DBU-Agrarexperte fordert eine „effizientere Stickstoffdüngung“

DBU-Förderinitiative will Stickstoffverluste verringern – Hintergrundinterview mit Prof Dr. Werner Wahmhoff

Osnabrück. In den vergangenen 100 Jahren hat der Mensch den globalen Stickstoffhaushalt durch den Einsatz von industriell hergestelltem Dünger maßgeblich verändert: Einerseits sichert er die Nahrung der in diesem Zeitraum von zwei auf sieben Milliarden Menschen angewachsenen Weltbevölkerung, andererseits führen damit verbundene der Stickstoffverluste zu negativen Veränderungen von Ökosystemen und tragen zum Klimawandel bei. Prof. Dr. Werner Wahmhoff, Leiter der Abteilung Naturschutz und Umweltforschung der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU) und stellvertretender Generalsekretär: „Allen voran muss die organische Düngung mit Gülle und Stallmist erheblich verlustärmer und damit nachhaltiger gestaltet werden!“ Mit einer Förderinitiative will die Deutsche Bundesstiftung Umwelt (DBU) jetzt einen innovativen Umgang mit Stickstoff in der Landwirtschaft vorantreiben. Unter dem Titel „Reduzierung von Stickstoffemissionen“ können Unternehmen, Verbände oder Forschungseinrichtungen Fördergelder für modellhafte Vorhaben beantragen.

Prof. Wahmhoff, 2011 ist die Weltbevölkerung auf über sieben Milliarden Menschen angewachsen. Tendenz: steigend! Was bedeutet das für die Landwirtschaft?

Wahmhoff: „Landwirte müssen immer größere Mengen an Nahrungsmitteln produzieren. Dabei spielt Stickstoff eine wichtige Rolle. Als Nährstoff bildet er eine der wichtigsten Lebensgrundlagen der Menschen. Er ist der Motor allen biologischen Wachstums, weil er ein zentraler Eiweißbaustein ist. Um die Weltbevölkerung ausreichend mit Eiweiß versorgen zu können, müssen pro Jahr um die 25 Millionen Tonnen Stickstoff in der menschlichen Nahrung enthalten sein. Jeder Mensch braucht circa 210 Gramm Eiweiß am Tag, die er über die Nahrung aufnehmen muss. Zwar besteht die Luft auch zu 78 Prozent aus Stickstoff, aber wir können den Stoff leider nicht beim Atmen aufschließen. So atmen wir ihn ein und wieder aus – ohne dass etwas passiert.“

Gilt das für alle Lebewesen?

„Auch die meisten Pflanzen können Luftstickstoff nicht aufnehmen und müssen sehen, wo sie ihren Stickstoff herbekommen, um zu wachsen. Nur so genannte Leguminosen, Hülsenfrüchte wie Erbsen und Bohnen, sind in der Lage, Luftstickstoff in reaktive Stickstoffverbindungen umzuwandeln, indem sie eine Lebensgemeinschaft mit bestimmten Bakterien eingehen. Alle anderen höheren Pflanzen können Stickstoff nur in Form von Ammonium oder Nitrat aufnehmen. Diese beiden Stoffe gelangen in den Boden, indem sich organische Substanzen - tote Pflanzen oder Kot und Harn - abbauen.“

Weshalb macht uns der Stickstoffkreislauf überhaupt Probleme?

„Mittlerweile bringen wir Menschen weltweit jedes Jahr rund 100 Millionen Tonnen Stickstoff neu in die belebte Welt hinein – zusätzlich in einen Kreislauf, in dem pflanzenverfügbarer Stickstoff immer knapp ist und damit begrenzend für das Pflanzenwachstum. Global betrachtet haben wir den biologischen Stickstoff-Kreislauf mengenmäßig mehr als verdoppelt! Das war nur möglich, weil vor etwas mehr als hundert Jahren die Forscher Fritz Haber und Carl Bosch mit der Ammoniaksynthese ein Verfahren entwickelt haben, um Luftstickstoff zu reaktiven Verbindungen umzuwandeln. Damit wird heute im großen Stil mineralischer Dünger hergestellt. Allerdings ist die Effizienz beim Düngen bisher nicht zufriedenstellend. Dies gilt nicht nur für die so hergestellten mineralischen Stickstoffdünger, sondern noch mehr bei der Anwendung von organischen Düngern wie Gülle und Stallmist. Weniger als die Hälfte des darin enthaltenen Stickstoffs finden wir später in den geernteten Nahrungs- und Futtermitteln wieder. Der Grund dafür ist die geringe Stabilität pflanzenverfügbarer Stickstoffverbindungen. Es gibt eine Reihe von Verlustquellen.“

Wo und wie geht der pflanzenverfügbare Stickstoff verloren?

„Bereits in den Ställen, aber auch in Güllelagern und Miststapeln und schließlich bei der Ausbringung auf dem Feld wird das geruchsintensive Ammoniak gebildet, welches als Gas in die Luft entweicht. Ammoniakverluste treten auch beim Einsatz von mineralischen Harnstoffdüngern auf. Im Boden setzen Mikroorganismen stickstoffhaltige Substanzen vor allem zu Nitrat um. Wenn dieses nicht zeitnah von den Pflanzen aufgenommen wird, kann es bei hohen Niederschlägen ins Grundwasser verlagert werden oder über oberflächlichen Abfluss in Bäche und Seen gelangen. Schließlich können Mikroorganismen bei Sauerstoffmangel im Boden Lachgas bilden.“

Welche Folgen hat das für die Umwelt?

„Lachgas entweicht in die Atmosphäre und trägt dort 300fach stärker als das CO2 zum Klimawandel bei. Das in die Luft gelangte Ammoniak wird als Staub oder mit dem Regen wieder auf den Boden zurückgeführt. In Deutschland gelangen so rund 30 kg Stickstoff auf jeden Hektar, und zwar nicht nur auf Äcker und Weiden, sondern auch auf Lebensräume, die nur sehr wenig Stickstoff vertragen. Das sind beispielsweise Heiden oder Moore. Schon bei der oben genannten Stickstoffmenge werden eine ganze Reihe der für diese Lebensräume typischen Pflanzenarten durch konkurrenzkräftigere verdrängt, die den zugeführten Stickstoff besser verwerten können. Auch das in Oberflächengewässer gelangte Nitrat verändert die Zusammensetzung der dort siedelnden Pflanzengemeinschaften hin zu konkurrenzstärkeren Arten und fördert obendrein das Algenwachstum.“

Gibt es neben der Gefahr für die biologische Vielfalt weitere Nebenwirkungen?

„Nitrat kann ins Grundwasser verlagert werden und so zu höheren Gehalten im Trinkwasser führen. Wird der Grenzwert von 50 mg pro Liter überschritten, müssen die Wasserversorger Aufbereitungsmaßnahmen ergreifen, um vorsorglich Gesundheitsgefahren für Säuglinge und Menschen mit entarteter Darmflora abzuwenden.“

Könnten wir noch ohne mineralischen Dünger auskommen?

„Nein, weltweit betrachtet können wir nicht mehr ohne mineralischen Dünger auskommen, wenn alle Menschen ausreichend ernährt werden sollen. Die Versorgung von dreieinhalb Milliarden Menschen basiert heute auf mineralischem Stickstoff, der aus dem Haber-Bosch-Verfahren kommt. Die häufig zu lesenden Vorschläge, mehr stickstoffsammelnde Leguminosen anzubauen und sehr viel weniger Fleisch zu essen, lösen das Problem nicht. Reis, Weizen, Ölfrüchte und Kartoffeln lassen sich in der Ernährung nur sehr begrenzt durch die Leguminosen Erbsen, Lupine oder Sojabohne ersetzen. Zudem geht auch in einer Fruchtfolge nach dem Anbau von Leguminosen ein Teil des gesammelten Stickstoffs verloren und steht der Folgefrucht nicht zur Verfügung. Werden die Tierbestände drastisch reduziert, fehlt der organische Dünger. Und ein nahezu vollständiges Recycling des Stickstoffs in der menschlichen Nahrung ist angesichts der Tatsache, dass die Mehrheit der Menschheit in Städten lebt, nicht sehr realistisch. Ganz abgesehen davon bestehen erhebliche gesellschaftliche Vorbehalte gegen den Einsatz von Klärschlämmen, in denen der Stickstoff dann enthalten ist.“

Im ökologischen Anbau wird ausschließlich organisch gedüngt.

„Im Biolandbau ist Stickstoff trotz des Leguminosenanbaus nur begrenzt verfügbar. Das ist einer der wesentlichen Gründe dafür, dass in Deutschland die Erträge gerade mal die Hälfte des konventionellen Anbaus erreichen. Dabei ist zudem noch zu berücksichtigen, dass der Biolandbau jährlich die oben erwähnten 30 Kilogramm an mineralischem Stickstoff pro Hektar und Jahr aus der Luft erhält, die ja ganz überwiegend aus der konventionellen Tierhaltung stammen.“

Wo besteht dringender Handlungsbedarf?

„Es gibt zweifachen Handlungsbedarf. Die Düngermenge muss gerade so hoch sein, um den Bedarf der Nutzpflanzen zu decken. Es gilt, die Vorhersage der optimalen Düngermenge weiter zu verbessern. Dadurch werden hohe Flächenerträge erzielt und folglich so wenig Fläche wie möglich beansprucht. Andererseits müssen wir die Stickstoffverluste bei der Düngung verringern!“

Was sollte das Ziel sein?

„Die Gesamtbilanz für Deutschland weist Stickstoffzufuhren von rund 200 Kilogramm pro Hektar und Jahr und einen Verlust von rund 100 Kilogramm aus. Das politische Ziel der Nationalen Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung ist es, die Stickstoff-Verluste pro Hektar auf 80 Kilogramm zu senken. Das ist schon schwer genug. Als langfristig realisierbares Ziel sind 50 Kilogramm denkbar, vorausgesetzt, alle bekannten und zu erwartenden technischen Innovationen werden konsequent genutzt. Das sollte das Ziel sein.“

Wo treten denn die größten Stickstoffverluste auf?

„Beim organischen Dünger, der aus der Tierhaltung stammt. Grob vereinfacht kann man sagen, dass die Hälfte des Stickstoffs in den Ausscheidungen der Tiere später nicht wieder in die Pflanzen auf dem Acker gelangt. Schon im Stall und bei der Lagerung von Gülle und Stallmist geht Stickstoff verloren. Weitere Verluste entstehen bei der Ausbringung auf den Feldern. Der dabei entstehende Geruch ist auf das entweichende Ammoniak zurückzuführen.“

Setzt hier die DBU-Förderinitiative an?

„Es gibt viele kleine Rädchen im System, und man muss an jedem drehen, um die Stickstoffverluste spürbar zu senken. Bisher haben wir uns in der Fördertätigkeit meist um die mineralische Düngung und deren Optimierung gekümmert. Hier gibt es weiteren Forschungs- und Entwicklungsbedarf, z.B. bei der kleinräumigen Verteilung der Dünger. Vorrangig wollen wir aber die Verlustminderung bei der organischen Düngung vorantreiben!“

Wie könnte das funktionieren?

„Ich bin mir ziemlich sicher, dass wir ohne eine Aufbereitung der tierischen Exkremente, in welcher Form auch immer, die angestrebte Verlustminderung nicht erreichen werden. Die heutigen Verfahren haben keine Zukunft. Schon allein die Nährstoffüberschüsse in den Regionen mit starker Tierhaltung werden eine Aufbereitung zumindest eines großen Teils der organischen Dünger notwendig machen, damit die darin enthaltenen Nährstoffe sinnvoll in den Ackerbauregionen als Dünger eingesetzt werden können.“

Sollte man dann auf organischen Dünger nicht ganz verzichten?

„Nein, ganz so einfach ist es nicht. Eine bestimmte Menge an organischen Düngern ist unbedingt notwendig, um ein reiches Bodenleben sicherzustellen und eine hohe Bodenfruchtbarkeit zu gewährleisten.“

Welche Tipps geben Sie einem Hobbygärtner?

„Wenn man ökologisch orientiert ist, dann sollte man Stallmist von einem Bauern in der Nähe holen. Wer es einfach und schnell haben möchte, kauft vermutlich den Dünger aus der Tüte im Gartencenter. Aber dabei muss man die genaue Dosierung beachten! Leider werden in manchen Schreber- und Vorgärten unbedacht exorbitante Düngermengen ausgebracht. Oft würden die Pflanzen mit erheblich weniger Dünger genauso gut aussehen und die Umwelt wäre weniger belastet!“

Sollten vorher Bodenproben genommen werden?

„Nur in besonderen Fällen. In der Regel reicht es vollkommen, die Hinweise auf der Düngerpackung korrekt umzusetzen. Dann merkt man auch, mit wie wenig Dünger man auskommen kann.“

Wird man die Stickstoff-Verluste eines Tages ganz vermeiden können?

„Das ist schon rein physikalisch nicht möglich. Aber wenn es gelänge, die Verluste um die Hälfte zu verringern, wäre der Umwelt schon sehr geholfen! Mehr halte ich für nicht erreichbar.“

DBU-Agrarexperte Prof. Dr. Werner Wahmhoff: „Allen voran muss die organische Düngung mit Gülle und Stallmist erheblich verlustärmer und damit nachhaltiger gestaltet werden.“
©

Medien & Infos