Weltweit geht jährlich etwa ein Drittel der produzierten Lebensmittel auf dem Weg vom Feld bis auf den Teller verloren. Nach aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen sind ca. zwei Drittel der in Deutschland jährlich anfallenden Lebensmittelabfälle vermeidbar. Generell gelten Privathaushalte als Hauptverursacher mit ca. zwei Dritteln der Lebensmittelabfälle. Dies bedeutet eine erhebliche Verschwendung von Arbeits- und Ressourcenaufwand sowie eine hohe unnötige Belastung der Umwelt durch die gesamte Produktions-, Verarbeitungs- und Transportkette. Lebensmittelverluste von Fleisch und Milchprodukten stellen dabei mit Abstand den größten Anteil an der gesamten Ressourcenverschwendung dar, sowohl bezogen auf den Flächenverbrauch als auch auf die CO2-Äquivalente.
Im Bereich der Politik wird bereits seit einigen Jahren eine kritische Auseinandersetzung über Aussage und Grenzen des Mindesthaltbarkeitsdatums (MHD) gefordert. Das MHD weist lediglich aus, wie lange ein Produkt bei fachgerechter Lagerung die vom Hersteller zugesicherten Eigenschaften behält. Die anhaltenden Diskussionen verdeutlichen einerseits, dass in der Bevölkerung weiterhin große Unsicherheit hinsichtlich der Unbedenklichkeit v. a. verarbeiteter Lebensmittel wie Milchprodukte herrscht und dass Verbraucher sich im Zweifelsfall nicht darauf verlassen, ein Produkt mit den eigenen Sinnen (v. a. Optik und Geruch) zweifelsfrei als verzehrfähig bewerten zu können. Andererseits wird deutlich, dass wichtige Warengruppen wie frisches Obst und Gemüse, aber auch und vor allem frische Fleischwaren und frischer Fisch, nicht mit einem MHD ausgewiesen (im Falle von verpacktem Frischfleisch und Fisch gilt das Verbrauchsdatum) und damit bei diesen Diskussionen nicht adressiert werden, obwohl sie einen nicht unerheblichen Teil der weggeworfenen Lebensmittelmenge ausmachen.
Das durchgeführte Forschungsvorhaben trägt zum Schließen dieser Lücke bei, da Reife- und Verderbprozesse in allen drei Warengruppen (Milchprodukte, Obst und Gemüse, Frischfleisch) adressiert wurden. Das Ziel des Projektes war die Entwicklung einer adaptierbaren Geräteplattform zur (Geruchs-)Bewertung von Lebensmitteln; das mittelbare Ziel ist die Minimierung von Lebensmittelverlusten durch den Einsatz solcher Geräte, die eine Einschätzung der Verzehrbarkeit der Lebensmittel ermöglichen könnten.
Die technische Lösung basiert im Wesentlichen auf dynamisch betriebenen Gassensoren, kombiniert mit einer intelligenten Auswertung. Gassensoren ermöglichen eine empfindliche Messung eines großen Spektrums an Gasen, bei anwendungsangepasster Auswahl und Betriebsweise der Sensoren sowie der Signalauswertung und einer geeigneten Kalibrierung ist auch eine hohe Selektivität, d.h. eine hohe Toleranz gegenüber Quereinflüssen, erreichbar, was für die betrachteten Anwendungsfälle, d.h. für die Erkennung des Lebensmittelzustands vor einem komplexen Hintergrund, sehr relevant ist. Die Anpassung und Erweiterung der in anderen Anwendungsfeldern teils schon erfolgreich eingesetzten Methoden auf die Überwachung von Lebensmitteln waren also ein wesentlicher Bestandteil des Vorhabens, die dafür nötigen Untersuchungen wurden im Projekt entsprechend durchgeführt:
Zunächst wurden Literaturrecherchen durchgeführt, um mögliche Einsatzszenarien (Use Cases) sowie Systemspezifikationen für die Geräteplattform zu definieren. Darauf aufbauend wurde einerseits eine Datenbank umgesetzt, in die Daten und Ergebnisse sowie alle dazugehörigen relevanten Meta- und Referenzdaten, die bei den folgenden Projektarbeiten gesammelt wurden, eingepflegt werden konnten. Andererseits wurde ein Messsystem aufgebaut sowie alternative, dynamische Sensorbetriebsweisen getestet. Das Messsystem wurde im Labor unter anderem mit einem Gaschromatograph mit Massenspektrometer (GC-MS) als Referenzmesssystem zu einem komplexen Aufbau verschaltet. Damit konnten in Labormessreihen zu jedem Use Case einerseits Substanzen, die von Lebensmitteln bei verschiedenen Zuständen emittiert bzw. produziert werden, identifiziert werden, andererseits konnten verschiedene Gassensoren auf ihre Eignung zur Messung des Lebensmittelzustands (z.B. Reife, Verderb oder Beschädigung) untersucht werden. Diese Untersuchungen wurden mit zusätzlichen Gassensoren, die als GC-Detektoren eingesetzt wurden und erstmals auch dynamisch betrieben wurden, unterstützt; mit diesen GC-Gassensoren kann die Sensorreaktion auf einzelne Substanzen eines Gasgemischs eingeschätzt werden. Die in diesen Messreihen gewonnenen Daten wurden anschließend unter anderem zur Untersuchung geeigneter Methoden zur Datenvorverarbeitung, Merkmalsextraktion sowie relevanter Bewertungsalgorithmen genutzt. Weitere Projektarbeiten haben sich mit Konzepten zur Kalibrierung der Geräte befasst, sowohl im Rahmen einer Initialkalibrierung (im Werk/Labor), als auch mit einem mobilen Kalibriermittel im Feld. Ziel beider Kalibrierarten soll sein, die Geräte auf eine Anwendung hin zu trainieren bzw. trainierte Modelle (Bewertungsalgorithmen) zu überprüfen, was für die Funktion und die Akzeptanz der Sensorsysteme substanziell ist. Abschließend wurde für einen ausgewählten Use Case ein Demonstrator konzipiert, umgesetzt und dieser in anwendungsnahen Feldtests auf seine Funktion getestet. Bei diesen zuletzt genannten Arbeitsschritten flossen alle Ergebnisse und Erkenntnisse der vorangegangenen Arbeitspakete ein, nämlich Identifikation eines vielversprechenden Anwendungsbeispiels, Systemkonzeption, Sensorauswahl und -betriebsweise, Initial- und mobile Kalibrierung sowie die Modellbildung inkl. einer Validierung.
Die Ergebnisse wurden im Laufe des Projekts regelmäßig einem projektbegleitenden Ausschuss aus Experten aus den Bereichen Lebensmittelchemie, Qualitätskontrolle, Handel und Industrie vorgestellt und mit diesem diskutiert. Das weitere Vorgehen erfolgte auf Basis dieser Beratungen, um somit laufend einen Abgleich zwischen technischen Lösungen und Use Cases sicherzustellen.
Die Projektziele wurden in den meisten Fällen erreicht. So wurden potenzielle Use Cases ausgearbeitet und nach ausgiebigen Labormessungen mit verschiedenen neu umgesetzten oder angepassten Messgeräten, die eine sehr breit gehaltene Gassensorik aufwiesen und im Messaufbau durch Analytik ergänzt wurden, der vielversprechendste Anwendungsfall für eine praxisnahe Erprobung (Erkennung von verletzten oder schimmelnden Orangen im Handel) ausgewählt. Darauf basierend konnte ein Demonstrator aufgebaut und dessen Funktion in anwendungsnahen Testmessungen mit Orangen evaluiert werden, mit dem Ziel, geschimmelte oder verletzte Früchte aussortieren zu können, um die Ansteckung weiterer Früchte frühzeitig zu unterbinden. Gleichzeitig wurden Konzepte zur Kalibrierung ausgearbeitet und sowohl im Sinne einer Initialkalibrierung als auch im Sinne einer mobilen Rekalibrierung im Feld am Demonstrator überprüft.
Es zeigten sich in vielen Fällen interessante und vielversprechende Anknüpfungspunkte, beispielsweise im Falle der für die anwendungsnahen Testmessungen ausgewählten Orangen, aber auch bei der in den Labormessungen untersuchten Milch, bei der eine (begrenzte) Bewertung mittels Sensorsystemen möglich war, was eine mögliche Alternative zum Mindesthaltbarkeitsdatum sein könnte; letzteres wird von Verbrauchern vielfach falsch verstanden, was durch eine voreilige Entsorgung zu vermeidbaren Lebensmittelverlusten führt. In einigen Fällen konnten außerdem Verknüpfungen zwischen der humansensorischen Bewertung, der GC-MS-Analytik und den Gassensordaten identifiziert werden. Bei weiteren Lebensmitteln, die im Rahmen der Labormessreihen untersucht wurden, zeigten sich jedoch teils auch uneindeutige Ergebnisse, und teils auch Einschränkungen bzgl. der Analytik (inkl. der GC-Gassensoren) oder der Methodik zur Zustandsbewertung, die bei zukünftigen Untersuchungen berücksichtigt werden sollten.
Die Projektergebnisse wurden auf verschiedenen nationalen und internationalen Konferenzen vorgestellt und diskutiert. Eine Veröffentlichung in einem Fachjournal wird derzeit vorbereitet.
3S konnte mit den laufenden Projektergebnissen auf potenzielle Kunden zugehen und die Thematik bei Herstellern von Lebensmitteln bzw. bei Herstellern von Maschinen für den Lebensmittelbereich (z.B. Verpackungsanlagen) erfolgreich ansprechen und platzieren. Auch in verwandten Themen wie z.B. der Prüfung der Dichtheit von Lebensmittelverpackungen konnten mit den Ergebnissen des Vorhabens gute Anknüpfungspunkte gefunden werden. Der Demonstrator wurde mehreren potenziellen Kunden als Technologie-Demo vorgestellt und konnte die Funktionalität der Gassensor-Technologie gut veranschaulichen.
Abschließend kann festgehalten werden, dass die ausgearbeiteten und erprobten Konzepte zur Ermittlung interessanter Use Cases, der dafür auszuwählenden Gassensoren und der anzuwendenden Kalibriermethoden vielversprechend für eine weitere Entwicklung hin zu ausgewählten Anwendungen sind. Beide Projektpartner werden einige der oben angesprochenen offenen Punkte sowie weitere Aspekte in einem EU-weiten Folgeprojekt ab 2023 weiter untersuchen und die Arbeiten an dieser Thematik somit weiter vertiefen und erweitern.