Osnabrück. Was immer von der Weltklimakonferenz im ägyptischen Scharm el Scheich bleiben wird, etwas Einmaliges gab es dort vorige Woche gewiss: nämlich einen Thementag im Zeichen der Biodiversität – und damit einen Fingerzeig für den bald bevorstehenden Weltnaturgipfel im kanadischen Montreal: Klimaschutz und der Erhalt der Biodiversität – also der Gesamtheit der Gene, Arten und Ökosysteme – sind zwei Seiten derselben Medaille. „Beides geht Hand in Hand. Wenn die Menschen darauf nicht Acht geben, setzen sie ihre Zukunft aufs Spiel“, sagt Alexander Bonde, Generalsekretär der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU). Die Montreal-Konferenz vom 7. bis 19. Dezember ist für die DBU Anlass, ihre Reihe DBUdigital morgen (Dienstag) ab 14 Uhr mit einem Online-Salon fortzusetzen. Neben Bonde sind unter anderem Bundesumweltministerin Steffi Lemke und Dr. Christof Schenck mit dabei, der Geschäftsführer der Zoologischen Gesellschaft Frankfurt (ZGF) und diesjähriger Träger des Deutschen Umweltpreises der DBU.
Bundesumweltministerin Steffi Lemke will „eine ambitionierte globale Vereinbarung“
Wer an der von Tanja Busse moderierten Veranstaltung teilnehmen will, kann sich unter folgendem Link noch anmelden: https://www.dbu.de/@OnlineSalonWeltnaturgipfel. Der DBUdigital-Online-Salon will außer einer Bestandsaufnahme den Fragen nachgehen, wie eine ambitionierte globale Vereinbarung zum weltweiten Schutz der Natur überhaupt gelingen kann, wie weit bisher die internationalen Verhandlungen gediehen sind, was für die Renaturierung von Ökosystemen notwendig ist und welche Position Deutschland einnimmt. Lemke hatte bereits im Sommer zusammen mit Bundesentwicklungsministerin Svenja Schulze das Ziel für die 15. Weltnaturkonferenz (Conference of the Parties, COP 15) vorgegeben: „eine ambitionierte globale Vereinbarung“ nach dem Vorbild der Pariser Klimakonferenz von 2015, auf der sich fast 200 Staaten darauf geeinigt hatten, die Erderwärmung bis 2100 möglichst auf 1,5 Grad Celsius im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter zu begrenzen. Grundlage für die Weltnaturkonferenzen ist das Abkommen der Vereinten Nationen (UN) über biologische Vielfalt (Convention on Biological Diversity, CBD). Die CBD von 1992 in Rio de Janeiro gilt mit 190 Vertragsparteien als umfassendstes verbindliches Abkommen für Naturschutz und nachhaltige Nutzung natürlicher Ressourcen. Oberstes politisches Entscheidungsgremium der Konvention ist die COP.
UN-Dekade zur Wiederherstellung von Ökosystemen
Große Hoffnungen ruhen auch deshalb auf dem Naturgipfel in Kanada, weil die Vereinten Nationen 2021 bis 2030 als UN-Dekade zur Wiederherstellung von Ökosystemen ausgerufen haben. Bonde: „Ein Weckruf, weil das weltweite Nachhaltigkeitsziel „30 mal 30“ – also Naturschutz für 30 Prozent der Land- und Meeresflächen bis zum Jahr 2030 – nur zu erreichen ist, wenn der Mensch mit der Zerstörung der Ökosysteme aufhört.“ Genau darin sieht Umweltpreisträger Schenck eine große Chance: „Die globale Dreifachkrise – vom Artensterben über Klimawandel bis hin zu Pandemien – ist menschengemacht. Das bedeutet aber auch, dass wir Menschen es in der Hand haben, diese Krisen abzuschwächen oder gar abzuwenden.“ Bonde macht ebenfalls Mut, „denn fürs Zaudern und Verzagen haben wir keine Zeit“. Die Politik könne in Kanada Rechtsrahmen und Regulierungen vorgeben. „Umgesetzt werden müssen sie jedoch weltweit und vor Ort – in der Tropenzone ebenso wie im Pöllwitzer Wald.“ Diese Fläche in Thüringen liegt in der Obhut der Stiftungstochter DBU Naturerbe und gehört zum insgesamt 164.000 Hektar großen Nationalen Naturerbe in ganz Deutschland. Einen Teil davon, rund 70.000 Hektar, hat der Bund der DBU übertragen, die mit einem Stiftungskapital von etwa 2,4 Milliarden Euro zu den größten Umweltstiftungen Europas zählt. Auf 71 überwiegend ehemaligen Militärflächen in zehn Bundesländern kümmert sich das DBU Naturerbe darum, „für den Naturschutz, für die Artenvielfalt“, so Bonde.
Schätzungen zufolge verschwinden 150 Arten für immer von der Erde – jeden Tag
Der DBU-Generalsekretär nennt Schencks Initiative zu einem Legacy Landscapes Fund als anderes Beispiel dafür, wie Biodiversität durch aktives Handeln bewahrt werden kann. In diesem Weltnaturerbefonds wird öffentliches und privates Geld zusammengeführt, um eine langfristige Grundfinanzierung herausragender Ökosystemflächen im globalen Süden zu sichern. Schenck dürfte während des DBUdigital-Online-Salons darauf eingehen. Der ZGF-Geschäftsführer lässt keinen Zweifel daran, was alles auf dem Spiel steht – zumal der Weltbiodiversitätsrat IPBES bereits 2019 mit seiner Warnung für Aufsehen gesorgt hat, weltweit könnten – von laut Bundesumweltministerium insgesamt etwa acht Millionen Arten – binnen Jahrzehnten rund eine Million Arten aussterben. Schenck: „Schätzungen zufolge verschwinden pro Tag 150 Arten für immer von der Erde.“
Volkswirtschaftlicher Wert der Ökosystemleistungen beträgt ungefähr 135 Billionen Euro
Dem Biologen zufolge geht es nicht allein um Artenverlust. Die Dimension ist weitaus größer. Mit gravierenden Folgen für Mensch und Erde. Der Artenverlust führe zu instabilen Ökosystemen. „Damit können für unser Überleben essenzielle Funktionen entfallen – wie Regulation von Klima- und Wasserhaushalt oder sogar die Grundlage unserer Ernährung.“ Biodiversität sei weit mehr als Ernährungsbasis. „Pflanzliche Rohstoffe wie Holz, Fasern und Öle – und mehr als 70 Prozent der Arzneimittel haben ihren Wirkstoffhintergrund im Pflanzenreich“, so der ZGF-Geschäftsführer. Damit nicht genug. Schenck ergänzt: „Inzwischen weiß man auch, dass die Artenreduktion an den Rändern der tropischen Regenwälder ein wichtiger Faktor für die Entstehung von Pandemien ist.“ Denn in solchen destabilisierten Zonen treffe „eine Vielzahl von Bakterien und Viren auf wenige Arten, an die sie sich besser anpassen können. Und dort kommt es auch zu Übergängen von den Tieren auf die – meist zahlreichen – Menschen.“ Während Lemke im Sommer mahnte, indigene und lokale Bevölkerung beim Naturschutz einzubeziehen, ruft Schenck für „die große Transformation“ zu einer „nachhaltigen Lebensweise mit sozialem Miteinander und intakter Natur“ auf. Der Versuch würde sich lohnen: Laut Schenck wird der globale volkswirtschaftliche Wert der Ökosystemleistungen auf etwa 135 Billionen Euro geschätzt.