Marktchancen für “nachhaltige Chemie” durch die REACh-Verordnung
Projektdurchführung
Hochschule Darmstadt
Sonderforschungsgruppe
Institutionenanalyse - sofia
Haardtring 100
64295 Darmstadt
Zielsetzung und Anlass des Vorhabens
Das Vorhaben widmet sich der Frage, wie sich ein Chemikalienmanagement in der Textilbranche gestalten lässt, das Prozesse in Richtung einer nachhaltigeren Chemie in der globalen Lieferkette initiiert; also insbesondere dazu beiträgt, dass problematische Stoffe in der Produktion möglichst nicht zum Einsatz kommen und im Produkt nicht enthalten sind. Rund 7000 chemische Produkte unterstützen die Herstellung von Bekleidung, vom Färben bis zur Imprägnierung. Manche Chemikalien sind unproblematisch einsetzbar, andere können Schäden an Mensch und Umwelt verursachen. Es gibt globale, europä-ische und nationale Bestrebungen, Gefährdungen von Mensch und Umwelt durch Chemikalien zu reduzieren. Stichworte sind hier das 2020-Ziel aus Johannesburg und dessen Integration in die Sustainable Development Goals der UN (SDG 12/12.4), der Strategic Approach to International Chemical Management (SAICM), das SAICM/UNEP Chemicals in Products-Programm (CiP), die POP-Konvention und REACH. Nicht zuletzt durch den Druck der Detox-Kampagne von Greenpeace hat die Bekleidungsbranche reagiert und die ZDHC-Initiative ins Leben gerufen. Diese umfasst eine Selbstverpflichtung, bis 2020 weltweit eine Reihe von Chemikalien aus den Produktionsprozessen zu entfernen. Wenn die beteiligten Unternehmen dieses selbst gesetzte Handlungsziel erreichen wollen, müssen sie die Hemmnisse überwinden, die dem momentan noch entgegenstehen; was zugleich voraussetzt, dass es hinreichend deutliche Anreize in Form von Marktchancen gibt, sich auf die Veränderungsprozesse einzulassen.
Relevante Akteure im Rahmen des Projektes sind dabei im Wesentlichen Hersteller von Textilchemikalien (in Deutschland organisiert im Verband TEGEWA) sowie Unternehmen, die Textil-Erzeugnisse, also etwa Bekleidung und Sportartikel, herstellen (lassen) und vermarkten (für Sportartikel in Deutschland organisiert im BSI). Da es jedoch um Veränderungsprozesse in der globalen textilen Lieferkette geht, sind auch alle weiteren Akteure, die an den Produktionsprozessen beteiligt sind, zu berücksichtigen.
Darstellung der Arbeitsschritte und der angewandten MethodenIm Hinblick auf das Ziel, Marktchancen für eine nachhaltigere Chemie zu erschließen, sind zwei Leitfragen nachzugehen: (1.) Welcher Veränderungsbedarf besteht für welche Akteure der textilen Lieferkette und (2) welche organisatorischen bzw. institutionellen Veränderungen sind dazu akteurübergreifend in der Lieferkette in Angriff zu nehmen. Methodisch setzt das Vorhaben auf den transdisziplinären Forschungsansatz der Forschungsgruppe sofia (Delta-Analyse), verknüpft mit einem Szenario-Prozess in Kombination mit einem Strategie Workshop. Dieses Vorgehen ermöglicht es, eine systemische Perspektive auf die Probleme zu gewinnen und gemeinsame Fragen zu formulieren, um auf dieser Basis mit den Praxiskateuren strategische und operative Maßnahmen zu entwickeln.
Ergebnisse und Diskussion
Ziel des Projektes war es, eine nachhaltigere Chemie in der textilen Lieferkette zu unterstützen und dabei den Blick von der reaktiven Compliance Position auf eine proaktive Beyond Compliance Perspektive zu erweitern. Strategisch stützt sich dieser Ansatz auf folgende Überlegung: Wer morgen noch Compliant sein will, muss heute bereits Beyond Compliance agieren. Zentrale Hypothese war dabei, dass aus der letztgenannten Perspektive Marktchancen für alle Akteure der textilen Lieferkette entstehen können und somit Innovationen für eine nachhaltigere Chemie.
Im Rahmen der normativen und gesellschaftlichen Anforderungen (s. o.) formulierten die am Projekt beteiligten BSI- und TEGEWA-Akteure das Ziel, ein Chemikalienmanagement zu entwickeln, das Prozesse zu einer nachhaltigeren Produktion in der globalen Lieferkette unterstützt und problematische Substanzen in den Herstellungsprozessen so weit wie möglich von Anfang an vermeidet.
In Workshops und Interviews gaben die am Projekt beteiligten Akteure einen Input zu ihren jeweiligen Perspektiven auf den Status Quo. Auf dieser Grundlage war es jedoch nicht möglich, eine gemeinsame Strategie zu entwickeln und diese in Angriff zu nehmen. Stattdessen blockierten u. a. professionelle Denk- und Wahrnehmungsmuster diesen Prozess. Infolgedessen blieben Marktchancen im Zusammenhang mit nachhaltiger Produktion unerschlossen. Ein Szenario-Prozess eröffnete einen größeren Systemblick auf die textile Kette. Gemeinsam entwickelten die Akteure dabei Szenarien für die Textilindustrie im Jahr 2030 und formulierten in sich konsistente Szenario-Geschichten: Das Szenario muddling through erzählt, wie bestimmte Einflüsse dazu führen, dass sich die Textilbranche ähnlich weiter entwickelt, wie bisher (also nur mit graduellen Verbesserungen im Hinblick auf den Umgang mit Chemikalien). Dagegen erzählt das Szenario boldly ahead die Geschichte, durch welche Faktoren sich das Chemikalienmanagement der textilen Lieferkette grundlegend ändert und eine Wertschöpfungskette entsteht, die (weitgehend) frei von problematischen Stoffen ist. In dem Prozess der Szenario-Entwicklung und der daran anknüpfenden Entwicklung von strategischen Maßnahmen, die die Textilbranche in einen Verlauf Richtung boldly ahead unterstützen, gewannen die Akteure eine neue Sicht auf das "System" der globalen Textilwirtschaft und entwickelten ein gemeinsames Verständnis über die er-forderlichen Veränderungen, die für eine nachhaltigere Chemie in der textilen Lieferkette notwendig sind: Dies ist der Aufbau einer einheitlichen Branchenlösung, die Traceability und Wissen über die in der Lieferkette eingesetzten chemischen Stoffe unterstützt und über einen Branchenstandard die globale Compliance ermöglicht. Einig war man sich auch, dass es hierfür eines digitalen Austauschformates bedarf, um das Wissen über die in der Lieferkette eingesetzten Stoffe über alle Lieferantenstufen zu kommunizieren und dass das bisherige Vorgehen im Rahmen des Textilbündnisses und der ZDHC nicht ausreichen, um ein auf boldly ahead ausgerichtetes Chemikalienmanagement zu ermöglichen. Deutlich wurde auch, dass es weiterer normativer Impulse bedarf, die die Informationsrechte und -pflichten verstärken.
Zugleich eröffnen digitale Lösungen im Rahmen von Industrie 4.0-Prozessen neue Möglichkeiten der Kommunikation und Kooperation in den Lieferketten, die sich für eine Transformation in Richtung einer nachhaltigeren Chemie im Sinne von SDG 12.4 nutzen lassen.
Öffentlichkeitsarbeit und Präsentation
Informationen zum Vorhaben sind auf der sofia Webseite verfügbar, einschließlich des Links zu einem animierten Video, das die wesentlichen Informationen in etwa 3 Minuten zusammenfasst. Zudem sind das methodische Vorgehen und die Ergebnisse Thema von Fachtagungen, u. a.: 2nd Summer School on Sustainable Chemistry, veranstaltet von der giz, dem Bündnis für nachhaltige Textilien und der Universität Lüneburg (Sept. 2016), SustEcon Conference The contribution of a sustainable economy to achieving the SDGs (Sept. 2017), Nordic Chemical Summit, Kopenhagen (Okt. 2017), Technische Jahrestagung TEGEWA (Okt. 2017), IHK´s Rhein Main: Gute Chemie gibt es die? Mit Nachhaltigkeit Vertrauen gewinnen (Nov. 2017), iPoint-Fachtagung "Conflict Minerals & Sustainable Supply Chain" (Nov. 2017) sowie einem Arbeitstreffen mit der Generaldirektion Umwelt der Europäischen Kommission Anfang Dez. 2017
Fazit
Das Projekt hat die wesentlichen Faktoren, die zu einem nachhaltigeren Chemikalienmanagement in der globalen textilen Lieferkette führen, in einem gemeinsamen Prozess erarbeitet. Die anschauliche Szenario-Geschichte eignet sich sehr gut, das veränderte Verständnis auch außerhalb des Projektes zu vermitteln. Im nächsten Schritt geht es darum, die als wichtig angesehenen Faktoren in die Tat umzusetzen und hierfür Frontrunner zu gewinnen, die die muddling through Kultur überwinden möchten.
Wichtig ist dabei außerdem, einen Diskussionsprozess auf der EU-Ebene und im Rahmen von SAICM zu initiieren, um über die normative Ebene Unterstützung aufzubauen. Es ist zu klären, inwieweit UBA und Textilbündnis hierbei auf der europäischen Ebene eine Rolle spielen können, Unterstützung könnte es hier aus Schweden, wo die Regierung entsprechende Programme entwickelt (KEMI, 2016), geben. Es ist außerdem zu klären, inwieweit das Chemical in Product Project (CIP) im Rahmen von SAICM die veränderte Systemperspektive in ihre Aktivitäten einbeziehen kann und inwieweit eine Anpassung der ZDHC Aktivitäten an die erarbeiteten strategischen Maßnahmen möglich ist.
Fördersumme
120.591,00 €
Förderzeitraum
09.04.2015 - 08.09.2017
Bundesland
Hessen
Schlagwörter
Environmental communication
Umwelttechnik