Florian Hofmann studierte Wirtschaftswissenschaft sowie Nachhaltigkeitswissenschaft an der Münster School of Business, der San Diego State University und an der Leuphana Universität Lüneburg. Er arbeitete mehrere Jahre als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fraunhofer IZM sowie an der Technischen Universität Berlin. Seit Ende 2021 ist Florian Hofmann an der Universität Cottbus am Fachbereich Technik- und Umweltsoziologie tätig. Er schreibt, forscht, lehrt und berät zu den Themen Circular Economy, nachhaltiges und zukunftsfähiges Wirtschaften, sozial-ökologische Transformation und Postwachstumsökonomie.
Zirkuläre Geschäftsmodelle sind eine glanzvolle Idee, die in wirtschaftspolitischen und unternehmerischen Zukunftsvisionen eine immer größere Präsenz einnimmt. Verfechter*innen und Befürworter*innen betrachten zirkuläre Geschäftsmodelle als „ganzheitliche“ und pragmatische Lösungen, die Unternehmen dazu befähigen, dem Klimawandel, der Verknappung natürlicher Ressourcen und den beständig wachsenden Abfallbergen aktiv zu begegnen.
Der Kerngedanke besteht darin, die derzeitigen Produktions- und Konsummuster, die einem linearen „Produce-Use-Dispose-Schema“ folgen, durch einen zirkulären „Reduce–Reuse–Recycle-Modus“ zu ersetzen. So lösen Wertschöpfungskreisläufe die uns so vertrauten Wertschöpfungsketten ab. Produkte und auf ihre Attribute zugeschnittene Dienstleistungen sollen so designt werden, dass sie intensiver und länger genutzt werden können. Produkte sollen repariert, aufgerüstet, wiederveräußert, wiederaufbereitet – sie sollen verfügbar und erfahrbar gemacht werden, wobei das Eigentum am Produkt keine unabdingbare Voraussetzung für ihre Nutzung darstellt.
Da neuartige digitale Technologien als Booster zirkulärer Geschäftsmodelle gelten, steht der harmonischen ökologisch-digitalen Modernisierung eigentlich nichts mehr im Weg. Es wird eine Vielzahl an Möglichkeiten diskutiert, wie mithilfe von digitalen Technologien eine effektive Umsetzung von zirkulären Geschäftsmodellen im unternehmerischen Alltag gelingen kann. Neben ökologisch effizienteren Herstellungsprozessen, ermöglicht durch digital gestützte Produktionsverfahren, spielt ebenfalls die Offenlegung von Produktinformationen eine herausragende Rolle. Der politisch forcierte digitale Produktpass (Hier ein Beispiel für einen Produktpass) ist Ausdruck einer europäischen Wirtschaftspolitik, die versucht, einen ertragreichen Boden zu schaffen, auf dem sich zirkuläre Geschäftsmodellinnovationen herausbilden können. Beim digitalen Produktpass handelt es sich um einen Datensatz, der Informationen über alle Phasen des Produktlebens speichert, wie z. B. die materielle Zusammensetzung, Reparierbarkeit und Recyclingfähigkeit. So sollen die Informationen in einem standardisierten Format allen im Wertschöpfungskreislauf agierenden Akteuren zur Verfügung gestellt werden, um eine zielgerichtete unternehmensübergreifende Zusammenarbeit zu fördern und Transparenz bei Konsumentscheidungen zu ermöglichen.
Die breite wirtschaftliche und gesellschaftliche Akzeptanz von zirkulären Geschäftsmodellen kann enorme Potenziale freisetzen, um eine ökologische Transformation von Märkten einzuleiten. In einem Schumpeter’schen „Prozess der kreativen Zerstörung“ (Schumpeter, 1976) können zirkuläre Geschäftsmodelle nicht nur die gegenwärtigen naturausbeuterischen Marktdynamiken erschüttern, sondern auch individuelle Lebensstile und gesellschaftliche Strukturen in Richtung einer Circular Economy pushen. Es kann stark davon ausgegangen werden, dass die große Mehrheit politischer und wirtschaftlicher Akteursgruppen weitgehend darin übereinstimmen, dass zirkuläre Geschäftsmodelle eine unternehmerische Antwort auf die ökologischen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts darstellen.
Nur bleibt die Frage, ob die fast schon rhythmisch wiederholende magische Formel ausreicht, dass der wirtschaftliche Erfolg von Geschäftsmodellen, die auf Materialrecycling, Sharing-Konzepten, Secondhand-Sales, Produktwiederaufbereitungs- oder Reparaturdienstleistungen, flankiert durch Digitalisierungsbestrebungen, zwangsläufig zu einer nachhaltigen Transformation der Produktions- und Konsumsysteme führt. Wie auch andere bahnbrechende Ideen, „ganzheitliche“ Konzepte und idealisierte gesellschaftliche Zukunftsentwürfe, haben zirkuläre Geschäftsmodelle ihre blinden Flecke. Eine einfache Antwort auf die Frage, welche Vorstellung von Nachhaltigkeit hinter zirkulären Geschäftsmodellen steckt, gibt es ganz bestimmt nicht. Es gibt eher divergierende Auslegungen darüber, ob und wie sie zu einer nachhaltigen und zukunftsfähigen Gesellschaft beitragen können. D. h. zirkuläre Geschäftsmodelle sind einem Spektrum von Deutungen ausgesetzt, das aus unterschiedlichen Blau-violett-Tönen besteht (siehe Abbildung 1). Folgend werden zwei Positionen überspitzt skizziert, deren Abweichungen nicht größer hätten ausfallen können.
Die Befürworter*innen des eher blauen Spektrums beziehen sich in erster Linie auf die Position der industriellen Ökologie (Industrial Ecology), die davon ausgeht, das Verhältnis von Gesellschaft und Natur mittels technologisch-industrieller Innovationen auf eine dauerhaft ökologisch tragfähige Grundlage auszurichten. Eine neue zirkuläre Effizienzrevolution soll wirtschaftliche Expansion vom Naturverbrauch entkoppeln. Die Erklärung von Internet of Things, Machine Learning, Big Data und anderen digitalen Anwendungen als Hebel zur Realisierung von zirkulären Geschäftsmodellen harmoniert ausgesprochen gut mit dem Imperativ des grünen Wachstums. Diese eher technologische Lesart von zirkulären Geschäftsmodellen stärkt die vorherrschende ökonomische Handlungsmaxime, die systematische Ausbeutung der Natur zu überwinden, ohne vom geltenden monetärem Ertragsstreben abzuweichen. Eine vielzitierte und an wirtschaftswissenschaftlichen Universitätsfakultäten sowie im ökonomischen Mainstream oft verwendete Argumentation zur Legitimation des grünen Wirtschaftswachstums, ist die Umwelt-Kuznets-Kurve, wonach Wirtschaftswachstum die ökologischen Probleme, die es verursacht hat, zu einem späteren Zeitpunkt wieder auflöst bzw. beseitigt. Potenzielle systemische Rebound– und Backfire-Effekte durch Effizienzsteigerungen werden hierbei ausgeschlossen. So gesehen ist das zirkuläre Geschäftsmodell ein weiterer grün eingefärbter Ansatz unternehmerischen Denkens und Handelns, der frei dem Motto von Milton Friedman (1970) folgt, dass die soziale Verantwortung von Unternehmen darin besteht, ihre Profite zu steigern. Auch wenn effiziente Recyclingverfahren, der Zugang zu Produktinformationen oder Sharing-Konzepte immens wichtig für eine sozial-ökologische Produktions- und Konsumwende sind, bedarf es größerer Anstrengungen, um den Übergang zu einer Wirtschaft zu organisieren, die innerhalb planetarischer Grenzen florieren soll.
Die Positionen auf der violetten Seite des Deutungsspektrums berücksichtigen die oben erwähnten systemischen Rebound- und Backfire-Effekte, die durch zirkuläre Geschäftsmodellen entstehen könnten. Dadurch diskutieren und experimentieren sie vermehrt mit Wirtschaftspraktiken, die darauf abzielen, den Konsum von Produkten und Materialien absolut zu reduzieren. Das heißt sie nehmen Bezug auf Slow-Ansätze, wie beispielsweise Slow-Fashion, die u. a. neben einer Verlängerung von Produktnutzungsdauern eine regional-lokale Herkunft von Produktzutaten und -komponenten einschließen (Den Einfluss von Mode-Designer*innen auf diese Art der Produktherstellung können Sie im Text von Martina Glomb nachvollziehen). Durch ein nicht auf Konsum ausgelegtes Marketing versuchen Unternehmen so ihre Kund*innen anzuregen, die Auswirkungen ihres eigenen Handelns auf Natur und Gesellschaft zu reflektieren und motivieren sie zugleich dazu, ihren Konsum zu drosseln. Außerdem kann die Betonung auf eine agnostische Haltung gegenüber ökonomischem Wachstum bei zirkulären Geschäftsmodellen durchaus zu abweichenden Vorstellungen führen, was Wirtschaft überhaupt bedeutet, auf welchem Fundament sie fußt, und dadurch die Grundzüge des derzeitigen wirtschaftlichen Denkens und Handelns grundlegend verändern. Eine agnostische Haltung zum Wachstum einzunehmen, bedeutet natürlich nicht, dass Unternehmen mit zirkulären Geschäftsmodellen ökonomisch nicht wachsen sollen, sondern es geht eher darum, dass neue kreativitätsfördernde Freiräume geschaffen werden, um die gegenwärtig eindimensionale und lineare Wachstumserzählung zu überwinden. Um zirkuläre Geschäftsmodelle aus ihrem Nischendasein herauszuholen und auf das Level des Mainstreams zu hieven, müssen sie sogar ökonomisch expandieren. Dennoch gilt es, das klassische Wachstumsnarrativ zu hinterfragen, insbesondere in Zeiten, in denen der Klimawandel oder die Vermüllung der Ozeane zunehmende politische und gesellschaftliche Aufmerksamkeit genießen. Es bleibt die Frage: Was bedeutet wirtschaftlicher Erfolg in Zeiten von Klimawandel und Massensterben auf einem porösen Planeten?
Nichtsdestotrotz werden Aspekte der sozialen Nachhaltigkeitsdimension bei der realweltlichen sowie theoretischen Fundierung von zirkulären Geschäftsmodellen weitgehend ausgeblendet. Hierzu gehören Themenkomplexe wie z. B. die Einhaltung von Menschenrechten entlang der Wertschöpfungskreisläufe, Demokratisierungsbemühungen in Unternehmen durch eine gerechtere Verteilung von Erträgen und Vermögenssteigerungen oder die Etablierung von Entscheidungsprozessen, die die aktuellen vertikalen Machtstrukturen in Unternehmen abbauen.
Das folgende, illustrierte Praxisbeispiel hebt die Potenziale zirkulärer Geschäftsmodelle für eine nachhaltige Transformation der Produktions- und Konsumsysteme hervor und versucht gleichzeitig ihre blinden Flecke aufzuhellen.
Als Pionierunternehmen der Gemeinwohlökonomie hat VAUDE sich zum Ziel gesetzt, langlebige und naturschonende Outdoortextilien sowie Outdoorequipment zu entwickeln. Das mittelständische Familienunternehmen aus Tettnang, einem kleinen Städtchen in Baden-Württemberg, ist als mehrfache Gewinnerin von nationalen und internationalen Nachhaltigkeitspreisen bekannt geworden. Ähnlich wie das medial bekannte amerikanische Unternehmen Patagonia, adressiert VAUDE sozial-ökologische Herausforderungen, die mit der Herstellung von hochkomplexer Outdoorausrüstung einhergeht. Naturschutz, Transparenz, Schutz der Menschenrechte und das Engagement für gesellschaftspolitische Themen sind die Handlungsmaxime von VAUDE, die sie innerhalb ihres wirtschaftlichen Wirkungsradius verfolgen. Somit ist Nachhaltigkeit das omnipräsente Korsett ihrer Geschäftsprozesse. Durch die Gründung ihres zirkulären Geschäftsmodells iRentit, haben Outdoorbegeisterte seit wenigen Jahren die Möglichkeit, Equipment wie z. B. Fahrradtaschen, Zelte oder Rucksäcke über einen begrenzten Zeitraum unkompliziert zu mieten. Damit schlüpft VAUDE in die Rolle eines Product Stewards,(dt. Produktverantwortliche) d. h. sie stellen lediglich die Funktionalität des zur Vermietung angebotenen Produktes zur Verfügung und übernehmen somit die Verantwortung für eine sozial-ökologische Nutzung. Die Produkte können über eine Onlineplattform, in den firmeneigenen Filialen oder am Hauptproduktionsstandort in Tettnang gemietet werden. Mit iRentit bietet VAUDE eine Infrastruktur an, um sicherzustellen, dass Outdoorausrüstung möglichst intensiv, lange und über das gesamte Jahr genutzt wird, anstatt, wie wahrscheinlich bei 90 % der deutschen Bevölkerung, 50 von 52 Wochen im Jahr ungenutzt im Schrank, Keller oder Garage herumliegt. Um die Produkte möglichst lange in der Nutzungsphase zirkulieren zu lassen, entwickelten sie im letzten Jahr einen Reparaturindex. Je höher der Indexwert, desto schneller und einfacher kann das bewertete Produkt repariert werden. Damit rückt VAUDE die Reparierbarkeit ihrer Produkte noch stärker in den Fokus ihrer Wertschöpfungsaktivitäten und bekräftigt die Intention, der Wegwerfmentalität die Stirn zu bieten. Neben einer hauseigenen Reparaturwerkstatt, in der u. a. auch die Produkte für die iRentit-Plattform gepflegt, gewartet und repariert werden, kooperieren sie mit der Onlineplattform iFixit, um Reparaturanleitungen, Ersatzteile und Pflegehinweise ihrer Produkte in die Welt zu tragen. Damit betreibt VAUDE ein intensives Community Building, in der die Reparaturkultur gestärkt wird.
Dieser Beitrag ist als Teil des Sammelbands „Mythen der Circular Economy“ erschienen, der Sammelband für Entscheider*innen und Macher*innen in Industrie, öffentlichem Sektor, Zivilgesellschaft und Wissenschaft.
Hier geht’s zum kostenlosen DownloadFriedman, M. (1970). The social responsibility of business is to increase its profits. The New York Times Magazine. Eingesehen 03/2022: http://www.umich.edu/~thecore/doc/Friedman.pdf.
Grubel, M. (2016). Rebound-Effekte: Empirische Ergebnisse und Handlungsstrategien. Umweltbundesamt. Eingesehen 03/2022: https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/376/publikationen/rebound-effekte_empirische_ergebnisse_und_handlungsstrategien_hintergrundpapier.pdf.
Hofmann, F. (2019). Circular business models: Business approach as driver or obstructer of sustain-ability transitions? Journal of Cleaner Production 224 (2019), 361–374. https://doi.org/10.1016/j.jclepro.2019.03.115.
Hofmann, F., Zwiers, J. & Jaeger-Erben, M. (2021). Zukünfte einer digitalen Circular Economy. IM+io Best & Next Practices aus Digitalisierung/Management/Wissenschaft. Heft 1/März 2021. Eingesehen 03/2022: https://www.im-io.de/geschaeftsmodellkrise/zukuenfte-einer-digitalen-circular-economy/.
Jaeger-Erben, M. & Hofmann, F. (2019). Kreislaufwirtschaft – Ein Ausweg aus der sozial-ökologischen Krise? Schriftenreihe Nachhaltigkeit: Eine Veröffentlichung der Hessischen Landeszentrale für politische Bildung. Eingesehen 03/2022: https://hlz.hessen.de/fileadmin/user_upload/PDF/Publikationsreihen/Schriftenreihe_Nachhaltigkeit/HLZ-Broschuere_Nachhaltigkeit_Band_5_2019.pdf.
Richters, O. (2020). Grünes Wachstum oder die Entkopplung von Wirtschaftswachstum und Umweltbelastung. Institut für zukunftsfähige Ökonomien. Eingesehen 03/2022: https://www.oliver-richters.de/files/oliver-richters-2020-gruenes-wachstum.pdf.
Schumpeter, J. A. (1976). Capitalism, Socialism and Democracy. George Allen & Unwin.