Projekt 35290/01

Durchführung eines Forschungsprojektes zu neuen Ansatzpunkten einer verhaltensökonomisch fundierten Bildung für nachhaltige Entwicklung

Projektdurchführung

Institut für Ökonomische Bildung gGmbH
Bismarckstr. 31
26122 Oldenburg

Zielsetzung

Ein relevanter Teil der globalen Umweltprobleme ist anthropogen bedingt. Menschliches Verhalten insbesondere in ökonomisch geprägten Situationen (Konsum/Produktion) ist weitgehend ursächlich für das aktuelle Ausmaß der Umweltverschmutzung. Daraus lässt sich folgern, dass eine Veränderung des Verhaltens hin zu mehr ökologischer Nachhaltigkeit zu entsprechenden Verbesserungen der Umweltqualität führen wird.

Wie aber kann ein entsprechend geändertes Verhalten hin zu einem (ökologisch) nachhaltigen Verhalten initiiert werden? Dies ist eine Frage, mit der sich die Umweltbildung seit ihrem Bestehen auseinandersetzt.

Ein in der BNE zentraler Ansatzpunkt hierbei ist die Veränderung von Einstellungen und Bewusstsein. Die in entsprechenden Bildungskonzepten angestrebten positiven Einstellungen zu Umwelt- und Klimaschutz sowie ein ausgeprägtes Umweltbewusstsein sind zwar notwendig, aber nicht hinreichend für das intendierte ökologische Verhalten, da Einstellungen nicht linear in Verhalten überführt werden. Um diesem sogenannten Attitude Behavior Gap zu überwinden bzw. ihm entgegenzuwirken, wurde im vorliegenden Projekt auf verhaltensökonomische Ansätze zurückgegriffen. So wurde u. a. das sogenannte Nudging fokussiert, bei dem es darum geht, das Verhalten der Akteur*innen durch ein leichtes „Anstupsen“ zu verändern, um damit die Ergebnisse von Entscheidungsprozessen gewissermaßen in die ‚richtige‘, nachhaltige Richtung zu lenken. Nudges sind kleine Hinweise, die in der Situation z. B. am Point of Sale platziert werden („modify the environment“). Der zweite Ansatzpunkt der Verhaltensökonomik zur Überwindung des Attitude Behavior Gaps, auf den im Projekt zurückgegriffen wurde, setzt hingegen an der Person selbst an („modify the decision maker“). Konkret wurden hierbei Biases und diesen potenziell entgegenwirkenden Debiasing-Strategien in den Blick genommen. Biases stellen systematische Verzerrungen in Entscheidungsprozessen dar, die zu nicht-rationalen Entscheidungen führen können. Unter Debiasing werden verschiedene, erlernbare Strategien subsummiert, die Biases entgegenwirken bzw. diese beseitigen und somit zu rationaleren und (entsprechende Umwelteinstellungen vorausgesetzt) nachhaltigeren Entscheidungen führen können.

Das übergeordnete Ziel des Projekts ist es, Schüler*innen dazu zu befähigen, informierte, mündige, ihren eigenen Einstellungen entsprechende, nachhaltigere (Konsum-) Entscheidungen treffen zu können, wodurch wiederum ein Beitrag zur Reduzierung des Attitude Behavior Gaps im Kontext des nachhaltigen Konsums geleistet werden soll. Dieses Ziel soll durch die unterrichtliche Auseinandersetzung mit den verhaltensökonomischen Ansätzen Biases und Nudging erreicht werden. Hieraus wurden folgende Modalziele für das Projekt abgeleitet:

• Identifizierung relevanter Biases im Kontext nachhaltigen Konsums und mit
Schüler*innen umsetzbare Debiasing-Strategien, die auf diese wirken.
• Identifizierung relevanter Nudges im Kontext nachhaltigen Konsums.
• Empirisch fundierte Entwicklung von Unterrichtsmaterialien zu Biases/
Debiasing und Nudging im Kontext nachhaltigen Konsums und deren
kostenlose Bereitstellung.

Arbeitsschritte

Das Projekt umfasste zwei Teilprojekte:

1. Biases und Debiasing im Kontext nachhaltigen Konsums

Zunächst wurden basierend auf einer umfassenden Literaturrecherche sowie einer Definition zum nachhaltigen Konsum fünf Biases für die Unterrichtsmaterialien ausgewählt, bei denen eine relevante Auswirkung auf Entscheidungen im nachhaltigen Konsum angenommen werden kann und die für Lernende relevant sowie nachvollziehbar sind: Present-Bias, Single-Action Bias, Self-Efficacy Bias, Status-Quo-Bias und Bandwagon-Effect.

Daran anschließend wurden zwei Debiasing-Strategien ausgewählt, von denen eine Wirkung gegen die oben genannten Biases angenommen werden kann, die in alltäglichen Konsumsituationen anwendbar sind und die von Schüler*innen erlernt werden können. Bei beiden Strategien geht es darum, dass man eine ad hoc getroffene Entscheidung durchdenkt und somit zu einer reflektierteren Entscheidung gelangt. Hierzu sollen sich die Schüler*innen bei der Strategie „Accountability“ vorstellen, dass sie ihre Entscheidung vor einer Gruppe rechtfertigen müssen. Bei der Strategie „Consider the opposite“ geht es darum, sich zu überlegen, was wäre, wenn man sich gegenteilig entscheiden würde.

Ausgehend von der Identifizierung der Biases und Debiasing-Strategien wurden fünf Unterrichtssequenzen für die Sekundarstufe II entwickelt, die sich jeweils auf einen Bias und die darauf bezogene Debiasing-Strategie beziehen. Zentrale Elemente der Sequenzen sind jeweils ein Entscheidungsexperiment, durch das der Bias in einer bestimmten Entscheidungssituation herausgearbeitet werden soll sowie Materialien zur handlungsorientierten Einübung der jeweiligen Debiasing-Strategie.

Um zu ermitteln, wie die Experimente ausgestaltet sein müssen, welche Debiasing-Strategie auf welchen Bias wirkt und inwieweit die Schüler*innen in der Lage sind, Debiasing-Strategien auf Entscheidungssituationen im nachhaltigen Konsum anzuwenden, wurde eine experimentelle Interventionsstudie durchgeführt, an der knapp 400 Schüler*innen aus dem 11. Jahrgang vier verschiedener Gymnasien teilnahmen. Insbesondere hinsichtlich der Passung von Bias und Debiasing-Strategien fehlte es bis dato an entsprechender empirischer Forschung.

2. Nudging im Kontext nachhaltigen Konsums

Ausgehend von einer umfassenden Literaturrecherche wurden drei Typen von Nudges ausgewählt, die für nachhaltige Konsumsituationen relevant sind sowie sich im schulischen Kontext einsetzen lassen: Informations-Nudges, Default-Nudges und Social-Norm-Nudges.

Diese wurden in den beiden auf Nudging bezogenen Unterrichtssequenzen, die im Projekt erstellt wurden, berücksichtigt. Eine Sequenz richtet sich an gymnasiale und nicht-gymnasiale Schulformen der Sekundarstufe I und die andere an Lerngruppen der Sekundarstufe II. Kern der beiden Materialienpakete ist eine sogenannte Nudge-Werkstatt, in deren Rahmen die Schüler*innen selbst Nudges entwickeln sollen. Des Weiteren umfassen die Materialienpakete eine Einführung in die Thematik Nudging im Kontext des nachhaltigen Konsums sowie Materialien zur Auseinandersetzung mit der Kritik am Nudging. Unterschiede der Materialienpakete bestehen hinsichtlich der inhaltlichen Tiefe der Auseinandersetzung. Zudem liegt der Fokus in der Sekundarstufe II auf der Auseinandersetzung mit Nudging als umweltpolitisches Instrument (Makro-Ebene), in der Sekundarstufe I wird hingegen Nudging in der Schule bzw. im Nahbereich thematisiert (Mikro-Ebene). Die jeweiligen Schwerpunktsetzungen entsprechen den jeweiligen Schwerpunkten der Schulstufen.

Die entwickelten Unterrichtssequenzen wurden in insgesamt neun Schulklassen und Kursen am Gymnasium und an nicht-gymnasialen Schulen in Niedersachsen von Lehrkräften in wirtschaftsaffinen Fächern (bspw. Wirtschaft, Politik-Wirtschaft) eingesetzt. Die Lehrkräfte bekamen die Möglichkeit einer kurzen fachlichen und fachdidaktischen Einführung in die Materialien und die Thematik.

Evaluiert wurden die Materialien mit Hilfe eines Schüler*innen- und eines Lehrkräftefragebogens, die wiederum offene und geschlossene Fragen zu den Materialien und deren Nutzung im Unterricht enthalten. Des Weiteren wurden die Lehrkräfte darum gebeten, die von den Schüler*innen entwickelten Nudges zur Verfügung zu stellen. Durch die Evaluation sollte u. a. ermittelt werden, inwieweit und inwiefern die Darstellungen in den Materialien für die Schüler*innen verständlich sind, oder inwieweit und inwiefern die Lehrkräfte die Materialien als für ihre Schüler*innen geeignet ansehen.

Ergebnisse

Ziel des Projekts war es, einen Ansatz einer verhaltensökonomisch fundierten Bildung für nachhaltige Entwicklung zu formulieren und Materialien für dessen unterrichtliche Umsetzung auf Basis empirischer Erkenntnisse zu entwickeln. Somit sollten die auf den nachhaltigen Konsum bezogenen Erklärungs- und Lösungspotenziale der Verhaltensökonomik für die schulische Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) fruchtbar gemacht werden. Dieses Ziel konnte erreicht werden. So wurden ausgehend von einer Interventionsstudie Unterrichtsmaterialien zur Auseinandersetzung mit Biases und Debiasing entwickelt. Darüber hinaus konnte basierend auf empirischen Ergebnissen eine Zuordnung der ausgewählten Biases sowie Debiasing-Strategien vorgenommen werden. Die auf Nudging bezogenen Unterrichtsmodule wurden an mehreren Schulen eingesetzt und mit Hilfe von Schüler*innen- und Lehrkräftefragebögen evaluiert sowie darauf aufbauend optimiert. Somit liegen nun erste Unterrichtsmaterialien einer verhaltensökonomisch fundierten BNE vor. Diese stellen eine komplementäre Erweiterung der bisherigen Ansätze einer schulischen (ökonomisch fundierten) BNE dar.

Konkrete, bisher vorliegende Ergebnisse des Projekts sind…
- fünf Unterrichtssequenzen inklusive Lehrkräftehandreichungen zu Biases und
Debiasing im Kontext nachhaltigen Konsums:
o Der Present-Bias am Beispiel eines Experiments zum Kauf einer
Waschmaschine: Sequenz zu Biases und Debiasing im Kontext nachhaltigen
Konsums
o Der Bandwagon-Effect am Beispiel eines Experiments zu Städtetrips:
Sequenz zu Biases und Debiasing im Kontext nachhaltigen Konsums
o Der Self-Efficacy-Bias am Beispiel eines Experiments zum Kauf von
Schokolade: Sequenz zu Biases und Debiasing im Kontext nachhaltigen
Konsums
o Der Single-Action-Bias am Beispiel eines Experiments zum Kauf eines
Smartphones: Sequenz zu Biases und Debiasing im Kontext nachhaltigen
Konsums
o Der Status-Quo-Bias am Beispiel eines Experiments zum Abschluss eines
Stromtarifs: Sequenz zu Biases und Debiasing im Kontext nachhaltigen
Konsums
- zwei Unterrichtssequenzen zu Nudging im Kontext nachhaltigen Konsums:
o Nudging im Kontext nachhaltigen Konsums – Unterrichtsmaterialien für die
Sekundarstufe I
o Nudging im Kontext nachhaltigen Konsums – Unterrichtsmaterialien für die
Sekundarstufe II

Des Weiteren werden und wurden (wissenschaftliche) Publikationen zu dem Projekt erstellt. In grundlegenden Beiträgen wird der Ansatz einer verhaltensökonomischen Bildung für nachhaltige Entwicklung sowie das Projekt beschrieben (bisher erschienen: Ansatzpunkte für eine verhaltensökonomisch fundierte Bildung für nachhaltige Entwicklung | SpringerLink). Weitere Publikationen zum Projekt sind in Planung. Hierzu zählen Veröffentlichungen zu den Ergebnissen der Interventionsstudie. Auch ist ein Beitrag in einer Zeitschrift geplant, die sich sowohl an Wissenschaftler*innen als auch an Lehrkräfte im Bereich der ökonomischen Bildung richtet.

Institut für Ökonomische Bildung

Öffentlichkeitsarbeit

Zielgruppen der Öffentlichkeitsarbeit waren und sind auch über die Projektlaufzeit hinausgehend wissenschaftliche Communities in Bereichen der ökonomischen Bildung und der Bildung für nachhaltige Entwicklung sowie (Wirtschafts-)Lehrkräfte und Institutionen im Bereich schulischer Bildung und Lehrkräftebildung.

Die auf Wissenschaftler*innen bezogene Öffentlichkeitsarbeit umfasste neben wissenschaftlichen Publikationen (siehe Ergebnisse und Diskussion) die Vorstellung des Projekts auf wissenschaftlichen Tagungen der Deutschen Gesellschaft für Ökonomische Bildung (DeGÖB), der Association for European Economic Education (AEEE) sowie der Kommission für Bildung für nachhaltige Entwicklung der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaften (DGfE).

Auch wurde das Projekt auf Veranstaltungen vorgestellt, die sich primär an (wirtschafts-)Lehrkräfte an allgemeinbildenden Schulen richten.

Die im Rahmen des Projekts entwickelten Unterrichtsmaterialien und die dazugehörigen Lehrkräftehandreichungen werden kostenlos online über die Internetseite des Instituts für Ökonomische Bildung (https://ioeb.de/de/projekte.html?status=370) veröffentlicht. Seit Veröffentlichung der Materialien im Januar 2023 wird in verschiedenen Netzwerken für Wirtschaftslehrkräfte auf die Unterrichtsmaterialien aufmerksam gemacht. Insbesondere werden die Veröffentlichungen über die bundesweit tätigen Vereine wigy e.V. und VÖBAS e.V. bekanntgemacht. Des Weiteren wurde und wird, um die Zielgruppe Lehrkräfte bzw. eine interessierte Öffentlichkeit zu erreichen, das Projekt auf verschiedenen Veranstaltungen präsentiert.

Auch ist geplant, die Unterrichtsmaterialien in Lehrveranstaltungen in den Studiengängen für angehende Wirtschaftslehrkräfte an der Carl von Ossietzky Universität einzubinden.

Fazit

Verhaltensökonomische Ansätze weisen mit Blick auf die Umwelt- und Klimaproblematik Erklärungs- und Lösungspotenziale auf. So spielen Biases im Kontext des nachhaltigen Konsums eine Rolle und können die Wahl nachhaltiger Entscheidungsoptionen behindern. Sie können somit als eine Ursache des Attitude Behavior Gaps angesehen werden. Debiasing und Nudging stellen hingegen verhaltensökonomische Ansätze dar, die einen Beitrag dazu leisten können, Bürger*innen im Allgemeinen und Schüler*innen im Besonderen dazu zu befähigen, selbstbestimmte und reflektierte und – so ist zu hoffen – nachhaltigere (Konsum-)Entscheidungen zu treffen. Debiasing und Nudging können somit einen Beitrag zur Entschärfung des Attitude Behavior Gaps und damit der Umwelt- und Klimaproblematik leisten.

Die im Rahmen des Projekts entwickelten Unterrichtsmaterialien sind die ersten Beiträge für eine verhaltensökonomisch fundierte Bildung für nachhaltige Entwicklung. Die Interventionsstudie lieferte erste Einblicke in die Wirkung einer unterrichtlichen Auseinandersetzung mit Biases und Debiasing. Aufgrund der Kontextabhängigkeit von Biases und der auf bestimmte Biases bezogenen Wirkungsweise von Debiasing-Strategien sind die Ergebnisse der Studie nur bedingt auf andere Felder der BNE transferierbar. Auch mit Blick auf die unterrichtliche Auseinandersetzung mit Nudging im Kontext von BNE konnten im Rahmen des Projekts nur erste Eindrücke generiert werden. Hier besteht insbesondere Bedarf an Interventionsstudien, in deren Rahmen die Lernwirksamkeit der im Projektkontext entwickelten Materialien untersucht wird. Weitere Forschung im Bereich der verhaltensökonomisch fundierten BNE ist somit ebenso eine relevante Zukunftsaufgabe der fachdidaktischen Forschung wie eine über die im vorliegenden Projekt hinausgehende theoretisch-konzeptionelle Arbeit zu verhaltensökonomischen Ansätzen in der BNE. Entscheidend für eine lernwirksame unterrichtliche Realisierung einer verhaltensökonomisch fundierten BNE sind zudem die fachwissenschaftlichen und fachdidaktischen Qualifikationen der Lehrkräfte. Hier besteht – das zeigte sich im Projekt – Handlungsbedarf. So erwies sich die unterrichtliche Umsetzung der Module zum Nudging für einige Lehrkräfte als fachwissenschaftlich und fachdidaktisch herausfordernd. Neben der Erstausbildung besteht somit ein Bedarf an Lehrkräftefort- und -weiterbildungen in diesem Feld.

Übersicht

Fördersumme

124.449,00 €

Förderzeitraum

20.11.2019 - 31.10.2022

Bundesland

Niedersachsen

Schlagwörter

Lower Saxony
Environmental communication