Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule
(RWTH) Aachen
Institut für Siedlungswasserwirtschaft
Lehrstuhl für Siedlungswasser- und Wassergütewirtschaft
Mies-van-der-Rohe-Str. 1
52056 Aachen
Zur Elimination von Spurenstoffen (Arzneimittelrückstände, Diagnostika, Hormone, Chemikalienreste) in kommunalen Kläranlagen – die den Haupteintragspfad für Spurenstoffe in Oberflächen- und Grundwässer darstellen – wird aufgrund ihrer Breitbandwirkung Pulveraktivkohle (PAK) verwendet. Zu deren Abscheidung nach erfolgter Dosierung und Spurenstoffadsorption werden bislang Sandfilter eingesetzt, die bis zu 15 % des Gesamtenergieverbrauchs (Beschickung, Spülung, Rückführung Spülabwässer) kommunaler Kläranlage verursachen. Da Kläranlagen in vielen Kommunen den größten Einzelenergieverbraucher darstellen, tragen klassische Filter erheblich zur Freisetzung von CO2-Äquivalenten bei. Zudem werden erhebliche Mengen von CO2-Äquivalenten beim Bau der Filter (Beton, Bewehrungsstahl) – sofern verwendet – und bei der üblichen Verwendung von PAK aus fossilen Rohstoffen (Braun-/Steinkohle oder Torf) freigesetzt.
Im Projekt „Schwarzes Gold“ soll eine PAK aus nachwachsenden Rohstoffen in einem großtechnischen Versuch verwendet werden. Diese soll in einem im Nachklärbecken integrierten sogenannten adaptiven Einlaufsystem („hydrograv adapt“) durch Nutzung des Flockenfiltereffekts ohne zusätzliche Filtrationsbauwerke sicher abgeschieden werden. Zudem könnten damit sehr niedrige Phosphorgrenzwerte eingehalten werden, die zukünftig seitens der Wasserrahmenrichtlinie zum Schutz der Oberflächengewässer zu erwarten sind. Bei diesem neuartigen „hydrograv adapt-PAK“, das zudem als digitaler Zwilling im Rahmen des Projekts umgesetzt werden soll, wird bauartbedingt keine zusätzliche Fläche auf Kläranlagen versiegelt, praktisch keine Energie für den Betrieb benötigt (lediglich Antrieb zur automatischen Höhenanpassung) und der Ausstoß von CO2-Äquivalenten durch Verwendung von PAK aus nachwachsenden Rohstoffen wird auf ein Minimum beschränkt. Das Vorhaben wird durch Ablauf-Messung des PAK-Schlupfs und der Feststoffe zur Sicherstellung der hinreichenden PAK-Abscheidung begleitet. Zudem wird eine Ökobilanzierung, eine Kostenbetrachtung und Nutzwertanalyse sowie ein CFD (Computational Fluid Dynamics) Modell zur Übertragung auf andere Kläranalagen durchgeführt.
Im Rahmen des Projekts zur Implementierung des adapt-PAK-Systems an der Kläranlage Bad Berleburg wurden zunächst Vorbereitungen in Verbindung mit dem bestehenden System für den Versuchsbetrieb durchgeführt. Es erfolgte die Anpassung des adapt-Einlaufsystems an die PAK-Abscheidung durch CFD-Simulationen, um den Flockenfiltereffekt im stabilen Schlammbett optimal zu nutzen und somit die Steuerparameter für den späteren Referenzbetrieb festzulegen. Zudem wurde das PAK-Dosiersystem geplant und installiert; hierbei wurde die Hardware in die bestehende Kläranlage integriert und in Betrieb genommen. Für eine umfassende analytische Begleitung des Versuchsvorhabens wurde zudem ein Probenehmer installiert und ein Probenahmekonzept entwickelt.
Zunächst wurde der IST-Zustand im Vollstrombetrieb ohne PAK-Dosierung ermittelt, gefolgt von einer Phase mit kontinuierlicher Dosierung über einen Zeitraum von 16 Wochen. Parallel dazu wurden wöchentlich 24h-Mischproben genommen und umfassende Analytik durchgeführt, um gewählte Ablaufparameter (CSB, Trübung, AFS, DOC) sowie den PAK-Schlupf und die Spurenstoffelimination zu dokumentieren. Die Bestimmung des PAK-Schlupfs erfolgte über die Gradienten-TOC-Methode.
Für die Übertragung der Erkenntnisse des Projekts auf andere Kläranlagen wurden rheologische Messungen in der Nachklärung durchgeführt und ein CFD-Modell entwickelt, das das Verhalten des Systems unter PAK-Dosierung abbildet.
Zur weitergehenden Bewertung und Übertragung des Verfahrens wurde außerdem ein ökologisches Screening durchgeführt. Dafür wurde eine Sachbilanz erstellt, um CO2-Äquivalente über einen langen Zeitraum zu berechnen und auszuwerten. Die Ergebnisse des Screenings flossen anschließend in eine Nutzwertanalyse ein, welche Investitions-, Betriebs- und Rückbaukosten sowie technische Aspekte berücksichtigte.
Der PAK-Schlupf liegt beim Versuchsvorhaben selbst bei hoher PAK-Dosierung im Bereich ≤ 0,1 mg/L und ist somit genauso effizient wie die Abscheidung bei der Verwendung eines nachgeschalteten Filters. Zudem konnte bei weiteren Parametern im Kläranlagenablauf (bspw. AFS und CSB) eine Verbesserung beobachtet werden. Weiterhin wurde die Leistungsfähigkeit der Nachklärung durch die Kombination des hydrograv Adapt und der PAK-Dosierung gesteigert, sodass bestehende Becken höhere Lasten aufnehmen können. Die mittlere Spurenstoffelimination der verwendeten biogenen PAK liegt bei mindestens 80 % und erreicht Spitzen von bis zu 95 %. Somit sind die Anforderungen der EU-KARL Novelle erfüllt. Im ökobilanziellen Screening ergeben sich für biogene PAK zudem über 50 % verringerte Emissionen verglichen mit PAK aus fossilem Ursprung.
Beim ökobilanziellen Screening wurden neben dem adaptiven Einlaufsystem Varianten mit einem diskontinuierlichen Filter, einem kontinuierlichem Sandfilter in Stahltanks, einem kontinuierlichem Sandfilter in Beckenbauweise und einem Tuchfilter evaluiert. In der Bewertungsmatrix wurden Annahmen zu Strommix, Bewehrungsstahlanteil und Transportdistanzen getroffen. Es muss berücksichtigt werden, dass die Entwicklung über den gewählten 30-jährigen Betrachtungszeitraum einen Unsicherheitsfaktor darstellt. Die baubedingten Emissionen beziehen sich hauptsächlich auf Bautechnik und Stromverbrauch. Die Variante mit hydrograv Adapt verursacht die geringsten Emissionen – fünfmal geringer als bei einem Tuchfilter und 19-mal geringer als bei einem kontinuierlichen Sandfilter in Beckenbauweise. Positiv ist zudem der fehlende Platzbedarf für zusätzliche Filterbecken. Die PAK hat über 90 % des CO2e-Emissionsanteils, was den Einfluss der Aktivkohleproduktion verdeutlicht. Eine Kostenvergleichsrechnung zeigt das adaptive Einlaufsystem als kostengünstigste Option, obwohl die Betriebskosten aufgrund der hohen Dosierung von Pulveraktivkohle etwas höher erscheinen.
CFD-Simulationen sicherten die Übertragbarkeit der Ergebnisse und zeigen keine negativen Einflüsse von Aktivkohle auf Schlamm oder Nachklärung. Vorteil bei der Implementierung des Systems in zukünftigen Projekten ist, dass eine individuelle Simulation der jeweiligen Strömungsverhältnisse ermöglicht das Verfahren exakt auszulegen und anzupassen, wodurch maßgeschneiderte Lösungen bereitgestellt werden können.
Die Projektergebnisse werden sowohl auf der hydrograv-Website als auch im hydrograv LinkedIn-Kanal veröffentlicht. Kunden mit bestehenden Adapt-Installationen werden per Mailing über die Projektergebnisse informiert. Auf der IFAT 2024 wurde eine positive Erwartungshaltung von Anlagenbetreibern und Ingenieurbüros signalisiert, an die mit validierten Fakten aus Bad Berleburg angeknüpft wird, um weitere Demonstratoren zu erzielen. Die Projektergebnisse fließen in die Werbekampagne und Demonstratoren der hydrograv GmbH für die IFAT 2026 ein. Zudem wird ein möglicher Zeitschriftenartikel in der KA Abwasser (o.Ä.) unterstützt. Im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit wurde das Projekt zudem bereits in verschiedenen Formaten (bspw. beim Kölner Kanal- und Kläranlagenkolloquium und im Rahmen eines DWA Nachbarschaftstreffens sowie eines DWA Gruppentreffens) vorgestellt und stoß dabei auf reges Interesse. Zudem ist eine Präsentation des Projekts bei der Essener Tagung 2025 geplant.
Die PAK-Abtrennung mit dem adaptiven Einlaufsystem stellt einen Fortschritt im aktiven und nachhaltigen Gewässerschutz dar. Die Qualität des Ablaufs, sowohl hinsichtlich der AFS-Konzentration als auch der Spurenstoffe, wird durch den Einsatz der biogenen PAK erheblich verbessert. Der PAK-Rückhalt liegt bei über 99 % und ist somit ebenso effizient wie bei Verwendung eines Filters.
In der ökologischen Betrachtung sowie in Kostenvergleichsrechnung und Nutzwertanalyse erweist sich das adaptive Einlaufsystem als die effizienteste und ressourcenschonendste Lösung. Es ist jedoch zu beachten, dass die PAK über 90 % der CO2e-Emissionen ausmacht, was die Produktion und den Ursprung der Aktivkohle zu einem entscheidenden Faktor macht.
Für eine umfassendere Bewertung sollten längere Zeiträume betrachtet werden, um jahreszeitliche Schwankungen zu berücksichtigen. Zukünftige Versuche sollten klären, ob eine vergleichbare Elimination von Spurenstoffen auch mit geringeren PAK-Dosiermengen möglich ist. Zudem bedarf es einer Evaluierung der optimalen Dosierstelle und -menge des Fällmittels.
Der praktische Nachweis der Wirksamkeit reduziert das Risiko für den Verfahrensausgang und senkt das Investitionsrisiko. CFD-Simulationen sichern die Übertragbarkeit der Ergebnisse und ermöglichen die Integration von Spurenstoffentfernung in bestehende Kläranlagen ohne zusätzliche Stufen, was eine kosteneffiziente Erweiterung zur Erfüllung von Umweltstandards ermöglicht.