Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung
Senckenberganlage 25
60325 Frankfurt
Der Kleinspecht ist eine charismatische Vogelart und begeistert – zumindest unter Fachleuten – jede*n! Er lebt unauffällig und gilt aufgrund seiner geringen Körpergröße, leiser Lautäußerungen sowie seiner spärlichen Verbreitung als schwierig zu erfassende Vogelart. Gerade deshalb freut sich jede*r Vogelbegeisterte, wenn man einen Kleinspecht hört oder gar sieht.
Der Kleinspecht bevorzugt Lebensräume, die reich an weichfaulem Tothholz sind, worin sich einerseits Insekten als Nahrung für den carnivoren Kleinspecht finden und die andererseits den auf morsches und weiches Holz angewiesenen Kleinspechten die Anlage ihrer Brut- und Schlafhöhlen ermöglichen. Damit dient die Art auch als Indikatorart. Der Kleinspecht nimmt in diesen Ökosystemen eine wichtige Schlüsselfunktion für zahlreiche Sekundärhöhlenbrüter ein. Außerdem stellt der Kleinspecht eine Schirmart für viele weitere Arten verschiedenster Gruppen (Tiere, Pflanzen, Pilze) dar, weshalb sich Maßnahmen zum Schutz des Kleinspechtes auch positiv auf die Biodiversität des gesamten Ökosystems auswirken.
Durch die schwierige Erfassung liegen für Deutschland wenig belastbare Zahlen zur Bestandssituation des Kleinspechts vor. Die ADEBAR-Daten weisen jedoch auf einen abnehmenden Bestandstrend hin. Die Datengrundlage muss dringend verbessert werden, um den Weiterbestand der Art schützen bzw. entsprechend unterstützen zu können. Denn seine ursprünglichen Lebensräume (Auwaldgebiete, Bruchwälder, totholzreiche Laub- und Mischwälder) sind in weiten Teilen Deutschlands selten geworden.
Ziele des vorliegenden Projekts sind eine bessere Datengrundlage für Bestandstrends zu schaffen und die Brutbiologie, die wahrscheinlich kritischste Zeit im Leben des Kleinspechtes, zu analysieren. Dies wurde im Rahmen eines Citizen Science-Projekts verwirklicht. Dadurch konnte eine große Fläche abgedeckt werden und die Citizen Scientist wurden für das Thema Kleinspecht und dessen Lebensraum sensibilisiert.
Die Zielsetzungen des Projekts waren:
A Belastbare Aussagen zum Bestand des Kleinspechts erhalten
B Erkenntnisse zur Korrelation des Bruterfolgs mit Habitat und Umland
C Zusammenarbeit mit den Forstbetrieben zur Verbesserung der Bedingungen
D Politische Lobbyarbeit
E Eine attraktive und gleichzeitig anspruchsvolle Partizipationsmöglichkeit für Bürger*innen schaffen
F Sensibilisierung der Öffentlichkeit für naturnahe Wälder, Habitat-Bäume, Streuobstwiesen und deren verborgene Bewohner
G Übertragungspotenzial
Alle Teilnehmenden wurden vor Beginn der Saison geschult. Von 281 Angemeldeten haben sich insgesamt 229 aktiv beteiligt. Die Schulungen fanden aufgrund der Covid-19-Pandemie im Onlineformat statt. Die Schulungen wurden aufgezeichnet und stehen so jederzeit zur Verfügung. Zusätzlich fand zwischen den beiden jährlichen Schulungen noch eine Online-Fragerunde statt, dabei wurden die technischen Möglichkeiten der Erfassung vertieft.
Den Citizen Scientists (CS) wurden zur Kartierung ein Bluetooth-Lautsprecher (JBL go2), das Buch „Spechte & Co.“ von ZAHNER & WIMMER, 2019, sowie Kartierbögen des DDA zur Verfügung gestellt. Ein Projekt-T-Shirt – dessen Motiv einen Kleinspecht in Originalgröße darstellt – diente der Wertschätzung und als Unterstützung gegenüber neugierigen Spaziergänger*innen bei der Feldarbeit.
Die von den CS angelegten Kartierrouten befanden sich in näherem Umfeld des Wohnortes, um lange Fahrtwege zu vermeiden und eine langfristige Gebietstreue zu unterstützen. Die Routen wurden von den Kartier*innen an drei Terminen während der Balz- und Brutsaison kartiert. Zur Kartierung wurde eine standardisierte Klangattrappe (gemäß DDA-Specht-Modul) abgespielt, um die Spechte anzulocken. Für die georeferenzierte Dateneingabe im Gelände wurde die App NaturaList benutzt, welche sich automatisch mit dem online-Portal ornitho.de synchronisiert. Zusätzlich wurden Habitatdaten entlang der Routen aufgenommen.
Ab dem 21. April wurden Bruthöhlen gesucht. Wurde von den CS eine Bruthöhle gefunden, fuhr die Projektleitung mit speziellen Höhlenkameras, die an bis zu 16 m ausfahrbaren Teleskopstangen angebracht waren, zu den entsprechenden Orten, um die Eiablage und den Bruterfolg zu dokumentieren.
Eine Social media-Austauschplattform wurde über „Signal“ verwirklicht. Diese Chat-Gruppe ermöglichte die bundesländerübergreifende Kommunikation zwischen den CS. Die Ehrenamtlichen konnten über die Chat-Gruppe auch von ihren Erfahrungen, z.B. mittels Bildern und Tonaufnahmen berichten und so die anderen Teilnehmer*innen motivieren.
Im Rahmen des Projekts wurden zwei Bachelorarbeiten und eine Projektarbeit mit der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf (HSWT) und der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) zur Analyse der Brutbiologie des Kleinspechts erstellt.
Als Abschluss des dritten Projektjahres organisierte das Koordinationsteam eine ganztägige Präsenzveranstaltung (“Spechtfest”) in Frankfurt zur Ergebnispräsentation und Vernetzung der Teilnehmenden untereinander.
Das Citizen-Science-Projekt „Kleiner Specht – große Rolle“ untersuchte die Bestandssituation und Brutbiologie des Kleinspechts in Bayern und Hessen. Ziel des Projekts war es, belastbare Daten zu erheben und die Öffentlichkeit für den Schutz totholzreicher Lebensräume zu sensibilisieren.
Das Ziel, nach der dreijährigen Projektlaufzeit belastbare Aussagen zur Bestandssituation des Kleinspechts in den beiden Bundesländern Bayern und Hessen treffen zu können, konnte nicht vollumfänglich erreicht werden. Der bisherige Datensatz erlaubt nur eine erste Trendeinordnung und keine statistisch gesicherten Aussagen.
Es ist gelungen, einige Kernbereiche mit Kleinspecht-Vorkommen in Bayern und Hessen mit einer hohen Dichte von Kartierrouten zu erfassen.
Mithilfe der CS konnten 30 Bruthöhlen von Kleinspechten gefunden werden: 14 in Bayern und 16 in Hessen. 7 wurden in alten Streuobstwiesen gefunden, 11 im Laubwald, 9 im Auwald, 2 in Feldgehölzen und je eine in Ufergehölz und Mischwald. Die Bruthöhlen wurden zu 80% in Bäumen angelegt, in deren sichtbarem Umfeld sich fünf oder mehr abgestorbene Bäume befanden Die Ergebnisse zeigen, dass der Bruterfolg des Kleinspechts eng mit dem Vorhandensein von Totholz korreliert ist. Höhere stehende Totholzmengen führten zu einer größeren Anzahl ausgeflogener Nestlinge.
Die Durchführung von Schulungen und Sensibilisierungsmaßnahmen, die intensive Kommunikation über community-bildende Kanäle sowie die enge Zusammenarbeit mit Naturschutzverbänden, Hochschulen und Forstbetrieben waren entscheidende Erfolgsfaktoren. Das Projekt sensibilisierte über 200 Teilnehmer*innen für naturnahe Wälder und Habitat-Bäume und führte zu deren langfristigem Engagement im Naturschutz. Die gewonnenen Erkenntnisse und die positive Resonanz der Teilnehmer*innen bestätigen die Wirksamkeit von Citizen-Science-Projekten im Naturschutz.
Das Projekt wird langfristig fortgeführt und kann als Modell für ähnliche Initiativen in anderen Regionen dienen.
Die Ergebnisse des Projekts werden detailliert auf der Kleinspecht-Webseite (www.kleinspecht.de) und der LBV-Homepage veröffentlicht. In der SGN-Mitgliederzeitschrift Natur-Forschung-Museum wurde das Projekt prominent beschrieben und die Teilnehmer*innen konnten sich mit ihren Projektfotos aktiv beteiligen. Im LBV magazin wurde das Projekt beworben und zum Mitmachen aufgerufen.
Das Projekt wurde durch Zeitungsartikel (ZEIT Online, Süddeutsche Zeitung), Zeitschriftenartikel (Der Falke 2, 2023), Newsletter, Radiobeitrag (HR 1), TV-Beitrag (Bayerisches Fernsehen) sowie Vorträge der Projektleitung beworben. Die Projektleitenden trafen sich im April 2022 in Wien mit weiteren Specht-Expert*innen der Deutschen Ornithologen-Gesellschaft.
Am 11.11.2023 wurde das Projekt im Rahmen des Formats „Science live“ im Senckenberg-Museum vorgestellt. Von März bis August 2024 wird das Projekt in der Sonderausstellung „Wälder“ im Senckenberg Naturkundemuseum in Frankfurt präsentiert. Die Ergebnisse werden auf der 9. Internationalen Spechttagung vom 11.-15.8.2024 in Iguazu, Argentinien präsentiert.
Das Projekt „Kleiner Specht – große Rolle“ wird von der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung im Rahmen von „Gemeinsam Forschen“ fortgeführt.
Insgesamt hat das Citizen Science-Projekt „Kleiner Specht – große Rolle“ wichtige Erkenntnisse zur Brutbiologie des Kleinspechts und zur Bedeutung von Totholz geliefert. Es hat gezeigt, wie durch die Einbindung der Öffentlichkeit wertvolle Daten gesammelt und gleichzeitig das Bewusstsein für Naturschutzthemen geschärft werden kann. Die langfristige Fortführung des Projekts und die Übertragung der Methoden auf andere Regionen und Vogelarten bieten vielversprechende Perspektiven für den zukünftigen Naturschutz.
Für die Zukunft ist es wichtig, diese Ansätze weiterzuverfolgen und auszubauen. Die Ergebnisse des Projekts könnten als Grundlage für weiterführende wissenschaftliche Studien dienen, denn die erhobenen Daten bieten ein wertvolles Potenzial für langfristige Monitoring-Programme.
Ein großer Dank gilt den ehrenamtlichen Kartierer*innen, sprich den Citizen Scientists. Ohne sie wäre dieses Projekt nicht durchführbar gewesen. Im Laufe der Projektjahre wurde auf der Suche nach Kleinspechten 14.908-mal die Klangattrappe abgespielt. In Summe gelangen 828 Kleinspechtbeobachtungen. Für Online-Schulungen, Kartierungen und Bruthöhlensuche investierten die Ehrenamtlichen geschätzte 6.300 Stunden ihrer Freizeit. Die Strecke, welche die Ehrenamtlichen für Kartierungen und Bruthöhlensuchen zu Fuß zurücklegten, entspricht etwa einem Fußmarsch von Frankfurt/Main bis nach Afghanistan.
Für diese großartige Leistung möchten wir uns herzlich bei allen bedanken!