mit einem chinesischen Rechenzentrum im Jahr 2021, Ziel war es, Empfehlungen für die Optimierung des Serverbestands des Unternehmens in Bezug auf Kosten, Kohlenstoff und Energie vor zu nehmen. Interact kann auf unterschiedliche Marktbedingungen zugeschnitten werden, sodass es möglich war, die niedrigeren Energiekosten und den höheren Kohlenstoffmix Chinas bei den Berechnungen zu berücksichtigen.
Mit dem Interact-Tool analysierten wir die Leistung der 482 Server des Rechenzentrums, Dabei stellten wir fest, dass alle Server ein ähnliches Alter und eine ähnliche Konfiguration aufwiesen. Außerdem wurden sie alle 2012 hergestellt, drei Jahre bevor sich die Verlangsamung des Mooreschen Gesetzes in den CPU-Trends abzeichnete. Dies deutete darauf hin, dass der gesamte Bestand möglicherweise durch effizientere Maschinen der neueren Generationen ersetzbar war.
Das Ergebnis unserer Analyse waren zwei Empfehlungstypen für dieses Rechenzentrum. Die eine maximiert die Energieeinsparungen, während die andere Kosten optimiert. Die Empfehlung zur Einsparung des Energieverbrauchs wird im Folgenden näher erläutert. Um die Energieeinsparungen zu maximieren, ergab unsere Analyse, dass die Auffrischung des derzeitigen Bestandes von 482 Servern auf das Apollo-Modell der neuesten Generation die Anzahl erforderlicher Server um 83 % und somit auf lediglich 79 reduzieren würde, Dies bringt mehrere signifikante Vorteile mit sich. Aus betrieblicher Sicht wird der Platzbedarf deutlich gesenkt und somit auch die Kosten für Kühlung und Wartung. Dies bedeutet eine Energieeinsparung von 7.197.602 kWh über fünfJahre, was ausreichen würde, um mehr als 2.300 deutsche Haushalte ein Jahr lang mit Strom zu versorgen (basierend auf DESTATIS-Zahlen). Außerdem würde so die damit verbundene Einsparung der CO2e-Emissionen von 3.994.669 kg, hervorgerufen durch den benötigten Stromverbrauch, vermieden. Außerdem ist dieses Servermodell bereits auf dem Sekundärmarkt erhältlich, sodass weitere 7.838 kg CO,e an enthaltenen Emissionen eingespart würden, sollte sich das Unternehmen für refurbished anstatt für brandneue Server entscheiden. Die Kosteneinsparung würde sich über einen Zeitraum von fünf Jahren auf rund 1.243.833 Euro belaufen.
Dieser Beitrag ist als Teil des Sammelbands „Mythen der Circular Economy“ erschienen, der Sammelband für Entscheider*innen und Macher*innen in der Industrie, öffentlichem Sektor, Zivilgesellschaft und Wissenschaft.
Hier geht’s zum kostenlosen DownloadBashroush, R. (2018). Acomprehensive reasoning framework for hardware refresh in data centers. IEEE Transactions on Sustainable Computing, 3(4), pp. 209–220. Eingesehen 03/22 bei https://doi.org/10.1109/TSUSC.2018.2795465
Bashroush, R. & Lawrence, A. (2020). Beyond PUE: Tackling IT’s wasted terawatts. Uptime Institute Intelligence, Report 34.
Eingesehen 03/22 bei http://go.the451group.com/K00PhDY00e9313obt0Fg0Y0
Bashroush, R., Rteil, N., Kenny, R., & Wynne, A. (2020). Optimizing server refresh cycles: The case for circular economy with an aging Moore‘s Law. IEEE Transactions on Sustainable Computing, 33. Eingesehen 03/22 https://doi.org/10.1109/TSUSC.2020.3035234
Europäische Kommission, (2018, April). Data Center EURECA Project – Final Project Report. CORDIS. Eingesehen 03/22 bei
https://cordis.europa.eu/project/id/649972/results
Moore, G.E. (1965). Cramming more components onto integrated circuits. Electronics, 38 (8). Eingesehen 03/22 bei https://cdn3.weka-fachmedien.de/media_uploads/documents/1429521922-13-gordonmoore1965article.pdf
Rteil, N., Bashroush, R., Kenny, R., & Wynne, A. (2022). Interact: IT infrastructure energy and cost analyzer tool for data centers.
Sustainable Computing: Informatics and Systems, 33. Eingesehen 03/22 bei https://doi.org/10.1016/j.suscom.2021.100618