Auf Kurs Elektromobilität

Deutscher Umweltpreis für Thomas Speidel – Ein Besuch
Symbiose von Technik und Natur: Inmitten grüner Landschaft hat der auf speicherbasierte Ladeinfrastruktur spezialisierte mittelständische Betrieb ads-tec Energy seinen Hauptsitz in Nürtingen am Neckar. Dessen Geschäftsführer Thomas Speidel erhält am 27. Oktober in Mainz den Deutschen Umweltpreis der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU), den er sich mit Moorforscherin Dr. Franziska Tanneberger teilt.
© ads-tec Energy

Text: Klaus Jongebloed

Osnabrück. Wer per Zug nach Nürtingen am Neckar fährt, passiert gewöhnlich auch den Stuttgarter Hauptbahnhof, inklusive Milliardengrab „Stuttgart 21“. Leichte Niedergeschlagenheit und Zweifel an deutscher Ingenieurkunst machen sich breit. In Nürtingen ändert sich das schlagartig, das „Ländle“ wird seinem Macher-Image doch noch gerecht. Besuch bei Thomas Speidel: dreifacher Familienvater, passionierter Segler, Elektrotechnik-Ingenieur, Gründer und Geschäftsführer von ads-tec Energy, Wegbereiter für mehr Tempo in der Elektromobilität – und diesjähriger Träger des Deutschen Umweltpreises der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU). Speidel teilt sich die mit 500.000 Euro zu Europas höchstdotierten Umwelt-Auszeichnungen zählende Ehrung mit Moorforscherin Dr. Franziska Tanneberger. Am 27. Oktober überreicht Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier den Preis in Mainz.

Seit 2015 hat der auf speicherbasierte Ladeinfrastruktur spezialisierte mittelständische Betrieb ads-tec Energy seinen Hauptsitz in Nürtingen nahe Stuttgart. Geschäftsführer Thomas Speidel (Bild) erhält dieses Jahr für innovative Entwicklungen beim Schnellladen von E-Fahrzeugen und damit mehr Tempo für Elektromobilität am 27. Oktober in Mainz den Deutschen Umweltpreis der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU), den er sich mit Moorforscherin Dr. Franziska Tanneberger teilt.
© Klaus Jongebloed | DBU

Friedrich Hölderlin und eine protzige Litfaß-Säule

An diesem Junitag ist Deutschland noch im EM-Fieber. Die Fußball-Europameisterschaft läuft, und das Nagelsmann-Team ist noch nicht ausgeschieden. Auch Nürtingen lässt sich nicht lumpen, bietet Großbild-Leinwände mit Neckar-Blick. Die 40.000-Einwohner Stadt, rund 30 Kilometer südöstlich von Stuttgart, rühmt sich ihres Dichtersohns Friedrich Hölderlin, der ab 1774 mit Mutter und Geschwistern viele Jahre hier lebte. Nürtingen empfängt seine Gäste mit einem eher unscheinbaren Bahnhof – als ob dieser Teil des Toto-Lotto-Ladens nebenan wäre. Beim Gang über die Europastraße hält man unweigerlich vor der Einrichtung des Kreisjugendrings Esslingen: Protzig präsentiert sich dort eine Litfaß-Säule – wie aus der Zeit gefallen. Später, im Gespräch mit Speidel, bekommt das noch Bedeutung. Die Plakate werben für Dudley Taft und seine „Guitar Kingdom-Tour 2024“ und eine „80’s Party – too hot to sleep“ im Schwarzen Keller. Leider schon vorbei, genau wie die „Punk-Rock-Musiknacht am 4. Mai – ein Eintritt Bändel für 4 Bands“.

Bereit für die Lieferung: Die auf speicherbasierte Ladeinfrastruktur spezialisierte ads-tec Energy in Nürtingen nahe Stuttgart produziert seine Schnellladesysteme für E-Fahrzeuge in Klipphausen bei Dresden (Bild). Geschäftsführer Thomas Speidel erhält für diese innovative Entwicklung am 27. Oktober in Mainz den Deutschen Umweltpreis der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU), den er sich mit Moorforscherin Dr. Franziska Tanneberger teilt.
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Grundlagen der Physik – und das große Ganze von Energiewende bis Netzausbau

Fernab von Bahnhof und Nürtingens fein herausgeputzter Fachwerk-Altstadt befindet sich Speidels Betrieb im Stadtteil Oberensingen im Gewerbegebiet Bachhalde – das Gebäude modern-kompakt mit viel Holzinterieur, lichtdurchflutet. Neben Nürtingen ist ads-tec Energy noch an anderen Standorten vertreten, darunter Köngen bei Esslingen, Klipphausen bei Dresden und Auburn im US-Bundesstaat Alabama. Speidel, 57, begrüßt in blauem Jackett, weißes Hemd oben locker geöffnet, das Haar kurz, an der Linken: eine solarbetriebene Sportuhr. Er kommt zügig zur Sache, als er merkt, dass er dem Gast einige Grundlagen der Physik erläutern muss. Tatsächlich ist das, wofür er Ende Oktober den Deutschen Umweltpreis der DBU erhält, nun ja: ziemlich komplex. Aber Speidel macht das klasse, erklärt auch für Laien verständlich, worum es bei den ads-tec-Entwicklungen namens ChargeBox und ChargePost geht: Ultraschnelles Laden für E-Fahrzeuge, mehr Tempo bei der Sektorenkopplung – also die vielseitige Energieverwendung als Strom, Wärme und Mobilität. Und: dabei mit weniger Eingriffen seitens Politik und mehr Zutrauen in Gesellschaft und Unternehmen, so das Credo von Speidel. Es geht darum, klimaschädliche Treibhausgase (THG) wie Kohlendioxid zu reduzieren – und auch um einen WC-Spülkasten, das Lucky-Luke-Prinzip und die digitale Litfaß-Säule. Es geht auch ums große Ganze: Klimaneutralität in der Europäischen Union bis 2050 und in Deutschland bis 2045, also nicht mehr THG-Ausstoß, als an Treibhausgasen wieder gebunden werden kann. Die Energiewende. Der stotternde Netzausbau. Aber der Reihe nach.

Lichtdurchflutet: Innenansicht des Gebäudes der ads-tec Gruppe am Hauptsitz Nürtingen nahe Stuttgart. Die auf speicherbasierte Ladeinfrastruktur spezialisierte und mittlerweile börsengelistete ads-tec Energy hat innovative Schnellladesysteme mit integrierter Batterie für E-Fahrzeuge entwickelt. Geschäftsführer Thomas Speidel erhält dafür am 27. Oktober in Mainz den Deutschen Umweltpreis der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU), den er sich mit Moorforscherin Dr. Franziska Tanneberger teilt.
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Was Werbepanels mit Elektromobilität zu tun haben können

„Bei ChargeBox und ChargePost handelt es sich um Schnelllader mit integrierter Lithium-Ionen Batterie“, sagt Speidel und nennt vier Geschäftsmodelle dieser etwa drei Tonnen schweren Blechgehäuse mit einem Platzbedarf von etwas mehr als einem Quadratmeter Grundfläche, die flexibel an Straßen, Firmengebäuden, in Wohngebieten oder urbanen Ballungsräumen unabhängig von herkömmlichen Tankstellen platzierbar sind und jeweils zwei E-Fahrzeuge mit Strom superschnell betanken können – wobei die Ladesäulen bei der ChargeBox separat, bei dem ChargePost Bestandteil des Gehäuses sind. Speidel zählt einige mögliche Optionen der ads-tec Systeme auf. Und erklärt das anhand eines Schweizer Taschenmessers: Wie das Vielzweck-Werkzeug aus der Alpenrepublik seien ChargeBox und ChargePost jeweils Multi-Tools – nicht nur Speicher oder Ladestationen, sondern vielfältig einsetzbar.  Speidel: „Mit einer einzigen Investition kann ressourcenschonend mehr für das Energiesystem der Zukunft erreicht werden.“ Die Vermeidung von Netzausbau zähle ebenso dazu wie das Schnellladen von E-Autos, Arbitrage mit Gewinnmarge durch Kauf von billigem und Verkauf von teurem Strom, Netzstabilisierung bei überlastetem Netz durch Energie-Rückspeisung ins Netz mittels der Batteriespeicher, die Integration lokaler Photovoltaik-Erzeugung – und die digitale Litfaß-Säule. „Wir haben große Werbepanels beim ChargePost eingebaut, 75 Zoll groß, richtige Billboards“, sagt Speidel. Dudley Taft würde sich freuen.

Mehr als 60 Patentanmeldungen – und das Lucky-Luke-Prinzip

Malerisch thront Nürtingens Stadtkirche St. Laurentius über dem Neckar. Die 40.000-Einwohnerstadt südöstlich von Stuttgart, in der ab 1774 Friedrich Hölderlin viele Jahre lebte, ist Hauptsitz von ads-tec Energy. Dessen Geschäftsführer, Diplom-Ingenieur Thomas Speidel, erhält für Pionierarbeit in der E-Mobilität am 27. Oktober in Mainz den diesjährigen Deutschen Umweltpreis der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU) – zusammen mit Moorforscherin Dr. Franziska Tanneberger.
© Klaus Jongebloed | DBU

Mehr als 60 nationale und internationale Patentanmeldungen verbucht Speidel bislang. Ein Coup ist das batteriegepufferte Schnellladesystem. Der Trick: Ohne das Netz zu überlasten, ziehen ChargeBox und ChargePost langsam Strom, speichern ihn per Batterie und können damit ein Fahrzeug in einem Schwall minutenschnell betanken. „Wie beim WC-Spülkasten – langsam Wasser füllen, rasch abgeben“, so Speidel. Oder, anderes Beispiel, wie das Lucky-Luke-Prinzip: Die Tender der im Comic beschriebenen Dampfloks sind aus Riesenspeichern mit Wasser befüllt worden. „Sonst hätte das wegen der kleinen Wasserleitungen ja ewig gedauert“, sagt Speidel. Er wählt die Worte wohlüberlegt, nur manchmal regt er sich doch etwas auf. „Es kann nicht sein, dass die Genehmigung von Ladesäulen bis zu zwölf Monate dauert. Die Installation selbst ist in einer Woche erledigt!“ Speidel holt kurz Luft. „Es ist Irrsinn, wie wir seit Jahrzehnten Mobilität betreiben. Das begreifen alle, die die Sendung mit der Maus verstehen.“ 

„Sonst zerreißt es einen“: Was die Familie beim Sturm in der Adria gerettet hat

Und dann kommt der Segler in ihm durch. Er erzählt vom radikalen Kurswechsel, dem „harten Cut“ der eigenen Firma 2010 vom Ausrüster für Verbrennermotoren zu einem Pionier der Elektromobilität, von seinem Credo „Go for it!“, davon, das Alte loszulassen. „Sonst zerreißt es einen.“ Das wurde ihm und seiner Familie einst beim Bootsausflug in der Adria deutlich. Starker Sturm in der Nacht. Schiffe schlagen aneinander. „Wir mussten uns losmachen und durchs schwere Wetter. Zögern ist keine gute Idee, wenn der Kurs neu gesetzt werden muss.“ Seine Familie ist ihm sehr wichtig, betont er. Hat er einen Rat für seine drei Kinder? Speidel überlegt kurz: „Werde, was Du bist. Und wenn Du tolle Bilder malen kannst, dann werde nicht Elektrotechniker – bloß, weil Dein Vater das gemacht hat.“

Daten, Zahlen, Fakten, Hintergründe und Reportagen im DBU-Umweltpreis-Blog: https://www.dbu.de/umweltpreis/umweltpreis-blog/

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