Oranienbaum. Die Wolken spielen mit dem Licht der Sonne. Immer mal wieder erreichen ein paar Strahlen die schier endlos wirkende 800 Hektar große Weidelandschaft der DBU-Naturerbefläche Oranienbaumer Heide. In dem Wechselspiel des Lichts glänzt das Fell der schwarzen Heckrinder. Die Tiere mit den imposanten Hörnern stören sich nicht an dem Wind und den Regenschauern und schauen entspannt kauend zu dem Geländewagen von Christiane Hönicke. Ähnlich unbeeindruckt vom Wetter beobachtet die 36-jährige mit tief ins Gesicht gezogener Kapuze ihre Schützlinge: 55 Heckrinder und 36 Konikpferde betreut die Biologin der Primigenius Köthener Naturschutz und Landschaftspflege seit 2018 in der Oranienbaumer Heide – auf der größten Ganzjahresweide in Mitteldeutschland.
Ganzjahresbeweidung wichtig für die Landschaftspflege im Nationalen Naturerbe
Der ehemalige Truppenübungsplatz bei Dessau mit seiner Besenheide, den Sandmagerrasen und seltenen Vogelarten wie dem Ziegenmelker ist Teil des Biosphärenreservates Mittelelbe und des Nationalen Naturerbes. Die Fläche ist dem Naturschutz gewidmet und gehört seit 2008 der gemeinnützigen Tochtergesellschaft der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU), dem DBU Naturerbe. Hönicke ist Teil des Primigenius-Teams, das die Heckrinder und Koniks betreut, die das ganze Jahr auf der rund sechs Kilometer langen und etwa zweieinhalb Kilometer breiten Weide leben. „Ohne die Hilfe der Tiere würde die Fläche verbuschen und sich zu einem Wald entwickeln. Als Weidetierhalter haben wir eine besondere Pflegeverantwortung beispielsweise für den basenreichen Sandtrockenrasen hier, der dreiviertel des Gesamtvorkommens in Sachsen-Anhalt abbildet“, erläutert Hönicke. Wie wirkungsvoll die Beweidung im Sinne des Naturschutzes ist, zeigen unter anderem die wachsenden Brutvogelbestände der Ziegenmelker. Als das DBU Naturerbe die Fläche 2008 übernahm, zählten Forschende der Hochschule Anhalt 10 Reviere der selten gewordenen Nachtschwalbe, 2022 waren es 163. „Bevor wir mir der Beweidung angefangen haben, wuchs Landreitgras flächig brusthoch und es gab wenig Offenboden. Die Erhaltungszustände im Offenland haben sich deutlich verbessert“, freut sich Hönicke und zeigt auf eine Vergleichsfläche, auf der an der einen Zaunseite die Herden den Magerrasen kurzhalten und auf der anderen Seite heute noch das Landreitgras wuchert.
Koniks durchstreifen die 800 Hektar im Winter zusammen als eine Herde
Hönicke schaut auf ihr Handy. Da einige Tiere GPS-Sender um den Hals tragen, kann sie mithilfe einer App sehen, wo sich die Pferde und Rinder auf der Weide bewegen. „Im Durchschnitt legen die Koniks am Tag zwölf Kilometer und die Heckrinder rund acht Kilometer zurück“, weiß Hönicke. Jeden Tag schauen die Primigenius-Mitarbeitenden nach dem Rechten, auch am Wochenende. Hönicke kennt ihre Tiere gut, viele nennt sie beim Namen. Da gibt es beispielsweise die beiden Anführer der beiden Konikherden, die sterilisierten Hengste Gagarin und Matthias. „Matthias ist von den beiden der größere Macho. Bei den Stuten gibt es sehr treue Seelen, aber auch ein paar Wechselwählerinnen“, weiß Hönicke. In der kalten Jahreszeit ziehen die beiden Herden gemeinsam über die Fläche. Das ist bei den Heckrindern anders: Sie sind zersprengter unterwegs und insgesamt weniger zutraulich.
Zaunkontrolle macht viel Arbeit
„Mein Job ist wunderbar abwechslungsreich und niemals langweilig“, schmunzelt Hönicke. Wenn sie im Herbst und Winter auf der Fläche ist, nimmt sie ein, zweimal die Woche eine Astschere oder den Freischneider zum Arbeitseinsatz mit, um junges Gehölz und Büsche zurückzuschneiden. „Sollten im Winter die Wasserstellen einfrieren oder im Sommer austrocknen, müssen wir Wasser fahren“, erläutert Hönicke weitere Arbeiten. Regelmäßig müssten auch Zäune repariert werden. „Im Sommer sind wir bis zu sechs Mal auf einer Strecke von 35 Kilometern unterwegs, um den Aufwuchs unter den Elektro-Zäunen zu mähen, damit die Technik funktioniert. Das macht wirklich viel Arbeit“, so Hönicke. Besonders am Herzen liegt der Biologin die Öffentlichkeitsarbeit. Einmal im Monat organisiert sie Veranstaltungen wie Führungen für Kinder und Erwachsene. Sechs bis achtmal im Jahr kümmert sie sich auch um die Fleischbestellungen, wenn einzelne Heckrinder aus der Herde genommen werden. Die Liste der Abnehmerinnen und Abnehmer beispielsweise für Wurst sei lang. „Der limitierende Faktor bei der Fleischvermarktung sind die Landfleischereien, die nur wenige freie Termine im Jahr anbieten können“, sagt Hönicke. Dass die Arbeit auf der Ganzjahresweide viele Jahre durch Forschungsprojekte der Hochschule Anhalt begleitet wurde, empfindet sie als Gewinn - genauso wie die Zusammenarbeit mit den Mitarbeitenden des Bundesforstbetriebes Mittelelbe und im DBU Naturerbe oder den beteiligten Behörden. Naturschutz sei eine Gemeinschaftsaufgabe. Dass dieses Projekt mithilfe aller Partner gut läuft, unterstreicht auch die Auszeichnung zum UN-Dekadeprojekt zur Wiederherstellung von Ökosystemen in diesem Jahr. Hönicke sieht die Konik-Herde antraben. Zielstrebig ziehen sie in einer langen Reihe an der Biologin vorbei. „Sie haben gerade einen Plan“, meint Hönicke. Sie weiß: „Zur Mittagszeit dösen sie gerne an einer windgeschützten Stelle.“ Als letztes verschwindet der Hengst Matthias aus dem Blickfeld, der als Schlusslicht über das Wohl der Herde wacht.
Tiere und Natur laden zum Verweilen ein: Wer die Herden beobachten, oder besondere Vogelstimmen hören möchte, kann die DBU-Naturerbefläche von den freigegebenen Wegen aus erleben.