Osnabrück. Der Zustand der Artenvielfalt verschlechtert sich dramatisch, so fassten es Wissenschaftler im jüngsten Weltbiodiversitätsbericht zusammen. „Das Artensterben schreitet um uns herum lautlos voran. Es wird höchste Zeit, dass wir uns diesem Thema stärker annehmen“, sagt Alexander Bonde, Generalsekretär der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU) zum Internationalen Tag für die biologische Vielfalt am Sonntag, 22. Mai.
Massensterben wie im Zeitalter der Dinosaurier
„Das massive Artensterben hat mittlerweile Dimensionen wie zuletzt im Dinosaurier-Zeitalter erreicht“, so Bonde. Der Mensch zerstöre die gemeinsame Lebensgrundlage. Heute sterben nach Aussage des Weltbiodiversitätsrates dutzende bis hunderte Male mehr Tiere- und Pflanzenarten aus als im Durchschnitt der vergangenen zehn Millionen Jahre. 75 Prozent der Landfläche und 66 Prozent der Meere sind stark verändert. Über 85 Prozent der Feuchtgebiete sind weltweit bereits verloren.
Bonde: „Wir brauchen mehr Schutzgebiete“
Auch in Deutschland tragen Flächenfraß und intensive Landnutzung dazu bei, dass Lebensräume verschwinden. Damit gerät auch die biologische Vielfalt unter Druck. Lebensraumschutz ist immer auch Artenschutz. Die gemeinnützige Tochter der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU), das DBU Naturerbe, hat 71 Flächen mit rund 70.000 Hektar vom Bund übernommen und sie dem Naturschutz gewidmet – als Refugien für Artenvielfalt. Die Ausweisung von inzwischen 164.000 Hektar Nationalen Naturerbes seitens des Bundes gilt als Meilenstein im deutschen Naturschutz. „Wir helfen der Artenvielfalt, indem wir schnellstmöglich mehr Schutzgebiete ausweisen und gut ausgestatteten Naturschutz vorantreiben“, betont Bonde. Die Europäische Union (EU) plant einen Ausbau der Natura 2000-Schutzkulisse auf 30 Prozent an Land und auf See bis 2030. Deutschland hinkt der Entwicklung noch hinterher, wie eine laufende EU-Klage zeigt.
Klimawandel verstärkt Verlust der biologischen Vielfalt
Der Klimawandel verstärkt den Verlust der biologischen Vielfalt. „Indem wir das Klima schützen, helfen wir auch der Artenvielfalt, wenn wir beispielsweise unsere Moore wiedervernässen. Lösungen für beide Krisen müssen verstärkt zusammengedacht werden“, so Bonde. Mehr Wasser in der Landschaft zu halten, ist eine Leitlinie im DBU Naturerbe. „Zurzeit sind wir etwa im Feuchtgebiet auf der DBU-Fläche Gelbensander Forst bei Rostock und im stark entwässerten Moor in Borkenberge im Münsterland dabei, Wasserstände zu heben, indem wir Gräben verschließen“, erklärt Bonde. Die Maßnahmen erhielten auch die Habitate geschützter Arten wie Moorlilie oder Großer Moosjungfer.
Zugvögel wie Baumpieper und Braunkehlchen, die von Afrika zum Brüten nach Deutschland zurückkommen, sind durch Klimawandel, ungebremsten Flächenfraß und intensiver Landwirtschaft mehrfach betroffen. Aufgrund der Erderwärmung gerät das evolutionär getaktete Zusammenspiel aus Nahrungsverfügbarkeit und Rückkehr in die Brutgebiete durcheinander: „Die Insekten-Aktivität verschiebt sich durch steigende Durchschnittstemperaturen immer weiter ins Frühjahr, so dass insektenfressende Vogelarten wie etwa Trauerschnäpper oder Baumpieper, der eine Charakterart auf DBU-Naturerbeflächen ist, dem Insekten-Buffet buchstäblich hinterherfliegen“, erklärt Tobias Leikauf, wissenschaftlicher Mitarbeiter im DBU-Naturerbe. Zudem sinke nicht nur die Artenzahl der Insekten seit Jahren, sondern auch die Menge.
Wenige Tiere und Pflanzen profitieren von Entwicklung
Zu den Profiteuren des Klimawandels gehörten Vogelarten wie der buntgefiederte Bienenfresser, die mit den höheren Durchschnittstemperaturen gut klarkommen. Nicht nur auf der DBU-Naturerbefläche Oranienbaumer Heide in Sachsen-Anhalt erholt sich der Bestand des Wiedehopfes, dem Vogel des Jahres 2022, durch die aktive Einflussnahme des Menschen: Nisthilfen sichern ihren Bruterfolg. Vorteile verschaffen sich auch Arten, die sich gut anpassen wie die Blauflüglige Ödlandschrecke. Die Heuschrecke mag selten gewordenen Magerrasen, breitet sich nun alternativ in Nordrhein-Westfalen entlang von Bahntrassen aus. „Die wenigen Arten, die profitieren, dürfen aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Klimawandel eine Vielzahl von Arten enorm gefährdet – letztlich auch den Menschen“, so Leikauf.