Wesendorf. Es ist so ein typischer Herbsttag, Nieselregen, grau in grau – genau das richtige Wetter, um auf dem Sofa zu liegen. Für Diethelm Lilje ist das kaum vorstellbar. Der 55-jährige gelernte Steinsetzer, ehemalige Bauunternehmer und heutige Tierhalter von unter anderem 30 Galloway-Mutterkühen und ihren Kälbern ist wie jeden Tag im Jahr auf der DBU-Naturerbefläche Wesendorf im Landkreis Gifhorn im Einsatz.
Tiere versorgen, Zäune kontrollieren – Alltag des Biobauers
„Mein Kompagnon Ekkehard Schulz und ich schauen täglich nach den Tieren, prüfen, ob der Wasseranschluss funktioniert, kontrollieren und reparieren den kilometerlangen Zaun“, erläutert Lilje. Damit aber nicht genug: Diethelm Lilje betreibt zusammen mit seiner Frau einen Imbisswagen, einen Marktstand und kümmert sich um die regionale Vermarktung des hochwertigen Galloway-Fleisches. Bis zur Corona-Krise 2019 hatte er auch einen Burgerladen, nutzte dann aber die Auszeit, um sich am Hof einen eigenen Verarbeitungsraum umzubauen, um Würstchen, Grillfleisch und Wurst selbst herzustellen. Er nahm Kontakt mit Feinkostläden auf und beliefert sie seitdem wie auch das Museumsdorf Hösseringen in Suderburg mit seinen Produkten. Dabei legt er Wert darauf, das hochwertige Fleisch vollständig zu vermarkten. Was in den Läden nicht direkt verkauft wird, nimmt er vakuumiert zurück, um es innerhalb der Haltbarkeit an seinen Verkaufsständen anzubieten. So werde kaum etwas entsorgt. „In erster Linie bin ich aber Bio-Bauer, spätberufen, aus Überzeugung“, betont Lilje und ergänzt: „Am schönsten ist es für mich, bei den Tieren draußen zu sein und Heu zu machen.“ Und seine Kühe und Bullen sind vor allem als Landschaftspfleger ganzjährig auf der Weide unterwegs, genauer gesagt auf der DBU-Naturerbefläche Wesendorf, einer Fläche von der Tochtergesellschaft der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU), dem DBU Naturerbe.
Galloways dienen als Landschaftspfleger und halten seltenen Magerrasen offen
25 Minuten ist er auch heute von seinem Hof in Wittingen zu dem ehemals militärisch genutzten Areal rund um die Hammerstein-Kaserne gefahren. Schulz und er wollen ein paar Zaunpfosten austauschen. Lilje hat seine braune Lederjacke über den Blaumann gezogen. Ansonsten scheint ihm das feucht-kalte Wetter nicht viel auszumachen. Er deutet auf Schulz und seinen alten Trecker und erzählt von seinen Kremserfahrten. Im Sommer hängt Lilje einen Planwagen an den Schlepper und führt Interessierte über die DBU-Naturerbefläche Wesendorf. Dann fährt er durch ein großes Tor, entlang der Magerrasen zu seiner Herde. Die rund 40 Hektar große Weide ist nie intensiv landwirtschaftlich genutzt worden. Der Boden ist besonders nährstoffarm, weil er nicht gedüngt wurde. In Deutschland sind solche Flächen mit ihrem typischen Arteninventar selten und daher für den Schutz der biologischen Vielfalt wichtig. Damit sich der Magerrasen nicht irgendwann bewaldet, braucht es die tierischen Landschaftspfleger. Sie halten den Lebensraum offen und bieten pflanzlichen Hungerkünstlern wie Heidenelke und Sandglöckchen sowie auch Schmetterlingen wie dem seltenen Habichtskrautspinner eine Heimat. Vom Trecker aus braucht Lillje seine Herde nur zu rufen. Die schwarzen und hellbeigen wolligen Galloways kommen ihm sogleich in gemächlichem Tempo entgegen. „Willkommen in Jurrasic Park“, ruft Lilje dann gerne seinen Gästen zu und erzählt von der Besonderheit dieser Rinderrasse.
Alte Rasse aus Schottland war vom Aussterben bedroht
Vor der Industrialisierung waren Galloways vor allem in Schottland sehr verbreitet. Es war die Zeit der großen Viehtrecks. Sogenannte Drover trieben die Tiere zum Schlachten von ihren abgelegenen Weiden viele Kilometer nach London oder in andere Großstädte. „Es gab zu dem Zeitpunkt ja noch keine Kühlhäuser“, erläutert Lilje. Die Galloways kamen mit den teils schlechten Futterbedingungen am Wegesrand im Vergleich zu anderen Rassen bestens aus, schafften es sogar, noch zuzunehmen. „Sie sind sehr genügsam und fressen auch Brennnesseln, Blätter oder Binsen, die andere Rinder nicht anrühren“, so Lilje. Nach der Industrialisierung, als das Schlachten vor Ort einfacher wurde, waren sie vom Aussterben bedroht. „Die Bestände haben sich heute aber wieder stabilisiert. Und das Fleisch der Galloways ist nach wie vor vorzüglich“, schwärmt der Biobauer.
Vom Hobbyhalter zum Biobauern: Lilje pachtete 2016 Flächen im DBU Naturerbe
Lilje hält seit 2003 Galloways. Anfangs war es nur ein Hobby mit fünf Tieren, die er auf dem Kasernengelände unterbringen durfte. 2016 wurde der angrenzende rund 300 Hektar große ehemalige Standortübungsplatz als Teil des Nationalen Naturerbes vom Bund an das DBU Naturerbe übertragen. Der zuständige Revierleiter Rainer Scharte vom Bundesforstbetrieb Niedersachsen sprach Diethelm Lilje an und fragte, ob er die Offenlandpflege mit den Galloways übernehmen wolle. „Das brachte den Schwung, den ich noch brauchte, um als Biobauer durchzustarten“, erinnert sich Lilje. Heute schaut er mit Zuversicht in die Zukunft: „Ekkehard und ich werden wohl noch mit 80 Jahren hier rumkurven und nach den Tieren schauen. Ich bin mir auch sicher, dass es für so hochwertige Bio-Wurst von Tieren, die ganzjährig auf der Weide sind, auch zukünftig einen Markt geben wird.“