Stockholm. „Unser Menschsein hängt von der Qualität der Biosphäre ab, die uns umgibt. Wir selbst haben unseren Planeten gefährlich nah an seine Belastungsgrenzen geführt. Umso glücklicher können wir sein, dass - beseelt von dieser Erkenntnis - mit Johan Rockström ein ‚Ingenieur der Zukunft‘ die biophysischen Grenzen für den Planeten festgesetzt hat, innerhalb derer eine verträgliche sozio-ökologische Entwicklung möglich bleibt. Wissenschaftlich akribisch und konstruktiv-optimistisch hat er gemeinsam mit namhaften Experten weltweit verfügbare Daten zum Zustand der Erde zusammengeführt, gewichtet und in einen konkreten Rahmen für Politik, Wirtschaft und Gesellschaft überführt. So lebt die Hoffnung, Mensch und Biosphäre wieder vereinen zu können.“ – Mit diesen Worten würdigte heute Dr. Heinrich Bottermann, Generalsekretär der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU), die Verleihung des Deutschen Umweltpreises 2015 der DBU an den Direktor des Stockholm Resilience Centre an der Stockholmer Universität, Prof. Dr. Johan Rockström (49). Bundespräsident Joachim Gauck wird die Auszeichnung am 8. November in Essen überreichen. Preisgeld: 245.000 Euro.
Neun Umweltprozesse bilden „planetaren Grenzen“
Rockström sei mit dem Konzept der „planetaren Grenzen“ einer der „großen Denker und Kommunikatoren des Umweltschutzes unserer Zeit“ und stehe „in seiner epochalen Wirkung in einer Linie mit dem 1972 erschienenen Bericht ‚Grenzen des Wachstums‘ des Club of Rome“, so Bottermann. Gemeinsam mit einem 28-köpfigen Wissenschaftlerteam, zu dem u.a. die DBU-Umweltpreisträger Prof. Hans-Joachim Schellnhuber und Prof. Paul Crutzen gehören, identifizierte er neun Umweltprozesse, die die Stabilität und Belastbarkeit des Erdsystems regulieren – die Fähigkeit unseres Planeten also, globale Entwicklung zu „ertragen“: Klimawandel, Biodiversitätsverlust und Artensterben, biogeochemische Flüsse (die Biogeochemie befasst sich mit den chemischen, biologischen und physikalischen Prozessen, die Aufbau und Funktionen von Ökosystemen oder Landschaften zu Grunde liegen; hier geht es speziell um Stickstoff und Phosphor), Versauerung der Ozeane, Süßwassernutzung, Landnutzungsänderungen, Abbau der stratosphärischen Ozonschicht, atmosphärische Aerosole (Stoffgemisch fester und flüssiger Partikel in der Luft, die eine wichtige Rolle im atmosphärischen Strahlungshaushalt spielen und entscheidend in regionale Klima- und Niederschlagsysteme, sowie die atmosphärische Chemie eingreifen wie etwa beim Ozonloch) und Eintrag neuer Stoffe wie Chemikalien, radioaktive Materialien, Nanomaterialien oder Mikroplastik.
Mit planetaren Grenzen kann globale Entwicklung stattfinden und gedeihen
Nachdem die neun planetaren Grenzen, die zum ersten Mal 2009 veröffentlicht worden waren, sechs Jahre lang durch Fachkollegen weltweit umfassend begutachtet worden waren, wurden sie 2015 wissenschaftlich aktualisiert. Mit diesen neun Grenzen soll versucht werden, quantitative, nicht zu überschreitende Belastungsgrenzen auf der Basis konkreter Messgrößen zu definieren – ähnlich dem Ziel der internationalen Klimapolitik, die globale Erwärmung auf weniger als eineinhalb bis zwei Grad gegenüber dem Niveau vor Beginn der Industrialisierung zu begrenzen. Rockströms Forschung belegte, dass das konstante Beachten dieser Grenzen einen sicheren biophysischen Handlungsraum für die Menschheit schafft, in dem globale Entwicklung stattfinden und gedeihen kann. Bisher wurden acht der neun Grenzprozesse quantifiziert, nur die chemische Belastung des Planeten noch nicht.
Vier der neun Grenzen bereits überschritten
In der neuesten wissenschaftlichen Betrachtung (2015) kommen Rockström und seine Kollegen zu dem Schluss, dass vier der neun Grenzen schon überschritten wurden: bei Klimawandel, dem Verlust an Biodiversität, den Einträgen von Stickstoff und Phosphor in die Biosphäre und Landnutzungsänderungen. Damit wächst nach dem Fazit der Experten die Gefahr unumkehrbarer Umweltveränderungen, die die Bewohnbarkeit der Erde für die Menschheit einschränken.
Rockström: intakte Ökosysteme für das Wohlergehen der Menschheit unumgänglich
Getrieben sei Rockström, so Bottermann, von dem tiefen Bewusstsein, dass intakte Ökosysteme für das Wohlergehen der Menschheit unumgänglich seien und es eine Wechselwirkung zwischen Mensch und Ökosystem gebe. Dazu müsse die Belastbarkeit der Biosphäre stabil in dem zwischeneiszeitlichen Zustand gehalten werden, der für die letzten 12.000 Jahre moderne Weltentwicklung möglich gemacht habe.
Abschmelzen der meisten Gletscher Zeichen für Erreichen der höchsten Belastungsgrenzen
Die Entwicklungsprozesse der letzten 200 Jahre, speziell seit dem Zweiten Weltkrieg, hätten die Menschheit aber so gefährlich nah an die höchsten Belastungsgrenzen des Planeten herangeführt, dass plötzliche, unumkehrbare und womöglich katastrophale globale Veränderungen der Umwelt nicht mehr auszuschließen seien. Um weiter sicher leben zu können, müsse der Mensch innerhalb dieser kritischen und immanenten Grenzen der Umwelt agieren und die Natur der klimatischen, geophysikalischen, atmosphärischen und ökologischen Prozesse im Erdsystem respektieren. Das Risiko nicht-linearer Veränderungen der Umweltbedingungen erhöhe sich jährlich und lasse sich etwa im Klimasystem am rasanten Rückgang des arktischen Sommer-Meereises, dem Abschmelzen der meisten Gletscher weltweit und dem beschleunigten Anstieg des Meeresspiegels während der letzten zehn bis fünfzehn Jahre ablesen.
Mehr in nachhaltige Ökosysteme investieren
Dabei habe den Menschen seine Innovationsfähigkeit in die akute Umwelt-Zwangslage gebracht. Für Rockström paradox, weil nur technische und sozioökonomische Innovation den Menschen aus ihr auch wieder herausführen könne. Sie sei der Garant für ein Sichern des menschlichen Wohlergehens wie für ein optimales Nutzen der Kapazitäten von Ökosystemen. Für Rockström stehe fest, dass Wirtschaft und Technik weiter ökologisiert werden müssen und mehr in nachhaltige Ökosysteme – etwa Städte der Zukunft, Landwirtschaft, Fischerei – investiert werden muss.
Mit klarem Blick und noch klarerem Verstand, konkrete Lösungen finden
Dennoch sei das für Rockström kein Grund zu Pessimismus und Resignation. Bottermann: „Rockström steckt vor den Problemen der Welt nicht den Kopf in den Sand. Stattdessen hilft er mit klarem Blick und noch klarerem Verstand, konkrete Lösungen zu finden.“ Am Stockholmer Resilience Centre – unter Resilienz versteht man das „Abfederungsvermögen“ von Systemen gegen äußere Störungen, in der Ökosystemforschung die Fähigkeit eines Ökosystems, trotz ökologischer Störungen zu bestehen und sich Veränderungen anzupassen anstatt in einen schlechteren Systemzustand überzugehen – habe Rockström global anerkannte Daten und Modelle zu unterschiedlichen Themenfeldern systemwissenschaftlich analysiert. Er habe nachvollziehbare ökologische Grenzen definiert und mit seinen Forschungskollegen am Stockholmer Resilience Centre und gestützt auf jahrzehntelange Forschung als handhabbare Handlungsanweisung sieben Prinzipien entwickelt, um Resilienz aufzubauen. Mit ihnen wolle er das sozial-ökologische System Mensch/Biosphäre für die Zukunft sichern und den Kollaps verhindern.
Versachlichung in der Umweltdebatte
In diesen Prinzipien betont er etwa den Wert und die Wechselwirkung der kontinuierlichen Umweltbildung oder die Bedeutung von Bürgerbeteiligungen und -befragungen, die Vertrauen bilden und ein gemeinsames Verständnis zur Problemlösung schaffen könnten. Gleichwohl sieht Rockström auch das Problem wichtiger Zielkonflikte – wie etwa der Nahrungsmittelproduktion und der Biodiversität -, die nicht gleichzeitig gelöst werden könnten. Bottermann: „Rockström hat wesentlich und international anerkannt zu einer Versachlichung in der Umweltdebatte und einer Prioritätensetzung von Handlungsfeldern im Umwelt- und Naturschutz beigetragen.“
Wegweiser für Entscheider in Politik, Wirtschaft oder Gesellschaft
Zwar liefere Rockström mit seinen Arbeiten „keinen Masterplan für die nachhaltige Entwicklung“. Kritisch habe er aber planetare Grenzen identifiziert, innerhalb derer die Menschheit den Pfad für ihre zukünftige Entwicklung und ihr Wohlergehen wählen könne, und so eine wichtige Grundlage dafür geschaffen. Seine Arbeiten könnten Entscheidern in Politik, Wirtschaft oder Gesellschaft helfen, Spielräume menschlichen Handelns und zukunftsfähiger Entwicklung zu definieren. Bottermann: „Ein Wegweiser in Richtung eines sicheren Aktionsraumes im Erdsystem, dessen definierte Grenzen wir nicht verlassen dürfen.“ Rockströms Ansätze flössen mittlerweile in viele politische Konzepte zur Zukunftsfähigkeit des Planeten ein.
Rockström: Hoffnungsvoll vor UN Generalversammlung in New York
Selbst blickt Rockström hoffnungsvoll auf die in wenigen Tagen in New York stattfindende Generalversammlung der Vereinten Nationen, bei der die Ziele für eine nachhaltige Entwicklung des Planeten zementiert werden sollen: „Die Welt hat die riesige Chance, die globalen Risiken anzugehen und für gerechte Lösungen zu sorgen. Mit Leidenschaft und Engagement können wir die richtigen Rahmenbedingungen für ein auch langfristiges Wohlergehen der Menschheit in den Grenzen des Planeten schaffen.”
Über zwanzigjährige wissenschaftliche Tätigkeit
Der globale Hydrologe und Agrarwissenschaftler Rockström studierte Bodenkunde und Hydrologie in Uppsala und Landwirtschaft am Institut Nationale Agronomique in Paris. In der Folge erweiterte er sein Forschungsfeld auf globale Nachhaltigkeitswissenschaft und wurde promoviert am Department Systemökologie der Universität Stockholm, Schweden, wo er zum Thema „Systemökologie und Natürliches Ressourcenmanagement“ geforscht hatte. Er ist Professor für Wassersysteme und Globale Nachhaltigkeit an der Universität Stockholm und war „Visiting Professor“ an der Beijing Normal University, China. Er leitete Future Earth, den internationalen Zusammenschluss globaler Umweltforschung unter Leitung des Internationalen Wissenschaftsrates (ICSU) und anderer Partner. Er ist Vorstand der Earth League und des Arctic Resilience Assessment des Arktischen Rats. Zudem steht er der EAT-Initiative für Nahrung, Gesundheit und Nachhaltigkeit sowie dem Wasser-, Land- und Ökosystem-Programm der Consultative Group for International Agricultural Research (CGIAR) vor. Von 2004 bis 2007 war er leitender Direktor des Stockholm Environment Institutes. Seit 2007 ist er Direktor des Stockholm Resilience Centre. Während seiner über zwanzigjährigen wissenschaftlichen Tätigkeit befasste er sich unter anderem mit inter- und transdisziplinären Themen zum globalen Wasserressourcen- und Landnutzungsmanagement sowie der sozio-ökologischen Resilienz und globalen Stoffkreisläufen.