In der regulatorischen Toxikologie gibt es eine starke Nachfrage seitens der Öffentlichkeit und der Regierungen, Tierversuche aus ethischen Gründen zu ersetzen. Darüber hinaus sollen alternative Testverfahren einen höheren Testdurchsatz und somit eine umfassendere Prüfung von Chemikalien ermöglichen, einschließlich der vielen auf dem Markt befindlichen Chemikalien, für die keine Informationen zur Toxizität vorliegen. Ein alternatives Testverfahren ist die Verwendung so genannter „ungeschützter“ Lebensstadien, zu denen auch das Zebrafisch-Embryomodell gehört. Das Fischembryomodell bietet ähnliche Vorteile wie zelluläre Modelle wie z.B. kleiner Maßstab und hoher Durchsatz, ermöglicht aber auch die Komplexität und Differenzierung eines in-vivo-Modells. Die Exposition von Zebrafischembryonen gegenüber Chemikalien kann zu unterschiedlicher Fehlbildungen führen, deren Muster zur Diagnose der Wirkungsweise und zur Vorhersage von Gefahren dienen könnten. Mit Hilfe automatisierter Bildgebungs- und Bildanalyseroutinen ist eine unvoreingenommene, quantitativere Bewertung der Phänotypen möglich. Der Ansatz basiert auf der Verwendung einer am UFZ entwickelten Software (UFZ), die entsprechende Strukturen annotiert bzw. deren Koordinaten ermittelt. Auf der Grundlage dieser Koordinaten werden dann verschiedene Maße verwendet, um die Abweichung vom normalen Phänotyp und die Effektkonzentrationen zu berechnen. Aufgrund der Ähnlichkeit der Effektmuster kann eine Gruppierung von Chemikalien mit vermtlich ähnlichem Wirkungsmodus erfolgen. Allerdings ist derzeit nicht bekannt, inwieweit die Gruppierung von Chemikalien nach Ähnlichkeit der Phänotypen durch Unterschiede in der Toxikokinetik verzerrt werden kann. Chemikalien können je nach ihren physikalisch-chemischen Eigenschaften unterschiedlich schnell aufgenommen werden. Dies führt dazu, das zu unterschiedlichen Zeitpunkten Spitzen- oder Gleichgewichtskonzentrationen erreicht werden. Das Verständnis des Zusammenhangs zwischen Toxikokinetik und Phänotypen ist daher von entscheidender Bedeutung, wenn man Wirkungsmuster für die Klassifizierung von Substanzen nutzen will.
Mein erstes Ziel ist es, die Erfassung der Phänotypen durch eine weitere Optimierung der morphologischen Analyse (z. B. durch Einbeziehung zusätzlicher Endpunkte) zu verbessern und die Quantifizierung und Konzentrations-Wirkungs-Analyse stärker zu automatisieren. Mit Hilfe dieser verbesserten Protokolle zur Bewertung des Phänotyps beabsichtige ich, die Auswirkungen der Toxikokinetik anhand einer Reihe von Verbindungen (z. B. COX-Hemmer, Hemmung von Natrium- und GABA abhänigen Kanälen in Nerven) mit bekanntermaßen ähnlicher Wirkungsweise zu analysieren. Schließlich werde ich eine Strategie zur Berücksichtigung von Unterschieden in der Toxikokinetik bzw. im Expositionsfenster entwickeln, um eine vergleichende Bewertung der phänotypischen Wirkungsmuster zu ermöglichen. Parallel zur Wirkungsanalyse sollen interne Konzentrationen gemessen werden, um die beobachteten Wirkungen mit den internen Konzentrationszeitverläufen in Beziehung zu setzen.
Bislang wurden zwei Verbindungen nach den oben genannten Kriterien ausgewählt: Acetylsalicylsäure und Valproinsäure. Für die beiden Chemikalien wurden verschiedene Expositionsszenarien auf der Grundlage des standardmäßigen 4-Tage-Toxizitätstests für Fischembryonen erstellt. Im Falle von Acetylsalicylsäure wurden zunächst drei kurzfristige Expositionsfenster (2-4, 2-6 und 2-8 Stunden nach der Befruchtung (hpf)) verwendet, nach denen die Exposition gestoppt wurde und die Embryonen für den Rest der Testperiode in Wasser gehalten wurden. Durch die Verwendung von Kurzzeitexpositionen sollte die interne Exposition auf einen bestimmten Zeitraum begrenzt werden, da die Abgabe von Chemikalien aus Fischembryonen in das Inkubationsmedium relativ schnell erfolgt. Dies erfordert relativ hohe Konzentrationen, ermöglicht aber eine Abschätzung, ob die Exposition während verschiedener Entwicklungsperioden das Ausmaß und/oder das Muster der Auswirkungen verändern kann. Es erwies sich jedoch als schwierig, Effekte bei diesen sehr kurzen Expositionszeitfenstern hervorzurufen. Im Falle von Valproinsäure wurde daher eine alterative Strategie verwendet. Und zwar wurden der Expositionsstartpunkt (von 2 -10 h nach der Befruchtung) variiert, die Exposition aber bis zum Tag 4 der Entwicklung fortgesetzt. Die morphologischen und verhaltensbezogenen Wirkungen wurden während der Expositionsversuche bewertet.
Die Vertebrate Automated Screening Technology (VAST, Union Biometrica) und der Automated Imaging Robot (AIR, Life Science Methods) ermöglichten eine präzise und automatisierte Positionierung von Embryonen und wurden für eine automatisierte Phänotyp-Bewertung verwendet. Die Bewertung des Phänotyps basierte auf der Verwendung von 2D-Bildern (lateral, dorsoventral) ausgewählter Stadien und der Identifizierung von Koordinaten morphologischer Strukturen mit Hilfe von Deep Learning-basierten Erkennungsmodellen. Zur Visualisierung bestimmter Strukturen, wie z. B. Blutgefäße, wurden Subtraktionsbilder von Videobildern verwendet werden. Die in der Software KNIME entwickelten Workflows berechneten automatisch Metriken wie Körperlänge, Augengröße, Gehirnvolumen, Otolithen-Augen-Abstand und Pigmentierungsintensität. Durch den Vergleich mit den Metriken von Kontrollembryonen wurden Konzentrations-Wirkungs-Kurven modelliert und zur Abschätzung von Effektkonzentrationen für einzelne Metriken verwendet.
Neben der morphologischen Analyse wurden auch Verhaltenseffekte mit Hilfe des ZebraBox-Systems und der zugehörigen ZebraLab-Software (ViewPoint Behavior Technology) bewertet. Es wurden drei verschiedene Methoden angewandt, um die potenziellen toxischen Auswirkungen auf das Verhalten von Zebrafisch-Embryonen/Larven zu bewerten: Spontane Schwanzkontraktion (STC), Photomotorische Reaktion (PMR) und Lokomotorische Reaktion (LMR).
Es ist vorgesehen, auch die internen Konzentrationen der exponierten Zebrafisch-Embryonen zu analysieren.
Auf der Grundlage der phänotypischen Analyse wird erwartet, dass mindestens 20 morphologische Merkmale sowohl für laterale als auch dorsoventrale Bilder berechnet werden können. Dies wird zu recht komplexen Datensätzen führen, die mit Hilfe etablierter statistischer Methoden weiter analysiert werden.
Beide Chemikalien verursachten morphologische Veränderungen im angewandten Konzentrationsbereich in beiden Expositionsfenstern. Die morphologischen Daten werden fortlaufend analysiert, um diese Fehlbildungen zu quantifizieren und Konzentrations-Wirkungsbeziehungen abzuleiten. Acetylsalicylsäure hatte bei keiner der angewandten Konzentrationen einen Einfluss auf die im LMR-Test zurückgelegte Strecke. STC- und PMR-Tests wurden mit dieser Chemikalie noch nicht durchgeführt. Valproinsäure verringerte die im LMR-Test zurückgelegte Strecke in beiden Expositionsgruppen mit Ausnahme der kleinsten angewandten Konzentrationen. Sie erhöhte die Anzahl der spontanen Schwanzkontraktionen im STC-Test bei allen angewandten Konzentrationen in beiden Expositionsgruppen. Im PMR-Test verringerte Valproinsäure die Erregung der Larven in einer konzentrationsabhängigen Weise in der 2 hpf-Expositions-Gruppe, während dieser Rückgang in der 10 hpf-Gruppe weniger deutlich war.
In den nächsten Phasen des Forschungsprogramms werde ich weiterhin verschiedene Expositionstests mit neuen Modellverbindungen und unterschiedlichen Expositionsszenarien durchführen, um genügend Daten zu sammeln, um die Rolle der Toxikokinetik bei der vergleichenden Analyse von Chemikalien unter Verwendung phänotypischer Wirkungsmuster zu untersuchen.