Museum für Naturkunde Berlin
Leibniz-Institut für Evolutions- und
Biodiversitätsforschung
Invalidenstr. 43
10115 Berlin
Ernährung und Ernährungssystem besitzen nicht nur einen enormen – positiven und negativen – Einfluss auf die menschliche Gesundheit, sondern bestehende Ernährungssysteme können wesentlich zur Ausdehnung und Beschleunigung von Umweltzerstörung beitragen. Zugleich können nachhaltige Ernährungssysteme und ein aufgeklärtes, nachhaltiges Konsumverhalten einen zentralen Beitrag zum Schutz und Erhalt der Planetaren Gesundheit (engl. Planetary Health) leisten.
Allerdings ist das öffentliche Risikobewusstsein für den Zusammenhang zwischen der Gesundheit des Menschen und unseres Planeten sowie die damit verbundene Handlungsbereitschaft bisher gering (Lehrer et al. 2023). Zudem werden bestehende Ernährungssysteme von einem komplexen Geflecht aus kulturellen, sozialen, politischen, ökonomischen, technologischen und demografischen Voraussetzungen und somit von divergierenden Interessen, Bedarfen und Weltanschauungen unterschiedlicher Akteur:innengruppen bestimmt. Einseitige Lösungsansätze, die von der Wissenschaft oder der Politik ohne Konsultation und Einbezug relevanter Bevölkerungsgruppen vorgebracht werden, treffen deshalb häufig auf Widerstände und haben kaum Erfolgschancen. Auch greift lineare Wissenschaftskommunikation im Sinne klassischer Informationsvermittlung und Bildungsarbeit hier zu kurz, da sie von einem Wissensmangel bei den Empfänger:innen ausgeht und ihnen eine passive Rolle im Transformationsprozess zuweist bzw. sie von diesen Prozessen gänzlich ausschließt (Kiprijanov 2024). Stattdessen sollten wissenschaftsbasierte, politische Lösungsansätze auf Grundlage von strategisch geplanten Austauschprozessen mit relevanten Akteur:innen auf Augenhöhe entwickelt werden, um bestehendes Wissen zu mobilisieren sowie neues, handlungsrelevantes Wissen zu erzeugen.
Das Pilotprojekt „Planetary Health – Public Engagement für Planetare Gesundheit mit Fokus Ernährung“ verfolgte das Ziel, mittels Public Engagement (PE) neue Wege für einen nachhaltigen Wandel unseres Ernährungssystems und Konsumverhaltens zu eröffnen. PE wurde in diesem Projekt als zentrales Instrument untersucht und getestet, da es eine breite Palette von Ansätzen umfasst, die von klassischen Maßnahmen der Wissenschaftskommunikation bis hin zu dialogorientierten und partizipativen Formaten reichen und somit eine flexible Grundlage für die Förderung von Transformationen bietet.
Doch wie kann PE in der Kommunikationspraxis konkret für einen nachhaltigen Wandel bestehender Ernährungssysteme von relevanten Stakeholder:innen nutzbar gemacht werden? Dieser Leitfrage folgend wurde unter Einsatz sozialwissenschaftlicher Methoden im Projekt untersucht, wie dialogorientierte und partizipative Austausch- und Aushandlungsprozesse sozioökologische Transformationen anstoßen und bestärken können, zunächst fallstudienartig im Bereich Ernährung für Planetare Gesundheit. Die wissenschaftliche Arbeit verfolgte einen transdisziplinären Ansatz, der unterschiedliche Perspektiven und Methoden der theoretischen und empirischen Forschung mit Co-Creation-Workshops verbindet. Das Forschungsprojekt stellte das Gestaltungs- und Veränderungspotenzial von PE heraus, indem zunächst die möglichen Outcomes und Vorteile entsprechender Aktivitäten identifiziert wurden. Darauf aufbauend wurde gemeinsam mit relevanten Stakeholder:innen eine Reihe von bedarfsorientierten PE-Empfehlungen entwickelt und in Form eines Leitbildes konsolidiert, um interessierte Akteur:innen zu befähigen, mittels PE-Maßnahmen eine Transformation in ihrem jeweiligen Handlungs- und Kommunikationsfeld voranzutreiben.
Der Projektplan sah eine Aufteilung der Arbeitsschritte in fünf zeitlich gestaffelte und aufeinander aufbauende Arbeitspakete vor. Diese Projektstruktur ermöglichte ein effizientes und zugleich flexibles Zeitmanagement sowie eine stärkere Orientierung der Forschungsarbeit an den genannten Projektzielen. Arbeitspakete:
• AP1: Status Quo.
• AP2: Konzeption.
• AP3: Validierung & Konsolidierung.
• AP4: Erprobung & Prototyping.
• AP5: Außenkommunikation und Transfer.
Fünf zentrale Ergebnisse sind besonders hervorzuheben:
1. Die Begriffe „One Health“, „Global Health“ und „Planetary Health“ sind in der Literatur unscharf voneinander abgegrenzt und werden häufig synonym verwendet. Die relevanten Akteur:innen sind ebenso schwer zu identifizieren, da sie diverse berufliche Hintergründe und Tätigkeitsfelder aufweisen sowie häufig in mehreren Communities aktiv sind. Die Stakeholder:innenanalyse (AP1) gestaltete sich dementsprechend langwierig und stützte sich überwiegend auf persönliche Kontakte und informelle Netzwerke.
2. Die Literaturanalyse (AP1) zeigte deutlich auf, dass konstruktive Kommunikation zu und PE mit Planetarer Gesundheit ein bisher wenig beforschtes Feld darstellt. Dementsprechend liegen nur wenige Studien vor, die eine (kommunikations-)theoretische Einordnungen oder konkrete Anleitungen für Kommunikations- und Partizipationsmaßnahmen in diesem Themenfeld bieten.
3. Sowohl in den Stakeholder:innen-Workshops (AP2, AP3) als auch in der praktischen Kommunikationsarbeit (AP5) wurde deutlich, dass die Perspektive der Planetaren Gesundheit gewisse Hürden für die Kommunikation der Wechselwirkungen zwischen tierischer Gesundheit, menschlicher Gesundheit und dem Zustand der planetaren Systeme aufweist. Zugleich zeigten durchgeführte PE-Maßnahmen (AP4), dass ernährungsbezogene Themen und Narrative einen produktiven Ansatz für Engagement-Maßnahmen und damit einen niedrigschwelligen Zugang zu Planetary Health-Themen bieten können.
4. Ein beträchtlicher Anteil der beteiligten Stakeholder:innen äußerte in den Workshops und Konsultationen ein großes Interesse an PE mit Planetarer Gesundheit als Instrument zur Stärkung sozioökologischer Transformationen. Um jedoch die Hürden beim Einstieg in die Planung und Umsetzung solcher Aktivitäten zu überwinden, besteht ein dringender Bedarf an praktischen Anleitungen für interessierte Akteur:innen ohne Vorerfahrungen in der PE-Praxis.
5. Die durchgeführten Stakeholder:innen-Workshops zeigten auf, dass insbesondere Wissenschaftler:innen und Mediziner:innen häufig von einem Wissensdefizit bei den Adressat:innen ihrer PE-Maßnahmen ausgehen. Expert:innen sind daher gefordert, ihre eigene Position kritisch zu reflektieren. Dies bedeutet, die eigenen expliziten und impliziten Annahmen — seien sie epistemischer, kultureller oder sozialer Natur — vor und während PE-Maßnahmen zu hinterfragen und ein Bewusstsein für die zugrunde liegenden Machtstrukturen und Hierarchien zu entwickeln.
Tätigkeiten in diesem Bereich umfassten alle strategischen Überlegungen und Maßnahmen hinsichtlich des wissenschaftlichen Austausches und der Öffentlichkeitsarbeit bzw. Außenkommunikation der (Zwischen-)Ergebnisse des Projekts. Dazu zählten:
(a) Zahlreiche Veranstaltungen für eine interessierte Öffentlichkeit und insbesondere Besucher:innen des Museums für Naturkunde Berlin (z.B. ‘Partizipation für Transformation’, Lange Nacht der Wissenschaften 2024, 22.06.2024, MfN, Berlin; Anpfiff zur Planetaren Gesundheit’, 14.07.2024, MfN, Berlin);
(b) ein Blog-Beitrag (Kiprijanov, ‘(Für) den Planeten Essen: Wie die richtige Kommunikation unsere Ernährung verbessern kann’, doi: 10.57964/310g-vp86);
(c) eine Podcast-Folge (Parima Parsi-Pour & Kiprijanov, ‘Planetary Health: Zukunft geht durch den Magen’, https://beats-and-bones.podigee.io);
(d) Zahlreiche Vorträge auf wissenschaftlichen Konferenzen und Symposia; sowie
(e) eine Fachpublikation (Kiprijanov & Christian Reichel, ‘Wissenstransfer für nachhaltige Landnutzung und Ernährung: Gemeinsam tätig werden im Sinne der Planetaren Gesundheit’, Transfer & Innovation, 3.4 (2024), pp. 57–70 <https://www.transfer-und-innovation.de/de).
Das Pilotprojekt legte einen wesentlichen Grundstein für die systematische Untersuchung von konstruktiver Wissenschaftskommunikation zu und Engagement mit PH in Deutschland. Die Projektergebnisse betonen die Dringlichkeit, Engagement-Maßnahmen so zu konzipieren und zu gestalten, dass sie über traditionelle, lineare Kommunikation hinausgehen und auf mehreren Ebenen wirken: Sinnliche Erfahrungen, etwa durch gemeinsames Kochen oder Exkursionen, schaffen einen direkten Zugang zur Thematik, fördern eine tiefere Auseinandersetzung und stärken so die Handlungsbereitschaft von Individuen. Zudem ist es essenziell, die Komplexität des Konzepts Planetare Gesundheit durch lebensweltliche Bezüge greifbar zu machen, sodass Teilnehmer:innen auf Augenhöhe eingebunden werden sowie eine kritische Reflexion bei allen Beteiligten erreicht werden kann.
Zudem bieten die Ergebnisse dieser Pilotstudie eine Grundlage für die Entwicklung innovativer, anwendungsorientierter Forschungsprojekte in diesem Themen- und Handlungsbereich. So besteht insbesondere beim systematischen Aufbau von Kommunikations- und Engagement-Kompetenzen von Wissenschaftler:innen und politischen Entscheidungsträger:innen ein wesentlicher Entwicklungsbedarf. Schließlich verdeutlicht das Projekt die dringende Notwendigkeit, verlässliche Evaluationsmetriken evidenzbasiert zu erarbeiten, um die Reichweite und Wirkung der untersuchten Maßnahmen zu messen und und strategisch zu optimieren.