Die Deutsche Bundesstiftung Umwelt (DBU), mit einem Stiftungskapital von rund 2,4 Milliarden Euro eine der größten Umweltstiftungen Europas, widmet sich in ihrer Reihe „DBUgoesBrussels“ der Frage, wie ein nachhaltiger Einsatz von Pflanzenschutzmitteln, auch Pestizide genannt, gelingen kann. Ein Thema also, das in den vergangenen Wochen und Monaten die Gemüter erhitzt und zu verhärteten Debatten geführt hat – und alle angeht, weil wir auf gesunde und zugleich umweltschonend produzierte Nahrungsmittel angewiesen sind. Landwirte wollen mit Pestiziden Schädlinge von den Feldern fernhalten, Umweltschützer sehen Natur und Artenvielfalt in Gefahr, weil aus ihrer Sicht wegen der starken Nebenwirkungen von Pestiziden nicht nur Schadorganismen wie schädliche Insekten, Schadkräuter und schädliche Pilze, sondern auch viele andere Tiere, Pflanzen und Pilzarten geschädigt werden. Unter dem Titel „Spagat Pflanzenschutz: Wie die Sicherung von Nahrung und Natur gelingt“ will das DBUgoesBrussels zu einer Versachlichung des Diskurses beitragen – vor allem: zu möglichen Lösungswegen, um Landwirtschaft und Umweltschutz in dieser Angelegenheit in Einklang zu bringen.
In Kooperation mit der Vertretung des Landes Nordrhein-Westfalen bei der Europäischen Union (EU) in Brüssel lädt die DBU zu einer Abendveranstaltung mit hochaktuellen Fragen ein. Eine kurze Bestandsaufnahme soll zunächst einen Überblick zur Anwendung von Pflanzenschutzmitteln sowie zu deren positiven Effekten aber auch negativen Folgen für Mensch, Tier und Umwelt vermitteln. Anschließend wird ausgelotet, welche Anliegen, Sorgen und womöglich auch Existenzängste die Akteurinnen und Akteure in Landwirtschaft sowie Umwelt-, Natur- und Klimaschutz umtreiben – um sich dann einer Schlüsselfrage zu stellen: Wo befinden sich trotz teils widerstreitender Interessen Schnittmengen, die zu einer gemeinsamen Lösung führen? Denn in einem Ziel dürfte Konsens bestehen: lebenswichtige Nahrungsmittel zu produzieren, ohne Böden, Wasser und Luft zu schädigen – damit der Planet für Mensch und Tier lebenswert bleibt.
Als Keynote-Speaker konnte ein hochrangiger und höchst profilierter Vertreter der EU-Kommission gewonnen werden: Dr. Klaus Berend, Direktor für Lebensmittelsicherheit, Nachhaltigkeit und Innovation in der Generaldirektion Gesundheit und Lebensmittelsicherheit. Berend ist seit 1994 in der Europäischen Kommission tätig. Vor seinem jetzigen Amt war er als Referatsleiter verantwortlich für die Umsetzung der EU-Gesetzgebung zu Pflanzenschutzmitteln und Bioziden. Seine Keynote dürfte umso mehr mit Spannung erwartet werden, weil die seitens der EU-Kommission eigentlich geplante EU-Pestizidverordnung zumindest vorerst gescheitert ist (siehe auch „Hintergrund“).
Nach einer Begrüßung durch den Leiter der Vertretung des Landes Nordrhein-Westfalen bei der Europäischen Union, Rainer Steffens, wird neben Keynote-Speaker Klaus Berend auch DBU-Generalsekretär Alexander Bonde Impulse zum Thema liefern. Im Anschluss an Keynote und Impulsvorträge folgt eine Podiumsdiskussion mit namhaften Vertreterinnen und Vertretern aus Wissenschaft, Wasser- und Landwirtschaft sowie des EU-Parlaments.
Wir laden Sie herzlich ein, bei dieser spannenden Debatte dabei zu sein!
ORT: Vertretung des Landes Nordrhein-Westfalen bei der Europäischen Union, Rue Montoyer 47, 1000 Brüssel
ZEIT: Montag, 18. März 2024, 18:30 bis 22 Uhr (Einlass ab 18:00 Uhr)
ANMELDUNG: Bis 11. März 2024 unter
https://bruessel.veranstaltungen.land.nrw/event.php?vnr=bc-30e
Die Veranstaltung wird simultan übersetzt in Deutsch und Englisch.
Hintergrund:
Um zu verstehen, warum überhaupt es beim Umgang mit Pflanzenschutz zu einem Spagat kommt und worin die aktuellen Herausforderungen bestehen, hilft ein Blick auf die politische Ausgangslage ebenso wie auf die rechtlichen Rahmenbedingungen. Von dieser Warte aus rückt ein Ziel näher, das die Deutsche Bundesstiftung Umwelt gemeinsam mit den beteiligten Akteurinnen und Akteuren voranbringen will: die Sicherung von Nahrung und Natur in Einklang zu bringen.
Die Ausgangslage
Neue Dynamik haben die teils sehr kontroversen Debatten rund um den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln Anfang Februar 2024 erhalten: Während der Sitzung des Europaparlaments in Straßburg kündigte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen an, die Kommission werde ihren eigenen Gesetzesvorschlag vom 22. Juni 2022 zur nachhaltigen Verwendung von Pflanzenschutzmitteln (engl. Sustainable Use Regulation, kurz SUR) zurückziehen – allerdings verbunden mit dem Hinweis, das Thema sei „nicht vom Tisch“. Der Verordnungsentwurf sah unter anderem vor, die Nutzung von Pestiziden bis 2030 um die Hälfte im Vergleich zum Durchschnitt der Jahre 2013 bis 2017 zu senken. Von der Leyen räumte zwar ein, der Vorschlag habe polarisiert. Zugleich bezeichnete sie aber den Legislativentwurf der EU-Kommission als legitimes Ziel, Risiken durch chemische Pflanzenschutzmittel zu minimieren. Der Rückzug wurde auch als Entgegenkommen an die Bäuerinnen und Bauern gewertet, deren wochenlangen Proteste in verschiedenen EU-Staaten sich auch gegen überbordende EU-Umweltauflagen richteten. Die Entscheidung der EU-Kommission war erwartet worden, weil das EU-Parlament bereits am 22. November 2023 den Verordnungsvorschlag der Kommission abgelehnt hatte.
Was war der Anlass für den Vorschlag zu einer neuen EU-Pestizidverordnung?
In ihrer Begründung am 22. Juni 2022 zu ihrem Vorschlag für eine Verordnung zur nachhaltigen Verwendung von Pflanzenschutzmitteln (Sustainable Use Regulation, SUR) verwendet die EU-Kommission den Begriff „Pestizide“ synonym zur Formulierung „Pflanzenschutzmittel“. Tatsächlich umfassen Pestizide neben Pflanzenschutzmitteln auch sogenannte Biozide. Im Sinne der von der EU-Kommission verwendeten Bezeichnung werden Pestizide weitverbreitet zum Schutz von Pflanzen verwendet und sollen zugleich Schadorganismen abwehren, mindern oder vernichten. Sie kommen demnach im Wesentlichen in der Land- und Forstwirtschaft sowie auf städtischen Grünflächen und entlang von Verkehrswegen wie Straßen und Schienen zum Einsatz. Und weiter: „Da Pestizide schädliche Auswirkungen auf die Umwelt und die menschliche Gesundheit haben können, sind sie auf EU-Ebene streng reguliert.“ Die EU-Kommission identifiziert jedoch zugleich „schwerwiegende Mängel“ bei der Umsetzung einer Richtlinie über die nachhaltige Verwendung von Pestiziden in einigen Mitgliedstaaten. Und sie betont, wie wichtig eine sichere, nachhaltige, klimaverträgliche Produktion von Lebensmitteln ist, wobei gleichzeitig Grundsätze der Nachhaltigkeit der Umwelt, des Schutzes der biologischen Vielfalt und der Ökosysteme sowie die Sicherstellung der Ernährungssicherheit zu beachten seien. Auch das verdeutlicht den Spagat beim Pflanzenschutz. Die EU-Kommission verortet den SUR-Vorschlag in der Kommissionsstrategie „Vom Hof auf den Tisch“ (engl. „From Farm to Fork“), die wiederum Teil des europäischen Grünen Deals ist, mit dem die EU bis 2050 erster klimaneutraler Kontinent werden will.
Welche Reaktionen gab es auf den Rückzug der EU-Kommission?
Der europäische Bauernverband Copa-Cogeca zeigte sich erleichtert, ebenso wie der Deutsche und Hessische Bauernverband: Die geplante EU-Pestizidverordnung sei Bürokratieballast, realitätsfern, ohne Finanzierung und hätte zu Ernteeinbußen sowie dem Ende der Wirtschaftlichkeit mit dem Aus von Betrieben geführt, hieß es unisono – wobei aber auch betont wurde, diese Haltung sei nicht als Ablehnung von mehr Umweltschutz zu verstehen. Große Enttäuschung über die Abkehr der EU-Kommission vom eigenen Gesetzesvorschlag zur Reduktion des Pestizideinsatzes signalisierten indes Umweltschützer, aber auch der Verband kommunaler Unternehmen (VKU). Von einem schwarzen Tag für Natur, Biodiversität und Landwirtschaft war die Rede, ein wesentlicher Baustein des europäischen Grünen Deals breche weg. Der VKU sprach von einem herben Rückschlag. Auf absehbare Zeit sei die Chance vertan, Ressourcen für die Trinkwassergewinnung besser zu schützen.
Der rechtliche Rahmen
Wie viele Pflanzenschutzmittel sind zugelassen?
Nach aktuellen Angaben des Umweltbundesamtes auf Grundlage von Daten des Bundesamts für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit waren im Jahr 2021 in Deutschland 950 Pflanzenschutzmittel mit 1.809 Handelsnamen zugelassen. Insgesamt wurden 281 Wirkstoffe eingesetzt – ein Wert der seit 2000 nahezu konstant ist. Laut UBA liegt in Deutschland der Absatz von Pflanzenschutzmitteln in der Landwirtschaft bei rund 30.000 Tonnen Wirkstoff pro Jahr und hat sich in den vergangenen Jahrzehnten kaum verändert. Gestiegen sei allerdings der Verkauf problematischer Wirkstoffe. Nach UBA-Angaben ergibt sich im Jahr 2021 für die Landwirtschaft in Deutschland ein durchschnittlicher jährlicher Einsatz von ungefähr 7,3 Kilogramm Pflanzenschutzmitteln sowie rund 2,4 Kilogramm Wirkstoff pro Hektar Anbaufläche – bei seinerzeit etwa 11,9 Millionen Hektar Ackerland und Dauerkulturen.
Die Deutsche Bundesstiftung Umwelt (DBU) und das Thema Pflanzenschutz
Im Jahr 2020 hat die Deutsche Bundesstiftung Umwelt (DBU) mit Sitz in Osnabrück ihre Förderinitiative zur Vermeidung und Verminderung von Pestiziden gestartet. Ein knappes Dutzend innovativer und kreativer Projekte wurde schließlich ausgewählt und seitdem mit insgesamt rund drei Millionen Euro gefördert. Dieses Jahr findet die Förderinitiative ihren Abschluss. Nur einige Beispiele:
English Version
DBUgoesBrussels – Balancing act plant protection: How to secure food and nature
The German Federal Environmental Foundation (Deutsche Bundesstiftung Umwelt, DBU), one of the largest environmental foundations in Europe with an endowment of around 2.4 billion euros, is devoting its “DBUgoesBrussels” series to the question of how the sustainable use of plant protection products, also known as pesticides, can succeed. This is a topic that has heated up emotions and led to heated debates in recent weeks and months – and it concerns everyone because we are dependent on healthy food that is also produced in an environmentally friendly way. Farmers want to use pesticides to keep pests away from their fields, while environmentalists see nature and biodiversity at risk because they believe that the strong side effects of pesticides not only harm harmful organisms such as harmful insects, weeds and harmful fungi, but also many other animals, plants and fungal species. Under the title “The balancing act of plant protection: How to safeguard food and nature”, the DBUgoesBrussels aims to contribute to a more objective discourse – above all: on possible solutions to harmonise agriculture and environmental protection in this matter.
In cooperation with the Representation of the State of North Rhine-Westphalia to the European Union (EU) in Brussels, the DBU is organising an evening event on highly topical issues. A brief review will first provide an overview of the use of plant protection products and their positive effects as well as negative consequences for humans, animals and the environment. The concerns, worries and possibly also existential fears of those involved in agriculture and environmental, nature and climate protection will then be explored – in order to then address a key question: Where are the overlaps that lead to a common solution despite sometimes conflicting interests? After all, there is likely to be consensus on one goal: to produce vital food without damaging the soil, water and air – so that the planet remains liveable for humans and animals.
A high-ranking and highly distinguished representative of the EU Commission has been secured as keynote speaker: Dr Klaus Berend, Director for Food Safety, Sustainability and Innovation in the Directorate-General for Health and Food Safety. Mr Berend has been working for the European Commission since 1994. Prior to his current position, he was responsible for the implementation of EU legislation on plant protection products and biocides. His keynote speech is likely to be all the more eagerly awaited because the EU pesticide regulation actually planned by the EU Commission has failed, at least for the time being (see also “Background”).
After a welcome address by the Head of the Representation of the State of North Rhine-Westphalia to the European Union, Rainer Steffens, keynote speaker Klaus Berend and DBU Secretary-General Alexander Bonde will provide impetus on the topic. The keynote and keynote speeches will be followed by a panel discussion with renowned representatives from science, water and agriculture as well as the EU Parliament.
We cordially invite you to take part in this exciting debate!
PLACE: Representation of the State of North Rhine-Westphalia to the European Union,Rue Montoyer 47, 1000 Brussels
TIME: Monday, 18 March 2024, 18:30 to 22:00 (admission from 18:00)
REGISTRATION: Until 11 March 2024 at
https://bruessel.veranstaltungen.land.nrw/event.php?vnr=bc-30e
The event will be simultaneously translated into German and English.
Background:
In order to understand why there is a balancing act when dealing with plant protection and what the current challenges are, it helps to take a look at the initial situation from politics’ point of view as well as the legal framework. From this perspective, a goal comes closer that the German Federal Environmental Foundation (Deutsche Bundesstiftung Umwelt, DBU) wants to advance together with the stakeholders involved: to secure food and nature at the same time.
The initial situation
The sometimes highly controversial debates surrounding the use of plant protection products gained new momentum at the beginning of February 2024: During the session of the European Parliament in Strasbourg, EU Commission President Ursula von der Leyen announced that the Commission would withdraw its own legislative proposal of 22 June 2022 on the Sustainable Use Regulation (SUR) of plant protection products – albeit with the note that the issue was “not off the table”. Among other things, the draft regulation envisaged reducing the use of pesticides by half by 2030 compared to the average for the years 2013 to 2017. Von der Leyen admitted that the proposal had polarised opinion. At the same time, however, she described the EU Commission’s draft legislation as a legitimate aim to minimise the risks posed by chemical pesticides. Von der Leyen’s move was also seen as a concession to farmers, whose weeks of protests in various EU countries were also directed against excessive EU environmental regulations. The EU Commission’s decision had been expected because the EU Parliament had already rejected the Commission’s proposed regulation on 22 November 2023.
What prompted the proposal for a new EU pesticides regulation?
In its explanatory memorandum of 22 June 2022 on its proposal for a regulation on the sustainable use of plant protection products (SUR), the EU Commission uses the term “pesticides” synonymously with the term “plant protection products”. In fact, in addition to plant protection products, pesticides also include so-called biocides. In the sense of the term used by the EU Commission, pesticides are widely used to protect plants and are also intended to repel, reduce or destroy harmful organisms. They are therefore mainly used in agriculture and forestry as well as on urban green spaces and along transport routes such as roads and railways. It continues: “As pesticides can have harmful effects on the environment and human health, they are strictly regulated at EU level.” However, the EU Commission also identifies “serious shortcomings” in the implementation of a directive on the sustainable use of pesticides in some member states. It also emphasises the importance of safe, sustainable, climate-friendly food production, while at the same time observing the principles of environmental sustainability, protecting biodiversity and ecosystems and ensuring food security. This also illustrates the balancing act in plant protection. The EU Commission is locating the SUR proposal in the Commission’s “From Farm to Fork” strategy, which in turn is part of the European Green Deal, with which the EU aims to become the first climate-neutral continent by 2050.
What were the reactions to the EU Commission’s withdrawal?
The European farmers’ association Copa-Cogeca was relieved, as were the German and Hessian farmers’ associations: the planned EU pesticide regulation was a bureaucratic ballast, unrealistic, unfinanced and would have led to crop losses and the end of profitability with the closure of farms, they said in unison – although it was also emphasised that this stance should not be understood as a rejection of more environmental protection. However, environmentalists and the German Association of Local Public Utilities (Verband kommunaler Unternehmen, VKU) signalled their great disappointment at the EU Commission’s rejection of its own legislative proposal to reduce the use of pesticides. There was talk of a black day for nature, biodiversity and agriculture, with a key component of the European Green Deal being cancelled. The VKU spoke of a bitter setback. For the foreseeable future, the opportunity to better protect resources for drinking water production has been lost, said the association.
The legal framework
How many plant protection products are authorised?
According to current information from the Federal Environment Agency (Umweltbundesamt, UBA) based on data from the Federal Office of Consumer Protection and Food Safety, 950 plant protection products with 1,809 trade names were authorised in Germany in 2021. A total of 281 active substances were used – a figure that has remained almost constant since 2000. According to the UBA, sales of plant protection products in agriculture in Germany amount to around 30,000 tonnes of active ingredient per year and have hardly changed in recent decades. However, the sale of problematic active substances has increased, says UBA. According to UBA data, the average annual use of pesticides in agriculture in Germany in 2021 will be around 7.3 kilograms and around 2.4 kilograms of active ingredient per hectare of cultivated land – with around 11.9 million hectares of arable land and permanent crops at that time.
The German Federal Environmental Foundation (DBU) and the topic of plant protection
In 2020, the German Federal Environmental Foundation (DBU), based in Osnabrück, launched its funding initiative for the prevention and reduction of pesticides. Almost a dozen innovative and creative projects were ultimately selected and have since been funded with a total of around three million euros. The funding initiative is coming to an end this year. Just a few examples: