Rheinbach/Neuenrade. Supraleiter sind eine Schlüsseltechnologie des 21. Jahrhunderts. Zwei Unternehmen, die dieses Potenzial früh erkannt haben, sind die mittelständischen Betriebe Zenergy Power aus Rheinbach und Bültmann aus Neuenrade. Gemeinsam entwickelten sie auf Basis der Supraleiter einen neuartigen Magnetheizer für die metallverarbeitende Industrie. 2009 zeichnete die Deutsche Bundesstiftung Umwelt (DBU) die beiden Geschäftsführer der Firmen – Dr. Carsten Bührer (Zenergy Power) und Petra Bültmann-Steffin (Bültmann) – für ihre innovative Arbeit mit dem Deutschen Umweltpreis aus. Denn mit dem Heizer lassen sich bis zu 50 Prozent an Energie einsparen. Heute – rund zehn Monate später – blicken sie auf ein erfolgreiches Jahr für ihre Unternehmen zurück. Mit der DBU sprachen sie über ein Erdbeben in der Hochtechnologiebranche, die Notwendigkeit von Förderinstitutionen und die mangelnde Risikobereitschaft der Deutschen, gerade auch der Banken.
DBU: Frau Bültmann-Steffin, Herr Dr. Bührer, was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie an den Tag der Preisverleihung zurückdenken?
Bültmann-Steffin: Für mich persönlich war das der aufregendste Tag seit meiner Hochzeit. Und aus Firmensicht war es das absolute Highlight unserer 40-jährigen Geschichte.
Bührer: Nicht nur Zenergy Power hat an Bekanntheit gewonnen. Die Technologie an sich ist gewaltig vorwärts geschoben worden. Davon haben auch unsere Mitstreiter in der Supraleiter-Branche profitiert. Denn die Öffentlichkeit hat erkannt: Diese Technologie ist verfügbar. Das hat ein richtiges Erdbeben ausgelöst. Supraleiter werden jetzt ganz anders wahrgenommen – weniger skeptisch. Und das haben wir geschafft – zwei kleine Mittelständler.
DBU: Welche Entwicklungen haben sich seitdem in Ihren Unternehmen vollzogen?
Bührer: Die Anfragen nach dem Magnetheizer haben zugenommen. Potenzielle Betreiber sehen, dass die Anlage nun im industriellen Umfeld eingesetzt werden kann. Außerdem werden wir in Gesprächen ernster genommen. Auf der Hannover Messe 2006 wurden wir noch gefragt: Geht das überhaupt? Und heute lautet die Frage: Wann können Sie liefern?
DBU: Das heißt, Sie haben auch konkrete Aufträge bekommen?
Bührer: Zunächst hat nach der Preisvergabe die Anfragetätigkeit erheblich zugenommen und die Erstinstallation wurde sehr häufig begutachtet. In den folgenden Monaten ergaben sich weitere Aufträge, insbesondere auch durch den Erstbetreiber, Weseralu in Minden. Dieses Unternehmen wird nun vollständig auf diese Technologie umsteigen. Wir profitieren aber auch mehr von der gestiegenen Aufmerksamkeit und der damit verbundenen Langzeitwirkung.
Bültmann-Steffin: Es ist nicht damit getan, die Anlage zu kaufen und in seine Fertigungshalle zu stellen. Die Einführung des Magnetheizers muss gut geplant sein, um vollen Nutzen aus allen Vorteilen zu ziehen. Zum Beispiel sollte die Infrastruktur zuvor angepasst werden: Mit unserer Anlage lässt sich die Produktivität um bis zu 25 Prozent steigern. Fertigungsprozesse müssen angepasst und optimiert werden, bei größerem Ausstoss muss evtl. auch das Personal im Versand verstärkt werden.
DBU: Ihr Magnetheizer steht für Energieeffizienz – und das heißt nicht nur, das Klima zu schonen, sondern auch, Kosten zu sparen. Hat sich eine solche Sichtweise in der Industrie bereits durchgesetzt?
Bührer: Es gibt viele Gründe, die für unsere neue Technologie sprechen: Die Energieeinsparung, die Produktivitätssteigerung und auch die Tatsache, dass sie eine höhere Qualität der Produkte ermöglicht. Ein Betreiber muss diese Punkte erkennen und die Umstellung in seinem Haus durchsetzen. Gerade bei größeren Unternehmen ist das nicht immer so einfach. Wir sind in einem Sektor tätig, in dem sich Veränderungen sehr langsam durchsetzen, dafür aber besonders nachhaltig. Sie spielen dann eine Rolle für die nächsten zwanzig bis fünfundzwanzig Jahre.
Bültmann-Steffin: Aber die Kostenersparnis ist natürlich ein entscheidender Faktor. Die Produktivitätssteigerung muss gegeben sein und vom Kunden gesehen werden. Hier müssen wir manchmal noch ein bisschen Überzeugungsarbeit leisten. Und die wird natürlich einfacher mit jeder installierten Anlage, die irgendwo auf der Welt steht und das unter Beweis stellen kann.
DBU: Wirkt Energieeinsparung denn auch als Marketinginstrument?
Bührer: Energie in Deutschland ist recht günstig, weniger für die Privathaushalte als für die Industrie. Natürlich lässt sich das nicht isoliert betrachten, da der Standort Bundesrepublik unter Konkurrenzdruck mit den Nachbarländern steht. Wir können also nicht einfach die Energiepreise erhöhen. Aber im Sinne eines nachhaltigen Wirtschaftens muss schon darüber nachgedacht werden, was das bedeutet. Trotzdem glaube ich, dass Energieersparnis stärker ins Bewusstsein der Menschen gerückt ist. So ist der Endverbraucher häufig bereit, für nachhaltig produzierte Waren mehr zu bezahlen. Das merken auch die Unternehmen. Sie versuchen verstärkt, Ressourcen zu schonen und damit zu werben. Für einen Hochtechnologiestandort wie Deutschland ist das auch ein Muss. Denn Billigware bekäme ich genauso gut woanders her.
DBU: Ist das eine Entwicklung nur in Deutschland?
Bührer: Wir sehen solche Tendenzen auch in den USA, wenngleich nicht so ausgeprägt wie hier. Aber vor allem in Zentraleuropa hat sich eine „grüne“ Sichtweise schon durchgesetzt.
Bültmann-Steffin: Wir hatten zum Beispiel auch eine Anfrage von einem indischen Unternehmer, der hier in NRW ansässig ist. Er betonte, dass in seiner Heimat Energieeffizienz zunehmend ein politisch wichtiges Thema wird.
DBU: Welche neuen industriellen Einsatzgebiete für die Supraleiter wollen Sie sich erschließen?
Bührer: Wir haben jetzt angefangen, einen so genannten Strombegrenzer auf den Markt zu bringen. Das ist ein Sicherungselement, das vor Überströmen in Versorgungsnetzen schützt – zum Beispiel aufgrund von Kurzschlüssen oder Überlastungen. Er kann bei der Verknüpfung von dezentralen Energienetzen eine große Rolle spielen. Hier sehen wir eine große Zukunft für Supraleiter – besonders in Ländern, die schwach ausgebaute Versorgungsnetze haben. Außerdem arbeiten wir an einem Prototyp für einen Wasserkraftgenerator. Hier spielt vor allem die Kompaktheit des Systems eine Rolle, so dass der Strom aus Wasserkraft besser ausgeschöpft werden kann – mit bis zu 36 Prozent mehr Leistung. Aber auch bei Windkraftgeneratoren sehen wir für Supraleiter große Chancen.
DBU: Haben Sie mit so einem Durchbruch ihrer Innovation gerechnet?
Bührer: Nein. Als wir Anfang 2005 unser Projekt „Magnetheizer“ gestartet haben, war eine solche Entwicklung für mich nicht denkbar. Aber wir haben schnell gelernt, was wichtig ist – und hier war uns die DBU eine große Hilfe: Es ist entscheidend, nicht ein Modell zu bauen, sondern eine Anlage, die direkt im industriellen Umfeld eingesetzt werden kann – eine Referenzanlage, die den Kunden Vertrauen gibt.
Bültmann-Steffin: Es hätte bis heute wahrscheinlich keiner einen Magnetheizer gekauft, wenn wir nicht direkt den Prototyp gebaut hätten.
DBU: Was waren im Rückblick die größten Schwierigkeiten, mit denen Sie auf Ihrem Weg zu kämpfen hatten?
Bültmann-Steffin: Ich kann mich erinnern, dass es zwischenzeitlich einen Punkt gab, wo keiner mehr weiter wusste. Und dann ist das Team zum Mittagessen gegangen und plötzlich war die Lösung da.
Bührer: Vor allem die technische Machbarkeit stellte uns vor Herausforderungen: Die Frage, ob sich unsere Idee auch industriell sinnvoll umzusetzen lässt. Ist die Anlage handhabbar? Ist sie robust? Ist sie preisgünstig genug? Hier kam uns die offene Zusammenarbeit unserer beiden Unternehmen zu Gute: Auf der einen Seite der Wissenschaftler, auf der anderen der Praktiker, der einen auch wieder auf den Boden der Tatsache holt, wenn es sein muss.
DBU: Ohne Fremdkapital geht aber in der Regel auch nichts. Sind Banken gute Partner für Unternehmen, die solch einen Weg wie Sie gehen wollen?
Bührer: Das Problem in Deutschland ist, dass man hier kein wirkliches Risikokapital findet. Wenn ich auf unser Unternehmen schaue, so war die Einführung einer solch neuen Technologie hierzulande eigentlich unmöglich. Sie müssen immer bis ins letzte Detail erklären, warum die Risiken eigentlich keine Risiken sind. Das macht die Finanzierung in Deutschland extrem schwierig. Aber wer Innovationen vorwärts treiben will, muss auch Risiken eingehen. Nur neigen die Deutschen dazu, diese mehr zu sehen, als die Chancen. Die Umsetzung hinterher funktioniert gut. Nur die Initialzündung fehlt leider häufig. Von daher sind Förderinstitutionen wie die DBU enorm wichtig, weil sie die notwendige Anschubfinanzierung möglich machen. Zudem bekommt man eine Art Gütesiegel, das die Glaubwürdigkeit nach außen – etwa gegenüber Banken – enorm stärkt.
DBU: Was könnte Abhilfe schaffen?
Bührer: Wir brauchen mehr Risikobereitschaft. Die Deutschen sollten weniger zurück schauen, etwa auf das, was falsch gelaufen ist. Stattdessen müssen wir den Blick nach vorne richten. Das können wir uns zum Beispiel von Großbritannien abschauen. Als Ingenieur ist der Brite manchmal weniger präzise, lässt auch mal fünf gerade sein, aber dafür geht er Risiken ein.
DBU: Inwieweit haben Sie neben der finanziellen Förderung von der Arbeit der DBU profitiert?
Bührer: Wichtig für uns war der kritische Blick von außen. Die DBU hat uns gezeigt, welche Fragen aus Sicht eines Dritten kommen könnten. So haben wir noch mal genau analysiert, was wir wollen und wie wir es erreichen.
DBU: Was geben Sie jungen Unternehmen mit kreativen Ideen mit auf den Weg?
Bültmann-Steffin: Vor allem Durchhaltevermögen ist wichtig – sich von seinem Umfeld nicht entmutigen zu lassen. Auch in unserem eigenen Unternehmen hatten einige Mitarbeiter zunächst Bedenken und dachten – das klappt nie. Die Umweltpreisverleihung hat jetzt noch mal dazu beigetragen, die Mitarbeiter zu motivieren und intern ein neues Bewusstsein für den Umweltschutz zu schaffen. Wir haben uns daher jetzt als Ziel gesetzt, auch andere Anlagen, die wir bauen, noch stärker hinsichtlich ihrer Energieeffizienz zu optimieren.
Bührer: Der Mensch ist ein Gewohnheitstier. Ich muss die Veränderung also schmackhaft machen, dem Kunden zeigen, wo der Vorteil für ihn liegt. Wir können es uns heutzutage nicht mehr leisten, Ressourcen gedankenlos zu nutzen. Und eine umweltschonende Technik einzusetzen, bedeutet nicht, Abstriche zu machen. Das gilt es zu vermitteln. Unsere Technik zum Beispiel leistet das, was andere Technologien schon konnten, nur noch besser. Umweltschutz ist längst mehr als eine Ideologie.
Interview: Stephanie Kaßing, DBU