Halle (Saale). Archäologische Grabungen haben im Weserbergland die vermutlich ältesten Funde der lokalen Herstellung von Holzaschegläsern Europas aus dem 9. Jahrhundert zutage gefördert. Derart frühe Zeugnisse der mittelalterlichen Glasproduktion sind extrem selten und ein bedeutendes Zeugnis der Kulturgeschichte Europas. Die Glasfunde sind sehr zerbrechlich und könnten für immer zerstört werden. „Vom Menschen verursachte Verunreinigungen der Luft und des Bodens, etwa durch sauren Regen im Zuge der Industrialisierung und Düngemitteleinträge aus der Landwirtschaft, können das empfindliche archäologische Glas im Boden und nach der Bergung schädigen, im schlimmsten Fall sogar zerstören“, sagt Dr. Paul Bellendorf, Referatsleiter für Umwelt und Kulturgüter bei der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU). Um das Glas sicher zu bergen, zu erhalten und zu restaurieren, fördert die DBU fachlich und finanziell mit rund 300.000 Euro das Entwickeln archäologischer Restaurierungs-Methoden an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg.
Gläser sehr anfällig gegenüber Feuchtigkeit und von Menschen verursachten Schadstoffen und Schadsalzen
„Im frühen Mittelalter standen den Menschen in Mitteleuropa – im Gegensatz zur Antike – aufgrund verloren gegangener Handelswege keine mediterranen mineralhaltigen Salze wie Soda mehr zur Verfügung, aus denen ursprünglich sehr robustes Glas hergestellt wurde. In den riesigen Wäldern Europas war jedoch unendlich viel Holz vorhanden, so dass in den Werkstätten, den sogenannten Glashütten, eine neue Rezeptur für Glas entwickelt wurde, und zwar aus Holzasche und Sand“, erklärt Projektleiter Prof. Dr. Hans-Georg Stephan vom Institut für Kunstgeschichte und Archäologien Europas der Uni Halle-Wittenberg. Das habe die nun entdeckten wertvollen Gläser, die wohl für das UNESCO Weltkulturerbe Kloster Corvey hergestellt worden waren, sehr anfällig gegenüber Feuchtigkeit und von Menschen verursachten Schadstoffen und Schadsalzen gemacht.
Nach dem Bergen starke Schwankungen der Luftfeuchtigkeit ein Problem
Gefährdet seien sowohl Gläser, die sich noch an Ort und Stelle etwa ein bis zwei Meter unter der Erdoberfläche in den unteren Erdschichten befinden, als auch diejenigen, die nach dem Bergen den oberirdischen Umweltbedingungen ausgesetzt seien. Hier seien vor allem die starken Schwankungen der Luftfeuchtigkeit ein Problem für das Glas. Die sich bereits im Boden an dem Glas abgesetzten Schadsalze verflüssigten sich bei hoher Luftfeuchtigkeit, sprengen dann aber als geronnene Kristalle das Glas, wenn die Luft irgendwann wieder trockener werde. Im Gegensatz zu den Bedingungen unter der Erde wechselten Temperatur und Luftfeuchtigkeit über Tage viel häufiger und schneller. Dies sei auch der Grund dafür, warum Glas nur bei möglichst konstanten Bedingungen gelagert und ausgestellt werden sollte.
Etablierte Konservierungsstoffe und neue Materialien und Methoden sollen angewendet werden
Mit dem heutigen Stand archäologischer Methoden und Techniken könne derart geschädigtes, hoch empfindliches Glas nicht sicher geborgen werden. „Deshalb werden nicht nur umsichtige Bergungsroutinen, sondern gezielt auf die Schadstoffbelastung ausgerichtete Maßnahmen zum Erhalt der Glasfunde benötigt. Diese Methoden stehen bislang nicht zur Verfügung“, erklärt Bellendorf. Mit fachlicher und finanzieller Unterstützung der DBU soll eine entsprechende Erstfundsicherung von Holzaschegläsern entwickelt und anhand der ältesten und bedeutendsten Glashüttenfunde aus dem Weserbergland exemplarisch erprobt werden. Sobald die Sicherungskonzepte in der Theorie stehen, sollen sie bei Grabungen an ausgewählten mittelalterlichen Waldglashütten modellhaft umgesetzt werden. Die geborgenen Funde sollen anschließend für den dauerhaften Erhalt konservatorisch behandelt werden. Dabei sollen etablierte Konservierungsstoffe und neue Materialien und Methoden angewendet werden.
Vorhaben von herausgehobener kulturhistorischer Bedeutung
Das Vorhaben sei von herausgehobener kulturhistorischer Bedeutung und lasse wichtige Ergebnisse zum Schutz von umweltgeschädigten Kulturgütern erwarten, betonte Bellendorf: „Das Projekt kann eine wichtige Lücke im archäologischen Umgang mit sensiblen, durch menschliches Einwirken geschädigten Gläsern schließen, bei denen es sich um wichtige Zeugnisse der Geschichte handelt. Ohne weitere interdisziplinäre Forschungen ist der Bestand an Holzaschegläsern weder im Boden noch nach einer Bergung langfristig zu sichern.“ Bereits mehrere vorangegangene Forschungsprojekte hätten eindeutig belegen können, dass menschliche Umwelteinflüsse aus Industrie und Landwirtschaft archäologische Fundstücke gefährden können.
Ansprechpartner für Fragen zum Projekt (AZ 31548): Prof. Dr. Hans-Georg Stephan, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Institut für Kunstgeschichte und Archäologien Europas, Telefon: 0345/5524049, Fax: 0345/5527040