Projekt 05218/01

Umweltschadstoffe in Textilien: Risikoabschätzung der gesundheitlichen Schädigung der Haut und der Umweltbelastung mittels Biomonitoring mit einem neuen Keratinozytenatmungstest

Projektdurchführung

Humboldt-Universität zu BerlinUniversitätsklinikum CharitéMedizinische FakultätInstitut für Pathologie Rudolf-Virchow-Haus
Schumannstr. 20/21
10117 Berlin

Zielsetzung und Anlass des Vorhabens

Berichte in den Medien über eine mögliche Gefährdung der Gesundheit und der Umwelt durch Schadstoffe in Textilien haben die Öffentlichkeit beunruhigt, jedoch sind Kenntnisstand und Prüfmethoden zum tatsächlichen Ausmaß dieser Gefährdung noch unzureichend. Die bisher in der Textilprüfung angewandten Methoden und die hierfür empfohlenen Regelwerke (z.B. Öko-Tex Standard 100) beziehen lediglich chemische Analysen bereits bekannter Schadstoffe ein. Unbekannte Schadstoffe oder schädigende Kombinationswirkungen mehrerer Verbindungen lassen sich so nicht nachweisen und erfordern den Einsatz geeigneter Biotests.
Als relevantes biologisches Testobjekt wurden menschliche kultivierte Hautzellen der permanenten Zelllinie HaCaT erprobt. Gemessen wurde die Funktionstüchtigkeit der Zellatmung mittels mikrooxygraphischer Methodik. Die Gegenwart von Schadstoffen in Textilextrakten oder eine potentielle allgemein hautzelltoxische Wirkung definierter chemischer Verbindungen zeigte sich in bestimmten Veränderungen der Atmungsparameter. Die Relevanz des Biotests sollte nachgewiesen werden, damit dieser in der Perspektive durch mittelständige Unternehmen in den Dienstleistungskatalog der Textilprüfung übernommen werden kann.


Darstellung der Arbeitsschritte und der angewandten MethodenDie Untersuchungen im Keratinozytenatmungstest liefen in zwei parallel bearbeiteten Zielrichtungen: Zum einen wurde eine repräsentative Auswahl von definierten Verbindungen, die in der Textilveredlung eingesetzt wurden oder noch werden, auf eine mögliche zelltoxische Wirkung untersucht. Zum anderen wurden Extrakte von Textilerzeugnissen auf die entsprechende Schadwirkung geprüft. Für die Herstellung der Textilextrakte wurde die Schweißechtheitsprüfung nach DIN 54 020 herangezogen, um damit eine weitgehende methodische Vergleichbarkeit mit den herkömmlichen chemisch-analytischen Textilprüfmethoden zu erzielen. Die Prüfsubstanzen bzw. -extrakte wurden in variierenden Mengen den Testansätzen zugesetzt. Aus den dosisabhängigen Veränderungen der Atmungsparameter konnte eine etwaige zelltoxische Wirkung quantifiziert und hinsichtlich ihrer mechanistischen Natur charakterisiert werden. Die Ergebnisse des Biotests wurden mit chemischen Analysen mittels Gaschromatographie/Mas -senspektroskopie (Zusammenarbeit mit LfU GmbH Berlin und ecb ONLINE Analysentechnik GmbH
Schwerin) korreliert, um dadurch festzustellen, ob eine nachgewiesene Zelltoxizität auf einen der bekannten Schadstoffe zurückgeführt werden kann. Ausgewählte als zelltoxisch identifizierte Textilextrakte werden an gesunden freiwilligen Probanden auf eine hautreizende Wirkung untersucht (Zusammenarbeit mit Hautklinik des Universitätsklinikums Charité Berlin).
Weitere Untersuchungen dienten dem Vergleich mit anderen Biotests, vor allem mit dem für andere Zielstellungen als Zelltoxizitätstest häufig verwendeten MTT-Test (Zusammenarbeit mit ZEBET des BgVV) sowie dem Leuchtbakterientest und dem Daphnientest, zwei gängigen Tests auf umwelttoxische Wirkungen (Zusammenarbeit mit LfU/ERTOX GmbH Schönwalde). Schließlich wurde der Keratinozytenatmungstest kontinuierlich optimiert und standardisiert, um seinen späteren Einsatz in der Praxis zu ermöglichen. Dies betraf u.a. die biostatistische Auswertung wie z.B. die Ermittlung der Halbhemmungskonzentrationen (IC50-Werte) mittels nicht-linearer Regression (Zusammenarbeit mit Arbeitsgruppe Biostatistik des Instituts für Biochemie des Universitätsklinikums Charité).


Ergebnisse und Diskussion

· Mehr als 45 Verbindungen, die als Schadstoffe in Textilien bekannt waren oder in Frage kamen, wurden dem Keratinozytenatmungstest unterworfen und die Wirksamkeitsparameter bestimmt (ED50-bzw. IC50-Werte). Starke zelltoxische Wirkungen zeigten chlorierte Phenole, andere Chloraromaten, Formaldehyd, Tributylzinnoxid und eine Reihe von Tensiden. Während Pentachlorphenol in niedrigen Konzentrationen erwartungsgemäß eine Stimulierung der Zellatmung sowie eine Aufhebung der Hemmbarkeit durch Oligomycin bewirkte, zeigten die anderen Gruppen von Schadstoffen eine dosisabhängige Hemmung der Zellatmung, die auf einen Angriffspunkt in der Atmungskette zurückgeführt werden konnte. Somit konnte die Eignung des Keratinozytenatmungstests als zellulärer Toxizitätstest am Beispiel bekannter Schadstoffe nachgewiesen werden.
· Als neuer Schadstoff in Textilien wurde der Färbebeschleuniger Orthophenylphenol (OPP) mittels des Keratinozytenatmungstests identifiziert. Diese Verbindung galt in der Textilindustrie bislang als toxikologisch unbedenklich, obwohl hautreizende Wirkungen dieser Verbindung bei Mensch und Laborversuchstier nachweislich bekannt waren. Im Daphnientest (Wasserflöhe) und im Leuchtbakterientest zeigte dieser Textilhilfsstoff sogar noch um eine Größenordnung höhere Giftigkeiten. Daher muss auch mit einer Belastung des kommunalen Abwassers beim Waschen OPP-haltiger Kleidungsstücke durch den Verbraucher gerechnet werden. Während die Verwendung von OPP in der deutschen Textilveredlungsindustrie stark zurückgegangen sein soll, tritt OPP vorzugsweise in aus außereuropäischen Ländern importierten Erzeugnissen aus Polyesterfasern und Mischgeweben auf, darunter auch in Badebekleidung, die naturgemäß auf der Haut besonders eng anliegt, wodurch der Verbraucher gesundheitlich gefährdet werden kann. Die ecb ONLINE GmbH Schwerin hat aufgrund unserer Hinweise eine chemische Analysenmethode für OPP etabliert und konnte diese Verbindung in 181 Proben von Importerzeugnissen nachweisen (bis zu der hoch toxischen Konzentration von ca. 800 mg/kg). Aufgrund der Wichtigkeit der Befunde sind diese bei der führenden Fachzeitschrift Melliand Textilberichte publiziert worden [Schewe et al., Melliand Textilber.78,631-632 (1997)] Sie soll u.a. die verantwortungsbewussten Textilimporteure erreichen, damit diese ihre Produkte testen lassen, bevor sie auf den Markt kommen.
· Bei den länger bekannten und in der Praxis genutzten Tensiden korrellierte der Keratinozytenatmungstest mit den bekannten Toxizitätsdaten, die weitgehend der Reihenfolge kationische T. > anionische T. > nicht-ionische Tenside entspricht. Als hautzellfreundlichstes Tensid wurde Plantaren (Alkylpolyglucoside) ermittelt. Dagegen ergaben sich bei 7 in der Entwicklung befindlichen neuen Tensiden teilweise starke Abweichungen von der Erwartung; so zeigte ein nicht-ionisches Tensid die höchste Toxizität. Daraus ergibt sich die Schlussfolgerung, dass sich die Toxizitäten neuer chemischer Strukturen nicht vorhersagen lassen und eine biologische Testung unumgänglich ist.
· Die komplette Serie von 20 Arylaminen, die durch reduktive Spaltung bestimmter Textilfarbstoffe entstehen können und die aufgrund von krebserregenden oder -verdächtigen Wirkungen in Textilprodukten nicht mehr vorkommen dürfen, wurde ebenfalls dem Keratinozytenatmungstest unterzogen; ein Teil von ihnen, insbesondere solche mit mehr als einem aromatischen Ring sowie chlorhaltige Verbindungen zeigten zusätzlich eine zelltoxische Wirkung.
· Von ca. 60 untersuchten Textilextrakten zeigten 10 starke oder mäßige toxische Wirkungen im Keratinozytenatmungstest; die übrigen Proben ergaben nur geringfügige Effekte oder waren wirkungslos. In keinem Fall gelang es, die toxische Wirkung auf die Gegenwart eines der bisher bekannten Schadstoffe zurückzuführen. Ein Textilextrakt wurde chromatographisch aufgetrennt; dabei stellte sich heraus, dass der biologische Effekt offenbar auf eine Kombinationswirkung verschiedener chemischer Verbindungen zurückzuführen ist, von denen jede für sich allein untoxisch ist. Die stark positi ven Textilextrakte zeigten bei freiwilligen gesunden Probanden keine nachweisbaren hautreizenden Wirkungen, jedoch schließt dies eine potentielle Gefährdung des Menschen nicht aus, da bei verletzter oder anderweitig geschädigter Haut, entsprechende Hautreizungen durchaus eintreten könnten.
· Bei der Testung von 15 Proben von Produkten aus Lyocellfasern der Fa. Lenzing GmbH (Österreich) zeigte sich im Biotest, dass die fertigen Endprodukte nicht oder nur wenig belastet waren, während die Rohfaser die höchste Belastung aufwies. Bei der Verfolgung der einzelnen Veredlungsstufen konnte genau festgestellt werden, bei welchen Schritten eine Schadkomponente beseitigt wird und wo eine neue hinzukommt und später wieder verschwindet. An diesem Beispiel wird deutlich, dass die Textilveredelung aufgrund ihres Einsatzes an Chemie keineswegs immer zu einer höheren toxischen Belastung führen muss, sondern im Gegenteil auch Bioschadstoffe entfernen kann.
· Der Keratinozytentest zeigte in der Regel ziemlich gute Übereinstimmungen mit dem Daphnientest und mit dem MTT-Test, jedoch traten in einzelnen Fällen auch Unterschiede auf. Aufgrund der leichteren Handhabbarkeit könnte der MTT-Test als Vortest oder Siebtest eingesetzt werden, dem sich der Keratinozytenatmungstest anschließt. Letzterer bietet den Vorteil, Aussagen zum Mechanismus einer nachgewiesenen Schadwirkung zu erhalten.Insgesamt belegen die Ergebnisse des Forschungsvorhabens die Brauchbarkeit des Keratinozytenatmungstests für die Textilprüfung. In Verbindung mit weiteren Biotests sollte er dort neben der chemisch-analytischen Schadstofftestung perspektivisch einen festen Platz einnehmen.


Öffentlichkeitsarbeit und Präsentation

Die Ergebnisse des Vorhabens wurden auf der Hannover Messe 95, auf der UTECH 95 sowie auf der 4. Tagung der Mitteleuropäischen Gesellschaft für Alternativmethoden zu Tierversuchen (MEGAT) im September 1995 in Linz/Österreich und auf der 23. Jahrestagung der Arbeitsgemeinschaft Dermatologische Forschung im Januar 96 in Münster vorgestellt. Die Resonanz der Medien auf das im Rahmen dieses Vorhabens verfolgte Konzept übertraf die Erwartungen. Mehrspaltige Berichte erschienen u.a. in folgenden Tageszeitungen: Die Welt vom 17.02.95, Märkische Allgemeine vom 14.02.95 und Neues Deutschland vom 18.07.95; weiterhin im Deutschen Forschungsdienst, Heft 11/95 und im Magazin Impulse für Unternehmer in den neuen Bundesländern Heft 10/95. Der Deutschlandfunk sendete ein Interview mit einem der am Projekt Beteiligten in der Sendung Forschung aktuell am 17.02.95. Darüber hinaus wurde in Wissenschaftsmagazinen des Fernsehens über das Projekt berichtet - am 22. 01.96 im MDR (MDR-extrem) und am 22.05.96 im ORB (Abenteuer Forschung). Der ORB-Beitrag wurde au-ßerdem später vom ORF und von 3SAT gesendet. Die Medieneffekte waren sehr hilfreich für die Kontaktaufnahmen mit Interessenten und Kooperationspartnern (u.a. mit der ecb ONLINE Analysentechnik GmbH Schwerin und mit der Fa. Lenzing, Österreich).
Unabhängig von den Medieneffekten wurde ein umfangreicher Schriftverkehr mit Textilforschungseinrichtungen, Verbraucherverbänden und Verbänden der deutschen Textilindustrie (TEGEWA; Gesamttextil) geführt, aus dem auch konkrete Anregungen für den Fortgang des Vorhabens erhalten werden konnten. In der Arbeitsgruppe Textilien des Bundesamtes für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin (BgVV) wurde über das Vorhaben im Mai 95 berichtet.
Eigene Publikationen der am Projekt Beteiligten erschienen in der wissenschaftlichen Zeitschrift der Humboldt-Universität Humboldt-Spektrum, Heft 2, 1995, in Melliand Textilberichte sowie im Sam-melband Forschung ohne Tierversuche 1996 (Herausgeber H.Schöffl u.a.), das im Springer-Verlag Wien - New York 1997 erschien.


Fazit

Die Ergebnisse des Vorhabens wie auch die große Resonanz der Medien bestätigten Sinn und Anwendbarkeit des neuen Biotests in der Textilprüfung. Leider gelang es bisher nicht, einen Partner der Textilindustrie oder aus dem Kreis der mittelständigen Textilprüfunternehmen zu finden, der bereit wäre, diesen Test zu übernehmen. Die Gründe sind vielschichtig. Zum einem fehlen gesetzliche Grundlagen, die biologische Testungen in der Textilprüfung zusätzlich zu den geforderten chemischen Analysen vorschreiben. Zum anderen würde die Einbeziehung neuer aussagefähiger empfindlicher Tests zwar die Sicherheit des Verbrauchers erhöhen, zugleich aber u.U. die Entwicklungszeiten für neue Produkte und Verfahren verlängern und verteuern. Dieser Umstand wirkt auf die Industrie motivationshemmend. Aus den gleichen Gründen scheint es auch für Prüfeinrichtungen derzeit noch nicht zweckmäßig, den Hautzelltest in ihren Angebotskatalog aufzunehmen, da die Auftragslage nicht ausreichend wäre.
Ein möglicher Ausweg aus diesen Hemmnissen wäre die Schaffung eines Gütesiegels in biologisch relevanten Testsystemen auf Hautverträglichkeit geprüft, das zusätzlich zum Gütesiegel geprüft nach dem Öko-Tex Standard 100 erteilt oder deklariert werden könnte und dem Textilhersteller Marktvorteile bringen sollte. Ein solcher Vorschlag soll in einem weiteren Artikel in Melliand Textilberichte unterbreitet werden.
Der Keratinozyten-Zellatmungstest könnte auch bei der Gesundheitsverträglichkeitsprüfung von Erzeugnissen der Kosmetikindustrie einen wichtigen Platz einnehmen.

Übersicht

Fördersumme

81.551,06 €

Förderzeitraum

27.05.1994 - 11.05.1999

Bundesland

Berlin

Schlagwörter

Umwelttechnik