Leipzig. „In wasserarmen Regionen verunreinigt meist Abwasser die ohnehin knappen Trinkwasserressourcen und macht die Menschen krank. In Jordanien ist der Schutz des Wassers eine Überlebensfrage. Mit ihrer Überzeugung, dass wirksamer Wasserschutz durch dezentrale Abwasserreinigung gelingt, hat das interdisziplinäre Expertenteam neuartige Systemlösungen in schwierigem politischen Umfeld entwickelt, konsensfähig gemacht und in die Praxis umgesetzt: Umweltschutz mit Hirn, Herz und Hand!“ – Mit diesen Worten würdigte heute Alexander Bonde, Generalsekretär der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU), die Verleihung des Deutschen Umweltpreises 2018 an das Leipziger Experten-Team Prof. Dr. Roland A. Müller (55), Dr. Manfred van Afferden (57), Dr. Mi-Yong Lee (47, alle Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung, Department „Umwelt- und Biotechnologisches Zentrum“) und Dipl.-Ing. Wolf-Michael Hirschfeld (70), Initiator des Bildungs- und Demonstrationszentrums für dezentrale Abwasserbehandlung (BDZ). Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier überreicht die Auszeichnung am 28. Oktober in Erfurt. Preisgeld des Teams: 250.000 Euro.
Zwei Milliarden Menschen weltweit nutzen verunreinigtes Wasser
Weltweit, so Bonde weiter, nutzen mindestens zwei Milliarden Menschen Trinkwasser, das mit Fäkalien verunreinigt ist. Bonde: „Zu wissen, dass täglich mehr als 1.500 Kinder unter fünf Jahren an den Folgen von verunreinigtem Wasser sterben, ist unerträglich.“ Neben Armut, wirtschaftlicher Perspektivlosigkeit und mangelnder politischer Teilhabe spielten schwierige Lebensbedingungen einschließlich des Wassermangels eine entscheidende Rolle als zentrale Fluchtursache.
Wissenslücken und Unsicherheiten bei Entscheidungsträgern Kernprobleme
Gegenwärtig würden nur 20 Prozent des Abwassers weltweit sachgemäß gereinigt. Die Ziele für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen, bis 2030 die Verfügbarkeit und das nachhaltige Bewirtschaften von Wasser- und Sanitärversorgung für alle zu gewährleisten, rückten in immer weitere Ferne, wenn nicht entschlossen gegengesteuert werde. In Jordanien, einem der drei Länder, die weltweit am stärksten von Wasserknappheit betroffen seien und dessen Bevölkerung nicht zuletzt durch Flüchtlinge aus Syrien von 5,6 Millionen (2006) um fast 70 Prozent auf 9,5 Millionen (2016) angestiegen sei, flössen jährlich alleine schon im ländlichen Bereich 45 Millionen Kubikmeter Abwasser direkt ins Grundwasser und verunreinigen es. Kanalnetze, wie in Deutschland üblich, existierten in Jordanien nur in den größeren Städten. Auch wenn die Nachteile langer Kanalnetze in städtischen Randbereichen und im ländlichen Raum, wie hohe Investitionen, Störanfälligkeit und fehlende Anpassungsfähigkeit an Siedlungsdynamiken, bekannt seien, fänden international noch kaum dezentrale Alternativen einen Zugang zum Markt. Grund seien oft Wissenslücken und Unsicherheiten bei Entscheidungsträgern und Endnutzern.
„Bahnbrechend“ für bessere Lebensgrundlagen der Menschen vor Ort
Hier habe das Leipziger Team mit innovativen Ideen angesetzt. „Um eine zukunftsfähige Abwasserbehandlung zu entwickeln und voranzubringen, hat das Preisträgerteam großartige Pionierarbeit geleistet. Erst in Deutschland und später im Nahen Osten“, lobt der Generalsekretär der DBU. Mit ihrer Lösung der dezentralen Abwassersysteme, die flexibel angepasst werden können und bestehende zentrale Systeme ergänzen, werde das Abwasser direkt am Entstehungsort behandelt und könne unmittelbar zum Bewässern landwirtschaftlicher Flächen genutzt werden. Der Frischwasserverbrauch und der Eintrag von Schadstoffen und Krankheitskeimen ins Grundwasser würden so deutlich gemindert. Das Verknüpfen von alten und neuen Strukturen und das Schaffen eines funktionierenden, handhabbaren, wartungsarmen, kosten- und energiesparenden Abwassersektors sei „bahnbrechend für eine Verbesserung der Lebensgrundlagen der Menschen vor Ort und ihrer Kinder und Kindeskinder“, so Bonde weiter.
„Hilfe zur Selbsthilfe“ als Schlüssel zum Erfolg
Früh habe das Team als „neutraler Anwalt für den Wasserressourcenschutz“ erkannt, dass „Hilfe zur Selbsthilfe“ der Schlüssel zum Erfolg sei. Es habe über Fachgrenzen hinaus und im offenen Dialog mit den Schlüsselakteuren eine ganzheitliche Herangehensweise entwickelt und Technologien, Planungs- und Entscheidungswerkzeuge, institutionelle Rahmenbedingungen sowie Aus- und Weiterbildung gleichrangig berücksichtigt. So seien Grenzen zwischen Natur-, Ingenieur- und Sozialwissenschaften, vor allem aber zwischen Forschung und Praxis überwunden worden. Einer der ersten Bausteine sei die Eröffnung des Forschungs- und Demonstrationszentrums im jordanischen Fuheis gewesen. Hier seien elf unterschiedliche dezentrale Abwasserbehandlungsverfahren mit realem Abwasser betrieben, weiterentwickelt und den jordanischen Erfordernissen angepasst worden. Die Anlagen hätten als Plattform gedient zum direkten Austausch zwischen interessierten Bürgern aller Altersklassen, lokalen und regionalen Entscheidungsträgern, Studierenden und Wissenschaftlern in Jordanien. Zudem sei eigens eine Unterrichtsreihe für Grundschulen angeboten worden, die knapp 5.000 Kinder erreicht habe.
Als Ansprechpartner vor Ort zum Paradigmenwechsel verholfen
Um die für die Akzeptanz der Technologien notwendige Präsenz in Jordanien zu gewährleisten, habe das Team ein Implementierungsbüro im Wasserministerium gegründet, so Bonde, vor Ort Arbeitsgruppensitzungen moderiert, Entscheidungsträger fachlich unterstützt und in Rückkopplung mit den Experten in der Heimat zur Lösung des strukturellen Wassermanagementproblems beigetragen. „Ein großer Erfolg war das politische Rahmenwerk für das dezentrale Abwassermanagement, an dem das deutsche Team aktiv mitgewirkt hat und das durch das jordanische Kabinett beschlossen wurde“, sagte Bonde weiter. Um Entscheidungsträger vor Ort bei der Wahl des richtigen Abwassermanagementsystems zu unterstützen, habe das Team ein praktikables Planungsinstrument entwickelt, das geografische, technische und sozio-ökonomische Daten berücksichtige und helfe, fehlerhafte Planungen und Investitionsrisiken zu vermeiden.
„Jordanien-Modell“ Motor für Mittleren und Nahen Osten?
Durch das politische Verankern und langfristige Neuausrichten des jordanischen Abwassersektors sei es jetzt realistisch, das vom jordanischen Wasserministerium gesetzte Ziel zu erreichen, bis 2025 das jährliche Volumen gereinigten Abwassers von heute 140 Millionen auf dann 235 Millionen Kubikmeter zu steigern und eine Anschlussrate von rund 80 Prozent zu verwirklichen. Eine Perspektive, die im Nahen und Mittleren Osten insgesamt auf spürbares Interesse gestoßen sei. Schon während des Jordanien-Projektes sei bereits mit dem Sultanat Oman zusammengearbeitet worden, um das deutsch-jordanische Konzept auch hier einzuführen. Dadurch könnten, so Bonde, „als Kollateral-Nutzen auch für deutsche Hersteller international neue Märkte erschlossen werden.“
Wirkungsvolle flexible Kombilösungen für Land- und Stadtbevölkerung
Der neue dezentrale Abwassersektor in Jordanien markiere jedenfalls „einen Paradigmenwechsel weg von ausschließlich zentralen, mit langen Kanalnetzen verbundenen Systemen, hin zu wirkungsvollen flexiblen Kombinationslösungen für Land- und Stadtbevölkerung“, so Bonde. Das Team habe einen ganzheitlichen Prozess entwickelt „und war auf allen Ebenen aktiv: interdisziplinär in der Wissenschaft, beratend in der Wirtschaft, vermittelnd in der Politik, informierend in der Gesellschaft und zupackend in der praktischen Umsetzung”, so Bonde – für Forschung in Deutschland ein „leider zu seltener Glücksfall“.