Projekt 37983/01

Berufsschule meets Uni: Konzeption eines politikdidaktischen BBNE-Kompetenzmodells zur Lehrkräftebildung und modellhaften Umsetzung in der Berufsschule am Beispiel des Gastgewerbes

Projektdurchführung

Freie Universität Berlin
Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft
Arbeitsbereich Politische Bildung/Politikdidaktik
Ihnestr. 22
14195 Berlin

Zielsetzung

Nachhaltigkeitsfragen sind immer auch politische Fragen und setzen die mündige Urteils- und Handlungskompetenz aller Beteiligten voraus. An dieser Schnittstelle setzen politische Bildung und Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) an, die im Projekt „Berufsschule meets Uni“ zusammentreffen. Lehramtsstudierende, Schüler:innen und Lehrkräfte stellen sich dabei im Kontext der politischen beruflichen BNE (polBBNE) den Herausforderungen von nachhaltiger Entwicklung, entwickeln in unterschiedlichen Settings Lösungsstrategien und können die Rolle von Change-Agents zur weiteren BNE-Diffusion einnehmen.
Das Projekt begegnet damit einem Forschungsdesiderat und ermöglicht die Entwicklung eines praktischen Modellvorhabens. Als Ausgangspunkt lässt sich feststellen, dass der domänenspezifische Beitrag der politischen Bildung zur BNE bisher noch nicht explizit präzisiert oder in Kompetenzmodelle übertragen wurde, womit eine systematische politikdidaktische Aufarbeitung zur Bearbeitung dieses Defizits notwendig wird. Gleichzeitig weist BNE auch in der beruflichen Bildung keine flächendeckende Implementierung und strukturelle Verankerung auf. Ein Großteil der Schüler:innen in diesem Bildungsbereich wird aus dem „Nachdenken über die Zukunft unserer Welt“ (Hemkes u.a. 2022) ausgeschlossen. Ein drittes Defizit ist in der Integration von BNE in die Lehrkräftebildung zu verzeichnen, innerhalb derer bedeutsames quantitatives und qualitatives Ausweitungspotenzial besteht, um die punktuellen und fächerspezifischen Ansätze zu bestärken und BNE als ein durchgehendes integratives Paradigma zu etablieren.
Im Projekt „Berufsschule meets Uni“ soll diesen Defiziten mit der Konzeption, Operationalisierung und Dissemination eines politikdidaktischen Kompetenzmodells für Bildung für nachhaltige Entwicklung sowie der Präzisierung der politischen Dimension im Ansatz nachhaltiger Entwicklung begegnet werden. Dabei werden die universitäre Lehrkräftebildung, die berufliche schulische Bildung und Betriebe als Akteur:innen zusammengebracht. Die Operationalisierung und der Praxistransfer im Themenkontext „Ernährung“ stellt einen direkten Bezug zum privaten, schulischen, universitären und (späteren) beruflichen Alltag der Projekteilnehmenden her. Die Vernetzung der Akteur:innen und der Fokus auf Urteils- und Handlungskompetenzen leisten einen Beitrag, um die bisher häufig defizitäre Verknüpfung von Wissen, Einstellungen und Handeln im Kontext nachhaltiger Entwicklung zu fokussieren.

Arbeitsschritte

Die Arbeitsschritte im Projekt „Berufsschule meets Uni“ verteilen sich auf fünf zentrale Phasen, die inhaltlich chronologisch aufgebaut sind. Die Phasen können daher nicht separat betrachtet werden, sondern konstituieren durch ihr Zusammenwirken und die Integration von verschiedenen Kooperationspartner:innen das Projekt als Ganzes. Für das Projekt sind zwei Durchgänge geplant, sodass Erfahrungen und Evaluationsergebnisse auf konzeptioneller und praxisorientierter Ebene berücksichtigt und integriert werden können.

1. Konzeption
Den Intentionen politische Bildung und BNE zusammenzudenken, BNE in der beruflichen Bildung zu stärken und BNE in der Lehrkräftebildung zu implementieren sowie zu etablieren, wird durch die Konzeption des politikdidaktischen beruflichen BNE-Kompetenzmodells Rechnung getragen. Dieses Modell soll in den Konzeptionsphase auf Basis von bestehenden BNE-Kompetenzmodellen, Kompetenz-Modellierungen aus der politischen Bildung und den genuinen Anforderungen an eine politische BNE entwickelt werden. Durch die Einbindung von Expert:innen erfolgt eine weitergehende Spezifizierung. Das entworfene Konzept weist im ersten Durchgang des Projekts einen modellhaften Charakter auf und unterliegt der kontinuierlichen Überarbeitung und Anpassung auf Basis der Erfahrungen und Evaluationsergebnisse. Auf Basis des Kompetenzmodells wird im Anschluss das Seminar für Lehramtsstudierende konzipiert, indem die Voraussetzungen für die erfolgreiche Umsetzung von politischer beruflicher BNE gelegt werden.
Neben dem Modell erfolgt auch die Konzeption von Messinstrumenten, die auf die Erfassung von (politischer) Selbstwirksamkeitserfahrung abzielen und die Umsetzung der Projektes zu mehreren Zeitpunkten wissenschaftlich begleiten.

2. Operationalisierung
Die Operationalisierung ist auf zwei Ebenen zu differenzieren. Zum einen stellt die Seminardurchführung mit den Lehramtsstudierenden mit dem Ziel, die im Modell konzipierten Kompetenzen zu entwickeln, einen Teilschritt dieser Phase dar. Zum anderen erfolgt durch die Lehramtsstudierenden die Planung von Workshops für Schüler:innen an beruflichen Schulen in Kooperation mit Lehrkräften aus der beruflichen Bildung und außerschulischen Bildungsakteur:innen im Feld von BNE (z.B. EPIZ). Die Planung der Workshops stellt den direkten Praxistransfer der erworbenen Kompetenzen in die berufliche Praxis dar.

3. Politisch Handeln
Auch die Phase des politischen Handelns integriert zwei Akteur:innenebenen. Die Lehramtsstudierenden führen auf der einen Ebene die Workshops mit Schüler:innen durch. Bei der Umsetzung der Workshops werden dabei Selbstwirksamkeitserfahrungen für politische berufliche BNE generiert, die für den Erwerb von professioneller Handlungskompetenz tragend sind. Die Lernenden an Berufsschulen können auf der anderen Ebene ihrerseits durch die Partizipation in den Workshops politisch handeln. Die Workshops, die an den Lernorten Berufsschule, Betrieb und Universität stattfinden, stellen die Problematisierung und dem Umgang mit inhaltlichen Kontroversen im Kontext nachhaltiger Entwicklung am Beispiel Ernährung in den Mittelpunkt. Davon ausgehend werden durch Kooperationen mit Betrieben Einblicke in den (späteren) beruflichen Alltag offeriert, die Entwicklung von Handlungsansätzen und deren Präsentation ermöglicht und schließlich in Kooperation mit der Landeszentrale für politische Bildung Berlin die Partizipation im öffentlichen Diskurs über das Thema angeregt.

4. Evaluation
Da mit dem Kompetenzmodell für politische berufliche BNE ein Forschungsdesiderat gefüllt werden soll, besteht im Prozess die Notwendigkeit zur Evaluation und Überarbeitung der Modellierung. Die Evaluation erfolgt dabei durch die Befragung von Studierenden, Schüler:innen und Lehrkräften mit der Schwerpunktsetzung auf (politische) Selbstwirksamkeitswahrnehmung vor und nach der Teilnahme am Projekt. Aufgrund des explorativen Charakters liegt der Fokus im ersten Durchgang eher auf der qualitativen Erfassung durch Interviews. Im zweiten Durchlauf werden zusätzlich Fragebögen eingesetzt, die eine differenziertere Auswertung erlauben. Aus Basis der Evaluationsergebnissen werden die Phasen des Projekts „Berufsschule meets Uni“ für den zweiten Durchgang und eine langfristige Implementierung und Verankerung angepasst.

5. Dissemination
Die Diffusion der Projektergebnisse wird durch die Konzeption und Durchführung von zwei Lehrkräftefortbildungen in differierenden Formaten realisiert. Durch die Dissemination werden die Ergebnisse nachhaltig verankert und eine Implementierung des Kompetenzmodells für die Lehrkräfteausbildung und Bildungspraxis gefördert. Die Fortbildungen werden unter Einbindung des DBU-Projekts „Klima aktiv“ konzipiert. Die Durchführung wird durch die Landeszentrale für politische Bildung Berlin und die Bildungsbehörde (SenBJF) unterstützt.

Ergebnisse

Die Projektziele konnten qualitativ (inhaltliche Ergebnisse) und quantitativ (Teilnehmendenzahlen) vollumfassend erreicht werden. Auf theoretischer Ebene wurde ein Kompetenzmodell entwickelt, das für den Bereich der politischen beruflichen BNE einen Ausgangs- und Anknüpfungspunkt für weiterführende Projekte sowie eine vertiefende Forschung bietet. Als weitere Ergebnisse können die wiederholte Durchführung des Seminars für Lehramtsstudierende und die Workshops für Berufsschüler:innen in unterschiedlichen Bildungsgängen benannt werden. Die Evaluation mit Seminar- und Workshopteilnehmenden durch Interviews und Fragebögen zeigt insgesamt ein gestiegenes Interesse und Wissen im Kontext von Nachhaltigkeit und nachhaltige Ernährung, eine höhere Handlungsbereitschaft im schulischen/universitären und im beruflichen Kontext sowie eine Zunahme an Selbstwirksamkeit bezüglich der Durchführung von gelungenen Formaten einer politischen beruflichen BNE auf Seite der Studierenden und der Umsetzung von Nachhaltigkeit in der Schule bei Schüler:innen. Die Datenauswertung ist noch nicht abgeschlossen und weitere empirische Daten werden zeitnah veröffentlicht. Die Übertragung der Kenntnisse und Möglichkeiten in den Betrieb wurde jedoch häufig kritisch bewertet, da bestehende Strukturen und zu geringe Entscheidungskompetenzen als Hindernisse gesehen werden. Die Formate der Dissemination (Lehrkräftefortbildung, Fachtag) konnten realisiert werden.

Öffentlichkeitsarbeit

Die Projektschritte und Ergebnisse wurden regelmäßig in unterschiedlichen Formaten präsentiert. Dazu zählen eine Projektwebsite, über die alle relevanten Informationen abgerufen werden können und die auch über das Projekt hinaus erhalten bleibt. Zusätzlich wurde das Projekt und erste Ergebnisse auf Tagungen mit Bezug zum Thema BNE oder zum Thema politische Bildung diskutiert und präsentiert. Eine Veröffentlichung in Fachpublikationen (Beitrag im Sonderheft der Wochenschau zum Thema BNE, Beitrag im GPJE-Tagungsband 2024, Publikation zur praktischen Umsetzung des Projekts im Wochenschau-Verlag) ist wiederholt erfolgt. Eine Handreichung mit Unterrichtsmaterialien, die eine Fortführung des Projektes unabhängig vom Projektträger ermöglicht, ist verfügbar und wird durch eine weitere Publikation ergänzt.

Website des Projekts

Fazit

Das Projekt „Berufsschule meets Uni“ liefert wertvolle Ergebnisse für die konzeptionelle und für die unterrichtspraktische Weiterentwicklung einer politischen BNE, hier speziell gezeigt am Beispiel der Berufsschule. Es wird deutlich, dass eine Politisierung von Alltagsfragen im Kontext von BNE (hier: Welche strukturellen Änderungen z.B. in den beruflichen Schulen oder (Ausbildungs)Betrieben, aber auch auf gesellschaftlicher Ebene kann und muss es geben, um Gemeinschaftsverpflegung nachhaltiger werden zu lassen? Die individuelle Handlungsebene wurde im Verlauf der Workshopreihe verlassen, politische Urteilsbildung angestrebt und politische Handlungskompetenz gefördert. Das Bindeglied zwischen diesen prozeduralen politischen Kompetenzen und der BNE sehen wir dabei ganz besonders im Bereich der Selbstwirksamkeit. Diese stellt unserer Ansicht nach einen zentralen Schlüssel für eine erfolgreiche politische (berufliche) BNE dar. Das Projekt „Berufsschule meets Uni“ zeigt, wie effizient relativ niedrigschwellige kollaborative Lernformate zur Förderung von „nachhaltigkeitsbezogener Mündigkeit“ – im Sinne einer selbstbestimmten, politischen Gestaltungskompetenz – beitragen können.

Übersicht

Fördersumme

123.025,00 €

Förderzeitraum

01.08.2022 - 01.08.2024

Bundesland

Berlin

Schlagwörter

Environmental communication