Text: Klaus Jongebloed
Osnabrück. Angefangen hat alles 1896. Dagmar Fritz-Kramers Urgroßvater Sylvester wagte damals mit seinen Mannen (Frauen waren tatsächlich nicht dabei) den ersten Spatenstich für eine Betriebsgründung. Ein Schwarz-Weiß-Foto ist als historisches Zeugnis geblieben. Seitdem ist aus einer klassischen Landzimmerei im beschaulichen Erkheim im Allgäu in nun vierter Generation der mittelständische Fertigholzhaus-Betrieb Bau-Fritz GmbH & Co. KG, kurz Baufritz, gewachsen. Noch mehr: Er hat sich bundesweit zum Motor einer Branche gemausert, wurde zur Inspiration für eine Bauwende – im Zeichen von mehr Klima- und Ressourcenschutz und mit einem Repertoire von Neubauten über Sanierungen bis zu Aufstockungen. Am 29. Oktober erhält Baufritz-Geschäftsführerin und Diplom-Ingenieurin Dagmar Fritz-Kramer dafür in Lübeck den Deutschen Umweltpreis der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU), überreicht von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier.
Ein Schwarz-Weiß-Foto dokumentiert den magischen Moment
Die Männer schauen stoisch in die Kamera. Die Gesichter ernst, aber auch geprägt von Entschlossenheit. Manche tragen Hut, andere Schlägermützen, teils keck auf dem Kopf. Einige halten ihre Werkzeuge in der Hand, alle haben sich in Schale geworfen für diesen großen Augenblick. Zwei sitzen. Einer davon ist Sylvester Fritz, in der Linken eine Urkunde. Er ist, wenn man so will, der Chef vom Ganzen. Und das Schwarz-Weiß-Foto Ende des 19. Jahrhunderts dokumentiert einen magischen Moment. Es ist der Beginn der Bau-Fritz GmbH & Co. KG, wie das Unternehmen mittlerweile heißt – und einer Betriebsgeschichte, die im Laufe von vier Generationen und nach vielen Auszeichnungen in den vergangenen Jahren jetzt, man darf sagen: einen weiteren Höhepunkt erlebt. Denn am 29. Oktober wird in Lübeck das, was die rund 500 Baufritz-Mitarbeitenden unter der Geschäftsführung von Sylvester Fritz‘ Urenkelin Dagmar Fritz-Kramer durch energieeffizientes und ökologisches Bauen mit Holz für Umweltschutz auf den Weg gebracht haben, mit dem Deutschen Umweltpreis der Deutschen Bundesstiftung Umwelt gewürdigt – mit insgesamt 500.000 Euro eine der höchstdotierten Umweltauszeichnungen Europas. Diplom-Ingenieurin Fritz-Kramer teilt sich den Preis mit Klimawissenschaftlerin Prof. Dr. Friederike Otto.
Per Autobahntunnel übers Betriebsgelände
Der Trenchcoat flattert im Wind. Wer Dagmar Fritz-Kramer beim Gang übers Baufritz-Betriebsgelände folgen will, muss sich sputen. Bei der Größe des Firmenareals ist das aber auch kein Wunder. Rund zwölf Hektar umfasst die Fläche – Verwaltungsgebäude, Musterhäuser, einen veritablen fünfgeschossigen Holzkopfbau, Produktionshallen. Um von einem zum anderen Ende zu gelangen, ist ein Tunnel unter der Autobahn A 96 zu durchqueren. Möglich wurde eine solche Ausdehnung durch den Firmensitz in Erkheim. Das 3000-Einwohner-Städtchen im Allgäu – die Einheimischen sprechen auch von der „Marktgemeinde“ Erkheim, weil der Ort 1906 Marktrecht erhielt – hat die Erweiterung unterstützt. Andernorts wären mittelständische Firmen vermutlich froh über solche Optionen.
Schildersprüche wie ein Philosophenpfad
Der Weg zu den Fertigungshallen wirkt wie ein Philosophenpfad, an dessen Rand Schilder mit Sprüchen platziert sind. Sie regen zum Nachdenken an, verraten zugleich etwas von der Firmen-DNA dieses Familienbetriebs: „Egal was Du tust, tu es mit ganzem Herzen“, heißt es etwa. Ein anderes Schild lautet: „Im Wandel liegt die Beständigkeit“. Und zum Beispiel: „Verantwortlich ist man nicht nur für das, was man tut, sondern auch für das, was man nicht tut“ oder: „Optimismus bedeutet, in jeder Schwierigkeit eine Gelegenheit zu sehen.“ Die Entschlossenheit der ersten Stunde in den Gesichtern der Männer um Sylvester Fritz ist auch heute geblieben; Beharrlichkeit, Kreativität, die Sorge um den Einklang mit Gesundheit, Umwelt und Natur wurden zu Baufritz-Markenzeichen – ebenso wie die mehr als 40 Patente und Schutzrechte im Fertigholzbau. Von Beginn an geblieben ist vor allem auch: Holz und insbesondere heimisches Fichtenholz als zentraler Baustoff – ein Klimaschützer par excellence. Denn Holz zählt zu den wenigen Rohstoffen, die nicht nur nachwachsen und der Atmosphäre dabei klimaschädliches Kohlendioxid (CO2) entziehen, sondern überdies noch den darin enthaltenen Kohlenstoff langfristig speichern.
Auf fünf Etagen reckt sich ein Holzkopf in den blauen Himmel
Sinnbildlich für neue Ideen und Durchhaltekraft steht in Sichtweite des Philosophenpfades ein Holzgebäude in Kopfform, das sich über fünf Etagen in den blauen Himmel reckt. „Das ist gewissermaßen ein Think Tank für Architekten“, sagt Fritz-Kramer. „Auch externe Fachleute werden eingeladen.“ Kluge Köpfe rauchen ebenso im Baufritz-Planungsbüro, Arbeitsplatz der Bauzeichnerinnen und Bauzeichner und dem Pendant zum Holzkopf-Think Tank. „Alle Häuser und Bauteile werden digital gezeichnet“, erläutert die Baufritz-Geschäftsführerin. „Und die Zeichnungen der Architekten werden in vorfertigbare Teile zerlegt.“ Nützlich etwa bei der Sanierung von Gebäudebestand sind 3-D-Modelle, die unter anderem mithilfe von Drohnen erstellt werden. Daraus entstehen sogenannte digitale Zwillinge für Bauteile, die über die Bestandsbauten gestülpt werden können – und so für mehr Dämmung und Energieeffizienz sorgen. Fritz-Kramer: „Wir packen ein bestehendes Haus ein, wie einst Künstler Christo. Aber eben nicht mit Folie, sondern mit Holzbauteilen aus Dächern, Decken und Wänden.“ Die Bauwelt werde immer digitaler. Eigentlich. Denn beim Stichwort „Digitalisierung“ rollt die Diplom-Ingenieurin mit den Augen und ist zuweilen der Verzweiflung nahe: „Digitale Bauanträge sind zum Beispiel in Großbritannien seit Jahren gang und gäbe.“ In Deutschland: Fehlanzeige. „Hier hantieren wir noch mit Mappen“, so Fritz-Kramer.
„Wir können nicht so weitermachen wie bisher“
Als die 52-Jährige anhand eines kleinen Holzmodells, in der Rechten ein Dachteil und in der Linken eine Gebäudehülle, das Christo-Prinzip von Baufritz erklärt, wird sie grundsätzlich und redet dabei der eigenen Branche ins Gewissen. So mancher Spruch am „Philosophenpfad“ ergibt da plötzlich einen tieferen Sinn. „Wir können nicht so weitermachen wie bisher“, beginnt sie. Der Deutsche Umweltpreis der DBU sei auch deshalb „so wertvoll, weil er ein Schlaglicht auf ein enorm wichtiges Thema wirft“ – inmitten von Klimakrise, Energiewende, Russlands Krieg gegen die Ukraine und den damit einhergehenden Sorgen um Energiesicherheit. Fritz-Kramer: „Wir würden eine erhebliche CO2-Reduzierung schaffen, wenn wir uns endlich trauen, das Bauen neu zu denken – sowohl beim Umgang mit Ressourcen als auch mit dem alten Gebäudebestand hierzulande.“
Worst performing buildings: ein Schlüssel zum Erreichen von Wärme- und Energiewende
Der Baufritz-Geschäftsführerin geht es dabei nicht allein um den riesigen Müllberg, den die Bauindustrie durch Verschnitt, Abriss und Umbau Jahr für Jahr in Deutschland verursacht. Vielmehr: Von den rund 21,4 Millionen Gebäuden in Deutschland, die laut Umweltbundesamt zu 40 Prozent der bundesweit jährlich rund 746 Millionen Tonnen Emissionen klimaschädlicher Treibhausgase beitragen, gehören fast zwei Drittel zum alten Eisen. Fachleute sprechen wenig schmeichelhaft von den „worst performing buildings“ – dem größten und zugleich energetisch schlechtesten Gebäudebestand. Kaum Dämmung, Energieschleudern, noch dazu oft gesundheitlich bedenklich für den Menschen. Fritz-Kramer: „Ökologie, Nachhaltigkeit und vor allem Baubiologie waren in der nachkriegstypischen Bauweise Fremdworte.“ Die Branche habe allzu lange „aus dem Vollen geschöpft“, fährt sie fort. Kies, Sand, fossile Energieträger wie Erdöl zur Styropor-Dämmung: Alles schien im Überfluss vorhanden. Doch die Lage habe sich dramatisch verändert, so Fritz-Kramer. Sand sei so rar, dass er mittlerweile aus dem Meer geholt werden müsse, auch die Kiesvorkommen gingen rasant zur Neige.
Eigene Abteilung Forschung und Entwicklung sowie mehr als zwei Dutzend Baubiologen
Trotz allem: Dagmar Fritz-Kramer, die mit ihrem Mann Klaus zwei Kinder hat, ist fest davon überzeugt, „dass wir die Wärme- und Bauwende packen können“. Dabei fühlt sie sich der Familientradition verpflichtet: Urgroßvater Sylvester legte mit Willen und Wagemut den Grundstein. Opa Johann kam auf die Idee, Hausteile statt auf der Baustelle in externen Hallen vorzufertigen. Und Vater Hubert, der übrigens bei der Preisverleihung in Lübeck dabei sein wird, hatte nach vielem Tüfteln den grandiosen Gedanken für die mittlerweile patentierte Baufritz-Dämmung aus Holzspänen, Soda und Molke. Fritz-Kramer, die nach einer Lehre das Abitur nachholte und anschließend studierte, setzt diesen Weg unbeirrt fort – unter anderem mit einer eigenen Abteilung Forschung und Entwicklung, aber auch mit mehr als zwei Dutzend Baubiologen im Betrieb und einem rigiden Zertifizierungsmechanismus, so dass Baustoffe auf gesundheitliche Unbedenklichkeit geprüft werden können.
Holzbauinitiative der Bundesregierung will klimaneutrales Bauen fördern
Wenn die zweifache Mutter an die eigene Kindheit zurückdenkt, kommen ihr verschiedene Bilder in den Sinn: der Klärteich im Garten, Jute statt Plastik, eine Kompost-Toilette statt Trinkwasserspülung, Warmwasser mithilfe schwarzer Schläuche auf dem Dach. „Wir waren die Hardcore-Ökos im Dorf“, erinnert sich die 52-Jährige und lacht. Wie es mit der Nachfolge im Familienbetrieb weitergeht? „Das halten wir bewusst offen“, sagt die Geschäftsführerin. „Mein Papa hat uns Kinder auch frei entfalten lassen.“ Dass Dagmar Fritz-Kramer und ihre 500 Mitarbeitenden mit ihrer Holzbau-Strategie offenbar ziemlich richtig liegen, hat auch die Politik erkannt: Im Sommer dieses Jahres brachte die Bundesregierung eine Holzbauinitiative mit acht Handlungsfeldern auf den Weg. Klimaneutrales Bauen sei möglich, hieß es. Holz solle künftig eine wichtigere Rolle beim Klimaschutz spielen – und es sei leicht, vielfältig einsetzbar, langlebig und wiederverwendbar.
Daten, Zahlen, Fakten, Hintergründe und Reportagen im DBU-Umweltpreis-Blog: https://www.dbu.de/umweltpreis/umweltpreis-blog/