Die Coronakrise als Gamechanger für die Transformation zur Nachhaltigkeit?
Projektdurchführung
Otto-von-Guericke-Universität
Humanwissenschaften; Institut für Psychologie I (IPSY)
Universitätsplatz 2
39106 Magdeburg
Zielsetzung und Anlass des Vorhabens
Anlass des Projektes war die beginnende Corona-Krise. Es sollten die durch die Krise ausgelösten, nachhaltigkeitsrelevanten gesellschaftlichen Veränderungsprozesse untersucht werden. Der Fokus lag auf dem Individuum in seiner soziophysischen Umwelt, als wichtige/r Akteur*in in den Veränderungsprozessen der Großen Transformation (in den Rollen Konsument*in, Bürger*in und Nischenakteur*in). Ziel war die Identifikation von Gelegenheitsfenstern und Herausforderungen für die Große Transformation, um Einschätzungen darüber treffen zu können, ob und durch welche Maßnahmen Nachhaltigkeitseffekte durch die Corona-Krise ggf. verstärkt werden können, bzw. wo entgegengewirkt werden sollte.
Darstellung der Arbeitsschritte und der angewandten MethodenIm Juni/ Juli 2020 wurden eine deutschlandweite repräsentative Befragung (Abkürzung: COR20; N = 3092) und eine Sachsen-Anhalt-weite Befragung (Abkürzung: LSA20; N = 300) durchgeführt. Ausgehend von eigenen Datensätzen (Erhebung im Land Sachsen-Anhalt zu Nachhaltigkeitsengagement und Wohlbefinden, Schulte et al., 2016) bzw. von öffentlich zugänglichen Datensätzen (z. B. UBA-Studien Umweltbewusstsein in Deutschland 2016, 2018) wurden im Juni/Juli 2020 parallele Erhebungen durchgeführt, um Hauptveränderungslinien im nachhaltigkeitsrelevanten Alltagsverhalten und in Politikakzeptanz zu identifizieren.
Es wurden Items aus Vorerhebungen verwendet, in Teilen zusätzlich retrospektiv und prospektiv. Der Fokus lag auf den Bereichen Mobilität, Ernährung, Politikunterstützung und Maßnahmenakzeptanz, nachhaltigem Engagement, wahrgenommener Umweltqualität und Lebenszufriedenheit. Zusätzlich wurden moderierende bzw. mediierende Konstrukte erhoben (z. B. persönliche Klimaschutznorm, Wertorientierungen). Für Juli 2021 ist eine zweite Befragung der COR20-Stichprobe geplant, um Kausalschlüsse zu ermöglichen.
Ergebnisse und Diskussion
Die Ergebnisse der COR20-Befragung zu Veränderungen während der Corona-Krise zeigen wie erwartet eine Verringerung individueller Mobilität für nahezu alle Verkehrsmittel für April bis Ende Juni 2020 im Vergleich zum Vorjahr. Besonders geteilte Mobilität (Flugreisen, ÖPNV) nahm ab, individuelle Mobilität (Fahrrad, Auto) sank verhältnismäßig weniger. Mobilitätswünsche und -pläne zeigen keine starken Kompensationstendenzen, die Befragten wollen zukünftig umweltfreundlicher unterwegs sein. Für den Umstieg auf das Fahrrad und die Veränderung der künftigen Urlaubsplanung (Flugreisen) wurden per Regressionsanalysen externe Faktoren identifiziert, die Verhaltensänderungen langfristig stabilisieren könnten. Die persönliche Klimaschutznorm erwies sich hierbei als relevanter Moderator (Matthies et al., 2020; Schmidt et al., under review). Darüber hinaus legen die Ergebnisse beider Befragungen (COR20 und LSA20) ebenfalls potenziell Veränderungen beim Einkauf und der Verwendung von Lebensmitteln während der Corona-Krise nahe. So zeigen sich beispielsweise ein verringerter Fleischkonsum sowie eine geringere häusliche Lebensmittelverschwendung für April bis Ende Juni 2020 im Vergleich zum Vorjahr. Zudem erweist sich die persönliche Klimaschutznorm auch im Ernährungsbereich als relevanter Moderator für nachhaltigkeitsförderliche Veränderungen in den Corona-Monaten und darüber hinaus.
Die Bedeutung vieler Politikthemen hat sich gegenüber 2016 und 2018 geändert, bspw. hat der Zustand des Gesundheitssystems an Bedeutung gewonnen. Die Einschätzung der Dringlichkeit des Klimaschutzes hat sich durch die Corona-Krise nicht abgeschwächt, die Akzeptanz einschränkender umweltbezogener Maßnahmen nahm sogar leicht zu (Matthies et al., 2020).
In der LSA20-Befragung zeigten sich Parallelen in der Wahrnehmung von und im Umgang mit der Coronaund der Klimakrise (Wallis et al., eingereicht.). In beiden Krisen spielte für die Unterstützung der jeweiligen krisenmitigierenden Maßnahmen (Corona-Maßnahmen, CO2-Bepreisung) die soziale Identifikation mit anderen, die sich für die Eindämmung der jeweiligen Krise einsetzen, sowie eine gemeinsame Wertorientierung (Selbsttranszendenz) eine relevante Rolle. Es konnte auch bestätigt werden, dass die lokale Umweltqualität in den ersten drei Corona-Monaten positiver wahrgenommen wurde als in den Vorjahren (sowohl retrospektiv als auch im Vergleich mit Vorjahresdaten). Die wahrgenommene positive lokale Umweltqualität schien im Lebenszufriedenheitskontext zudem ein kompensatorischer Faktor für Bedrohungserleben in der Corona-Krise zu sein.
Öffentlichkeitsarbeit und Präsentation
Erste Ergebnisse der COR20-Befragung wurden in dem Zwischenbericht Stärken die Corona-Maßnahmen den dringend notwendigen Wandel zu einer nachhaltigen Mobilität und einer stärker regulierenden Klimaschutzpolitik? (Matthies et al., 2020) veröffentlicht. Die Projektergebnisse wurden in wissenschaftlichen und öffentlichen Kontexten vorgestellt und diskutiert (siehe Abschnitt 6). Es wurden im Januar und März 2021 zwei Paper für internationale Fachzeitschriften eingereicht (Wallis et al., eingereicht) und befinden sich teils im Begutachtungsprozess (Schmidt et al., under review), zwei weitere Paper werden aktuell fertiggestellt (Schmidt et al., i. Vorb., Wallis et al., i. Vorb.).
Fazit
Durch den Vergleich mit Vorherdaten konnten in einer frühen Pandemiephase Hauptveränderungslinien für nachhaltigkeitsrelevantes Verhalten identifiziert werden. Die Ergebnisse zeigen eine generell gesunkene Mobilität und Veränderung der Mobilitätsmuster sowie nachhaltigkeitsförderliche Veränderungen beim Einkauf und der Verwendung von Lebensmitteln. Der Klimawandel hat für die Befragten nicht an Relevanz und Ernsthaftigkeit verloren, und die Akzeptanz einschränkender Maßnahmen zum Klima- und Umweltschutz nahm teilweise sogar zu. Es konnte bestätigt werden, dass die lokale Umweltqualität in den ersten drei Corona-Monaten positiver wahrgenommen wurde als in den Vorjahren; die positiv wahrgenommene lokale Umweltqualität schien zudem ein kompensatorischer Faktor für Bedrohungserleben in der Corona-Krise zu sein.
Die vielfältigen Befunde bestätigen die Vermutung, dass die Corona-Maßnahmen in den frühen drei Monaten (April bis Juni 2020) sich nicht negativ auf nachhaltigkeitsförderliche Verhaltensweisen und Umwelterleben ausgewirkt haben. Teils scheinen sich Gelegenheitsfester geöffnet zu haben (Radmobilität, klimabewusste Ernährung), insbesondere für Individuen mit ausgeprägter persönlicher Klimaschutznorm. Die Vermutungen über Kausalzusammenhänge sollten durch längsschnittliche Erhebungen validiert werden.
Fördersumme
39.707,00 €
Förderzeitraum
22.04.2020 - 31.12.2021
Bundesland
Sachsen-Anhalt
Schlagwörter
Environmental communication